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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

schätzt, die betagteren aber fast für unbrauchbar hält), waren störrig und wußten sich durchaus nicht in ihre neue, traurige Lage zu schicken. Da half kein Prügeln. Sie thaten doch nicht, was ihre Herren von ihnen verlangten. Auch waren sie nur schwer dazu zu bewegen, die elende Nahrung, welche man ihnen verabreichte, zu sich zu nehmen. Selbst diese Nahrung war ja ihrem geringeren Werthe nach zugemessen. Ein junger Sclave, an dessen Erhaltung seinem Herrn mehr lag, erhielt bessere Speise. Ein alter, der eine solche gerade nöthig gehabt hätte, bekam nur Abfälle. So wollte es das Geschäft. Der junge war vielleicht zwei „Köpfe“ werth, der alte kaum einen. Auf Erhaltung einer Waare von geringerem Werthe wendet der Geschäftsmann nicht viel. Gefesselt und zwar immer zu zweien aneinandergeknebelt, lagen diese Unglücklichen in den erbärmlichen Hütten auf dem bei der herrschenden Regenzeit zu einem Sumpfe erweichten Boden da.

Etwas besser war es mit den jungen, kräftigen Männern bestellt. Diese wurden vom Sultan ausgesondert und waren bestimmt, ihm später Kriegsdienste zu leisten. Mit ihnen ging der Fürst übrigens sehr sparsam um und verschenke sie nicht. Einstweilen waren zwar auch sie noch gefesselt, da die Nähe ihrer Heimath zu leicht zu Fluchtversuchen verlocken konnte. Aber, wie gesagt, ihre Verpflegung war eine bessere. Für einzelne derselben mochte auch ihr neuer Stand allmählich seine Schrecken zu verlieren anfangen; besonders für die von Haus aus armen; der Kriegerstand, dem sie entgegengingen, ist immerhin ein bevorzugter.

Aber diese jungen, werthvolleren Sclaven bildeten vielleicht nur den vierten Theil der Gesammtmasse. Für die große Menge war die Behandlung eine unmenschliche. Der einzige Gedanke der Unglücklichen war deshalb der an eine mögliche Flucht. Fluchtversuche kamen in der That auch oft vor. Die Fälle, in welchen sie gelangen, waren freilich sehr selten. Aber der Umstand, daß dergleichen Fälle sich überhaupt ereigneten, wirkte als ein mächtiger Hebel auf die Masse der unglücklichen Sclaven, ebenfalls Selbstbefreiungsversuche anzustellen. Je öfter solche Unternehmungen vorkamen, desto gereizter wurden auch die Sclavenbesitzer. Schreckliche Strafen trafen diejenigen, welche auf mißlungenen Fluchtversuchen ertappt und wieder eingefangen wurden. Man band sie an die Pfähle, prügelte und geißelte sie unmenschlich, ja nicht selten brachte man ihnen auch noch Wunden bei, keine tödtlichen, das verbot der Eigennutz des Besitzers der menschlichen Waare, aber solche, welche doch immer schmerzhafte Leiden im Gefolge hatten. Dies geschah zum warnenden Beispiel für die Anderen. Zuletzt besaß man nicht mehr Ketten genug, um alle Gefangenen in Eisen zu legen. Nun mußten Stricke herhalten. Da diese natürlich nicht so fest hielten wie die eisernen Bande, so wurden durch sie die Fluchtversuche wieder erleichtert. Aber die Sclavenbesitzer zeigten sich bald erfinderisch gegen diese neue Möglichkeit eines Waarenverlustes. Sie entdeckten eine neue, besonders verwickelte und schwer lösbare Art des Bindens mit Stricken, sodaß die Gefangenen sich derselben nur in den allerseltensten Fällen entledigen konnten.

Das Loos der Unglücklichen sollte sich indeß noch schlimmer gestalten. Die Raubzüge waren viel ergiebiger an menschlicher Waare, als an Getreide und Vieh gewesen. Die Vorräthe an Lebensmitteln fingen an, äußerst knapp zu werden, und die armen Sclaven wurden auf Hungerdiät gesetzt. Eine kraftlose, in Wasser gekochte Mehlsuppe, einmal täglich, war Alles, was sie an Nahrung erhielten. Diese schlechte Kost bei Leuten, welche, aus einem sehr fruchtbaren Lande stammend, an reichliche Nahrung, ja selbst an Fleischgenuß gewöhnt waren, der ungenügende Schutz gegen die Nässe der Regenzeit in den elenden offenen Schuppen, so verschieden von ihren wohl verschließbaren heimathlichen Hütten, der Mangel des gewohnten Feuers, das diese Stämme zur Regenzeit nie ausgehen lassen (um deren gesundheitsschädliche übergroße Feuchtigkeit zu bekämpfen), endlich die massenhafte Anhäufung von Schmutz und Unrath in dem dichtbewohnten Lager, die nach kurzer Zeit eine Verpestung der Luft erzeugte, Alles dies begünstigte das Entstehen einer gefährlichen Seuche, welche bald ausbrach und der Hunderte von Sclaven zum Opfer fielen.

