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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

befand sich auch, und zwar der Kreuzberg’schen Menagerie gegenüber, eine Bude, in welcher, der Ankündigung nach, zwei „Indianer aus dem Westen Nordamerika’s“, also Wilde, gezeigt wurden.

Als Freund der Natur bin ich von jeher auch sehr für Wilde eingenommen gewesen. Aber auch die nicht ganz echten Wilden sind nicht zu verachten. So erinnere ich mich unter anderen eines Negers, welcher als Diener bei Kreuzberg an der Casse beschäftigt war, aber entlassen wurde und am zweiten Tage darauf sich als Wilder, nämlich als halbnackter Negerhäuptling, etablirte, wobei er eifrig und mit großem Ernst einen Messingmond anbetete. Des Vormittags war er zahm und ging, gekleidet wie wir, unter dem Publicum einher, und erst vom Mittag an, wo das schaulustige Publicum sich einfand, wurde er zum Wilden.

In der letzten Messe wurde auch „Cora (so hieß sie wohl), die junge Nubierin“ gezeigt. Cora war ein ungefähr sechs- bis achtjähriges, reizendes Negermädchen, mit dem nöthigen Flitter als Wilde aufgeputzt. Sie tanzte auch, so ungefähr, wie Elephanten tanzen würden; das Interessanteste an ihr aber war, daß die „Nubierin“ verschiedene glänzende Zierrathe an der Nase befestigt trug, wovon ein Theil das Zeichen ihrer Abstammung war, der andere aber nach der sinnreichen Erklärung des Cicerone „die Aufrichtigkeit und Sündhaftigkeit ihrer Eltern“ bedeutet. Und das wird dem Publicum von Personen im Frack und mit der ernstesten Miene der Welt vorgetragen. Als Wilde wollte wohl auch „Hippolyta, das lebende Fischweib“ gelten, welches in der letzten Messe gezeigt wurde. Ich habe mich selbst gründlich ausgelacht, daß mich die reine Neugierde in die Bude hineintrieb und ich nun als Angeführter dastand. Aber konnte man wissen, daß „Hippolyta, das lebende Fischweib“ – ein ganz gemeiner Seehund war?

Diese Beispiele mögen beweisen, daß man auch den fabricirten Wilden ein gewisses Interesse abgewinnen und sich bei ihnen mindestens doch eine gewisse Erheiterung holen kann. Das veranlaßte mich denn auch, die eben angeführten „Indianer aus dem Westen Amerika’s“ zu besuchen. Daß es Neger sein würden, konnte nicht zweifelhaft sein. Echt nordamerikanische wilde Indianer sind meines Wissens noch nie nach Deutschland gekommen, und wer sie zeigte, müßte ein glänzendes Geschäft machen und brauchte nicht eine Messe aufzusuchen. Die Hauptursache meines Besuches war eigentlich, die Erklärung zu hören und das Verschlingen lebendiger Tauben und Kaninchen anzusehen. Dies übt bekanntlich die größte Anziehungskraft auf die große Menge, und deshalb müssen sogar manchmal Albinos aus der Schweiz, wenn sie als Wilde aus Centralamerika gezeigt werden, sich zum Fressen von lebenden Kaninchen und Tauben bequemen. Ich bin, zum jedesmaligen Erstaunen des Publicums, seit Jahren stets hinausgegangen, wenn diese Scheußlichkeit beginnen sollte; aber diesmal bezwang ich meinen Ekel, um die Sache wirklich einmal gesehen zu haben, und ertrug den Anblick, schildere ihn aber natürlich nicht.

Der eine der Neger trug eine Perrücke von langen Haaren, wie man dieselbe bei Indianern gewöhnlich voraussetzt, und über die Perrücke, um dieselbe oben zu verdecken, einen fast bis an die Augenbrauen herunterreichenden Kopfputz. Die Kerle rasselten schon vorher hinter dem Vorhange fürchterlich mit Ketten, brüllten wie das Vieh, wahrscheinlich aus Wuth über ihr Schicksal, und wenn sie auf die Bühne kamen, so traten sie gegen das nahe Publicum so drohend mit Keulenschwingen, Grimassenschneiden u. dgl. auf, daß es offenbar Vielen angst und bange geworden ist. Aber die Gegenwart des Erklärers bändigte sie stets. Der eine der Neger kam mir gleich anfangs bekannt vor, und ich erkundigte mich daher bei der Geschäftsdame an der Casse nach dessen Vergangenheit; aber mit unerschütterlichem Ernst versicherte mir dieselbe, daß die Indianer echt seien, denn der Erklärer habe sie selbst eingefangen, und mein Lächeln machte sie dabei gar nicht irre. Die Leute machten mit den Wilden glänzende Geschäfte. Ob es nun damit zusammenhing oder nicht, kurz, plötzlich erschien im „Leipziger Tageblatt“ eine Anzeige von einem dasigen Thierhändler, daß der eine der gezeigten Neger sein früherer Diener Ferdinand sei. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf dies die glücklichen Geschäftsleute. Noch an denselben Tage sammelte sich das Publicum, am Abend durch die edlen Lehrlinge verstärkt, vor der Bude und begann männiglich die Leute an der Casse zu verhöhnen, immer dazwischen nach „Nante“ rufend. Mit großer Tapferkeit suchten die Betrogenen das nahende Schicksal abzuwehren und die Echtheit ihrer Wilden zu verfechten, aller „Verleumdung“ zum Trotz, aber der Scandal wuchs und von der Casse der Kreuzberg’schen Menagerie sah ich es schließlich mit an, als am zweiten oder dritten Abend, denn im Dunkeln ist das am gemüthlichsten, ein Sturm auf die Bude gemacht und mit Erfolg durchgeführt wurde. Man wollte die Wilden herausholen, insbesondere Nanten, da derselbe gegen das Publicum grob geworden sein solle. Das Ende war aber natürlich der Schluß der Bude und des so glänzend begonnenen Geschäfts.

