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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Wolf sah ihm etwas betroffen, aber doch fest in’s Auge. „Nach Aibling hinunter,“ sagte er dann; „es ist Jahrmarkt dort – will mich ein wenig umsehen und zum Spängler gehen, daß er mir das Triebrädel da beschlagen soll, das ich geschnitzelt habe. …“

„Was?“ rief der Vater auflodernd. „Und Du schämst Dich nit, das zu sagen? An einem bloßen Werktag feiern? An einem Tag, wo es so viel zu thun giebt, daß sich Jeder noch ein Paar Händ’ wünschen möcht’? Du schämst Dich nit, vor den Leuten herumzuschlenzen und Dich mit solchen Kindereien, mit solchem Spielzeug abzugeben wie ein Schulbub’?“ Dabei hatte er ihm das zierlich geschnitzte Rad aus der Hand gerissen, warf es zu Boden und trat es in Stücke.

In Wolf regte sich das Blut des Vaters; aber er bezwang sich, obwohl es ihm einen Stich in’s Herz gab, als er das mühevoll ersonnene Werk zerstören sah. „Vater,“ sagte er, und die Stimme zitterte ihm vor Erregung; „das ist kein Spielzeug, Vater. … Du weißt, daß unsere Quellen manchmal in der heißen Zeit schwächer rinnt und daß es auf ein paar Augenblick’ ist, als wenn sie ganz ausbleiben wollt’. … Du weißt, was das zu bedeuten hätt’ für den Lindhamerhof – d’rum sinnir’ ich schon lang’ darüber, wie man sie vielleicht fassen oder machen könnt’, daß sie nit verschwind’t oder nit in das Loch fallt, da vorn … da hab’ ich mir ein Triebwerk ausgedenkt … das muß ich doch erst im Kleinen machen wie ein Muster, daß ich seh’, ob es geht. …“

„Das sind Dummheiten, mit denen Du nur Zeit und Geld vertragst,“ rief der Alte wider Willen in etwas milderem Tone. „An dem Brünnl’ darf nichts geändert werden – das muß bleiben, wie es ist … es bleibt nit aus, so lang’ man’s nit anrührt. …“

„Vater, so was wirst doch nit glauben. …“

„Warum nit? Willst Du gescheidter sein als Dein Vater und Dein Ahnl und Urahnl, die alle d’ran geglaubt haben, und es ist ihnen gut gegangen dabei? … Ich will davon nichts wissen. So ist’s alleweil’ gewesen und so soll’s bleiben und das Brünnl’ wird nit angerührt, so lang’ ich ein offenes Aug’ hab’. Und wenn’s wär’ und es wär’ wirklich was von einem Sinn und Verstand in Deinen Narretheien – hat das etwan nit Zeit bis nach der Ernt’? Jetzt hat man alle Händ’ voll zu thun … warum bist nit bei der Arbeit?“

„Weil ich gemeint hab’, ich hab’s nit so nöthig,“ sagte Wolf trotzig, „ich hab’ gedenkt, dreschen und Korn schneiden kann jeder Knecht!“

„Und was bist denn Du?“ rief der Vater in wieder steigendem Zorne entgegen. „Du bild’st Dir wohl ein, Du bist besser? Meinst, Du bist schon der Bauer auf dem Lindhamerhof? … Gieb Acht, gieb Acht, daß Du Dich nicht verechnest – Du hast noch weit bis dahin! Dreschen und Korn schneiden kann jeder Knecht, hast Du gesagt? Recht hast … jeder ordentliche richtige Knecht kann das – faullenzen, mitten in der Ernt’ fortlaufen und faullenzen, das kann und thut nur ein Loder!“

„Vater!“ schrie Wolf auf und stand mit funkelnden Augen, als gelte es, einen Gegner im Zweikampfe zu packen.

„Was willst mit Deinem Geschrei?“ entgegnete dieser fest. „Was machst mir für Augen an? Willst Dich aufbäumen gegen mich, wenn ich Dich bei Deinem richtigen Namen nenn’? Weißt Du es vielleicht noch nit, daß sie Dich wegen dem Leben, das Du führst, in der ganzen Gegend herum nit anders heißen als, den Loder von Lindham …“

„Wer …“ stieß Wolf mit knirschenden Zähnen heraus; er war blaß geworden bis in die Lippen hinein und diese zitterten wie seine Hände, die er vor sich hinstreckte, als suche er einen Feind zu fassen. „Wer untersteht sich das? … Wer, Vater, wer …“