Der Tod wäre eine Erlösung für diese Unglücklichen gewesen. Aber die Liebe zum Leben, welche die meisten Menschen selbst im Elend nicht verläßt und die bei den Negervölkern in vorzüglichem Grade entwickelt ist, machte auch hier ihr Recht geltend. Die Aermsten, denen das Leben nur Schrecken bot, sahen trotzdem dem Tode mit Grauen entgegen. Mit Schaudern fühlten sie das schleichende, ungreifbare Gespenst in ihre Hütten dringen, sahen zuerst die Kinder und Schwachen ihm zum Opfer fallen, dann selbst die Kräftigen und Starken sich unter seinen Griffen winden. Die allgemeine Niedergeschlagenheit, die schon unter den Unglücklichen herrschte, verwandelte sich beim Fortschreiten der Seuche in dumpfe Verzweiflung. Wehklagen und Wimmern tönten aus jeder Hütte hervor, bald Trauergeheul über die eben Verschiedenen, bald Schmerzensgeschrei der Kranken. Ein grausiges Bild! Bei diesen sonst so lebensvollen und von der Natur mit fast unverwüstlicher Heiterkeit begabten Stämmen macht sich auch der Schmerz, wenn er einmal zum Ausbruch kommt, auf energischere Weise geltend und bringt Scenen von einer Macht der Verzweiflung hervor, wie sie bei uns ruhigeren Europäern fast unbekannt sind.

Nun zeigten sich so recht die Folgen der unmenschlichen Denkungsart, welche dem Sclavenwesen zu Grunde liegt. Die Eigenthümer, welche ihre Sclaven nur als Waare betrachteten, suchten lediglich die werthvolleren zu retten. Da diese zugleich die kräftigeren waren, so gelang es nicht selten, ihr Leben zu erhalten. Die Kinder und Schwachen dagegen wurden der Pflege und der besseren Nahrung, bei der sie allenfalls hätten geheilt werden können, nicht für würdig erachtet. War doch ihr Geldeswerth ein zu geringer.

„Sie fressen ihren Kopf ab,“ pflegte ein Sclavenbesitzer zu sagen, „und schließlich, wenn man so viel auf ihre Heilung verwendet hat, sterben sie an einem Rückfall, oder rettet man auch Einige, so kommt man beim Verkauf doch nicht wieder auf seine Kosten.“

Als die Seuche immer noch überhand nahm und die Sclaven massenhaft wegstarben, wollte zuletzt Niemand im Lager des Königs von Baghirmi mehr neue erwerben. Wozu auch? Man kaufte ja nur Todescandidaten. Kauf und Verkauf der menschlichen Waare gerieten in’s Stocken. Selbst der erste Minister des Sultans, welcher täglich drei „Köpfe“ für die Mahlzeiten auszugeben pflegte, womit er die Gäste seines Herrn bewirthete, fand am Ende keinen Herdenbesitzer mehr, der ihm für einen Sclaven ein Schaf oder eine Ziege, den zur Zeit in Baghirmi üblichen Preis, verkaufen wollte. Unter solchen Umständen dachte ein großer Theil der Sclavenbesitzer an die schleunige Abreise nach Bornu, wo man voraussichtlich der Seuche entrinnen und zugleich Absatz für die menschliche Waare finden konnte. Eine Karawane kam zu Stande, welcher auch unser Reisender, der es müde war, die Gräuel im Lager mit anzusehen, sich anschloß. Indeß, wenn er hoffte, diese Gräuel nun nicht mehr zu sehen, so erfuhr er bald die schmerzlichste Enttäuschung; denn wie schrecklich auch das Loos der gefangenen Neger im Lager gewesen sein mochte, auf der Reise gestaltete es sich noch um Vieles schlimmer. Ja, hier sollte er Zeuge jener im Eingange angedeuteten Grausamkeiten werden, welche Alles überboten, was er und Andere bisher in dieser Art gesehen hatten.

Bei Beschreibung dieser Sclavenkarawane fällt mir immer der Bürger’sche Vers „Die Todten reiten schnell“ ein. In der That eine Reise in’s Lager des Todes! Eine schnelle Reise! Denn die Knappheit der Lebensmittel, die Nothwendigkeit, dem Schauplatze der verheerenden Seuche so eilig wie möglich zu entfliehen, beschleunigte ausnahmsweise diesmal die sonst so langsamen Schritte der von Natur trägen Menschen in kaum glaublicher Weise. Unaufhaltsam drang der schwarze Zug vorwärts, und dies auf einem Erdreiche, das die Regenzeit buchstäblich in einen Sumpf verwandelt hatte. Die armen Sclaven, schlecht genährt und in Folge davon entkräftet, viele auch krank und den Keim der Seuche in sich tragend, waren einem solchen rasenden Vorwärtseilen nicht gewachsen. Aber wehe ihnen, wenn sie ihrer Müdigkeit nachgaben! Mochte die Schwäche ihre Schritte auch hemmen, mochten sie vor Erschöpfung am Wege niedersinken, unerbitterlich wurden sie aufgepeitscht. Weiter, immer weiter! Jeder Schritt vorwärts brachte sie ja dem Markte näher und erhöhte ihren Geldeswerth. Sanken viele auch vor Ermattung entseelt darnieder, der Preis der übrigen stieg nur um so mehr.

Man denke nicht, daß alle Sclavenkarawanen dieser gleichen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_520.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)