Und nun die schon angekündigte Bitte an die deutschen Behörden: Wenn man einmal dem vielerlei Schwindel der Schaubuden freien Lauf lassen will, so verbiete man doch wenigstens das Zerreißen und Verschlingen lebendiger Thiere durch Menschen! Es ist dies etwas so Empörendes und Scheußliches, daß man wirklich bei diesem Anblick nicht glaubt, in einem gesitteten Staate sich zu befinden. Dieses Verbot würde ohnedies den gemeinen Wildenschwindel etwas beschränken, denn man vergesse nicht, nur der unechte Wilde frißt lebende Tauben und Kaninchen, weil dies eben das liebe Publicum am meisten anzieht, der echte „hat’s eben nicht nöthig“, womit natürlich nicht gesagt ist, daß Jeder, der nicht dergleichen frißt, echt sein muß. Ein solches Verbot müßte allerdings schon aus Gesundheitsrücksichten möglichst allgemein sein; denn wenn der Wilde an einem Orte fressen darf, am andern aber nicht, so würde selbst die unbändigste Gesundheit unter dieser Unregelmäßigkeit leiden müssen.

Nicht Jeder weiß, in welcher Weise diese Wilden-Candidaten, diese Neger, nach Europa, insbesondere nach Deutschland kommen. Das geht aber meistens so zu: Sie werden von reichen Afrikareisenden als pikantes Spielzeug im Kindesalter als Sclaven gekauft. In Europa machen die Besitzer derselben dann mit ihnen Effect. Die Negerkinder, die ich gesehen, waren wirklich durchweg reizende Geschöpfe. So lange sie nicht wissen, daß es gesetzlich in Europa keine Sclaverei giebt, bleiben sie bei ihrem ersten Herrn, bis ihnen durch irgend Jemand die Augen geöffnet werden, das Verhältniß dann locker und lockerer wird und sie zuletzt ohne Beruf sich selbst überlassen sind.

Nur ungern hatte ich mich durch den Sturm auf die Wildenbude aus der Kreuzberg’schen Menagerie heraus an die Casse derselben locken lassen, wo man vom erhöhten Standpunkt aus einen schönen Ueberblick über das Schlachtgewühl hatte. Gern kehrte ich daher nach eingetretener Ruhe in das Innere zurück, um immer wieder von Neuem mich an dem Anblick der schönen Thiergestalten, insbesondere der beiden Löwenbrüder und ihrer prachtvollen Dressur zu erfreuen. Aeltere Leser der Gartenlaube werden sich erinnern, daß in dem Jahrgang 1864 durch Wort und Bild eine Darstellung der Löwendressur gegeben wurde, wie sie der dadurch berühmt gewordene Batty, und zwar damals im Renz’schen Circus, vorführte. Das Neue an der Sache war, daß die fast nur jungen Löwen durch Peitschenhiebe fortwährend in Wuth und Angst erhalten wurden und ihr Brüllen und die abwehrenden Tatzenhiebe der ganzen Sache den Anschein des ungeheuer Gefährlichen gaben. Ich sage den Anschein, denn im Grunde war die Angst der jungen Thiere die Hauptsache. Seit Batty’s Auftreten sind diese Löwenwagen als Begleiter von manchem Circus Mode geworden, und auch der jetzt in Deutschland reisende höchst originelle amerikanische Circus hat einen solchen, aber ebenfalls mit jungen, öfter erneuten Thieren. Als ich den Circus in Leipzig sah, lag zum Beispiel der älteste Löwe der Sicherheit wegen bereits an der Kette. Sobald Kreuzberg die Erfolge Batty’s sah, ließ er sich sofort sieben junge Löwen aus England kommen und vereinigte dieselben in seinem Centralkäfig zur Vorstellung mit einem größeren Löwen, mit Bären, mit gefleckten und gestreiften Hyänen. Seine viele Jahre hindurch „sechszehnjährige Schwedin“ gab nun à la Batty Vorstellungen mit großem Geschrei, Peitschenhieben und Löwengebrüll. (Auch das ist später in der Gartenlaube dargestellt worden.) Kreuzberg wollte eben zeigen, daß er das auch könne, wenn er nur wolle, denn daß das keine Schwierigkeiten für den Fachmann habe, wußte Niemand besser als er. Gern gesehen habe ich diese Vorstellungen allerdings auch, aber nicht blos als wunderbare und gefährliche Dressur, sondern um mich an den schönen und wechselnden Stellungen und Bewegungen der Thiere zu erfreuen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_322.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)