„Das brauchst Du nit zu wissen – es ist genug, wenn ich Dir sag’, wie man von Dir red’t. Möchtest leicht Händel anfangen? Damit stopfest Du den Leuten das Maul nit. Und haben sie etwa Unrecht? Kannst hintreten und Einen Lügen strafen, der Dir’s in’s Gesicht sagt, was er sich denkt! Ist es nicht schon genug an der Schand’, daß ich da heroben in meiner Einöd’, in meiner Krankenstub’ so von Dir muß reden hören? Muß ich mich nit in die Gruben hineinwünschen vor Grämen, wenn ich Dich so herumschlenzen seh’ – einen gesunden starken Burschen, einen Bauernsohn, der einmal auf den Hof kommen und hausen soll und der an nichts denkt als an’s Basseln und an’s Cithernschlagen, und in dem seiner Kammer die Geigen herumhängen und die Schwegelpfeifen und die Ziehharmonica, daß man glaubt, man kommt zu einem Musikanten. … Aber ich will mich nit weiter ereifern,“ fuhr er, sich gewaltsam mäßigend, fort, „für die Hack’ wird auch noch ein Stiel zu finden sein. Vor der Hand bleibst Du zu Haus’, ziehst das Feiertaggewand aus und gehst nach zu den Andern in’s Korn …“

„Nein, Vater, das thu’ ich nit!“ sagte Wolf fest, aber nicht trotzig.

„Ja, Du wirst es thun, sag’ ich!“ fuhr der Bauer auf. Die Beiden standen einander gegenüber, wie wenn im Winter das strömende Wasser ein paar Eisblöcke gegen einander treibt, die sich zermalmen müssen, wenn nicht noch im entscheidenden Augenblicke ein günstiger Zwischenfall sie von einander ablenkt, zwei tüchtige, aber in ihrer Gleichartigkeit sich abstoßende Naturen.

„Nein, Vater, und noch ’mal nein,“ sagte Wolf wieder, „ich thu’s nit und Du mußt das nit verlangen von mir! Ich kann’s nit einsehen, daß das, was ich thu’, so schrecklich ist, wie Du’s machst – aber ich will Dir den Willen thun, wenn ich’s zuweg’ bring’ … doch auf den Acker geh’ ich jetzt nit hinaus; die Ehhalten müßten’s merken, daß ich wie zur Straf’ hinausgeschickt wär’ … das darfst mir nit anthun, Vater …“

„Ich darf nit?“ schrie der Alte in schrankenlosem Zorne, verstummte aber, denn unter der Thür erschien Th’res; die Blässe ihres Gesichts verrieth, daß sie, obwohl sie sich den Anschein davon gab, nicht zufällig kam – noch einmal sollte der Zusammenstoß der widerstreitenden Kräfte vermieden werden. So entrüstet der Alte war, stand ihm doch das, was er die Ehre des Hauses nannte, höher als die Aufrechterhaltung seines väterlichen Willens; so lange als möglich sollte Niemand wissen, wie weit der Zwiespalt zwischen Vater und Sohn gediehen war.

„Ihr sollt hinauf gehen,“ sagte Th’res mit bebender Stimme; „es ist die Zeit, wo Ihr Eure Tropfen nehmen müßt.“ …

Schweigend wandte sich der Bauer und schritt an ihr vorüber in’s Haus – mit hastigen Schritten eilte Wolf den Höhenabhang hinunter.

(Fortsetzung folgt.)




Dem trauernden „Dichter der Gartenlaube“.[1]

O weine nicht, mein theurer Freund,
Daß Dir der Tod Dein Glück genommen:
Du weißt’s ja, wo die Sonne scheint –
Ob früh, ob spät – muß Schatten kommen;

5
Und wo das Glück am reinsten blüht,

Da waltet das Geschick am regsten,
Und wo die Ros’ am schönsten glüht,
Da ist gewiß ein Grab am nächsten.

Ja, weine nicht, daß von Dir schied,

10
Die Deines Herzens ganze Wonne,

Das holde Bild, das Deinem Lied
Und Deinem Leben war die Sonne:
Auch Sonnen müssen untergehn
Und jede Freude muß erblassen;

15
Denn – ist das Glück auch noch so schön –

Es kommt nur, um uns zu verlassen.

O weine nicht und klag’ nicht mehr!
Du sahst’s, wie schmerzvoll sie gegangen,
Als Engelsrufe himmelher

20
Das Mutterherz zum Scheiden zwangen; –

Schwer war der Kampf, den fieberheiß
Die Gattin und die Mutter stritten –
Doch welche Mutter blieb’, wenn leis
Sie riefen ihres Kindes Bitten?

25
Ja, weine nicht! – Auch Dante sang,

Als Beatrice ihm gestorben;
Petrarca’s schönster Harfenklang
Hat Lauren erst im Tod umworben:
Auch Dir wird der Verklärten Bild,

30
Wenn einst der Trauer Wolken weichen

Und neu Dein Lied der Seel’ entquillt,
Des Lorbeers schönste Blüthen reichen.
 Rudolf Bunge.


  1. Siehe die Notiz „Dichterleid“ in Nr. 22.   D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_370.JPG&oldid=- (Version vom 19.5.2021)