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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ganze Verköstigung und die Schlafstelle in dem Gebäude nehmen, doch werden an Arbeiter, welche Abends zu ihren Familien nach Hause gehen, auch einzelne Mittagsportionen zu zehn Kreuzer (drei Groschen) verabreicht, und bei besonders abgelegenen Baustellen in Bretterbuden Bier und Brod an sämmtliche Arbeiter verkauft, um die Verschwendung von Arbeitszeit zu vermeiden. Die Theilnahme an diesen Einrichtungen und der Austritt ist ganz dem Belieben der Arbeiter überlassen. Unfreiwilliger Ausschluß erfolgt nur bei schlechter Aufführung, dann aber ohne Nachsicht. Es besteht eine „Menage-Ordnung“, welche Reinlichkeit und anständiges Verhalten zur Bedingung der Theilnahme an den Wohlthaten dieser Einrichtungen macht. Unter Anderem bestimmt dieselbe, daß Getränke nur bis zehn Uhr Abends abgegeben und die Wirthschaftsräume und Hauseingänge um diese Zeit geschlossen werden. Um den Arbeitern auch Gelegenheit zur Lecture zu geben und hierdurch bildend auf sie zu wirken, wird jeder Wirtschaft eine kleine Sammlung von Büchern unterhaltenden und belehrenden Inhalts zugewiesen.

Jeder Wirthschaft ist ein Agent vorgesetzt, gewöhnlich ein dazu commandirter Unterofficier, der mit dem Betriebe der Militärwirtschaften vertraut ist. Derselbe hat die Vorräte an den Koch (der ebenfalls Militärkoch ist) abzugeben und unter Controle des Bauamtes die gesammte Rechnung zu führen; außerdem sind ein bis zwei Gehülfen des Kochs im Tagelohne angestellt. Neben freier Kost und Wohnung erhält der Agent täglich einen Gulden (siebenzehn Groschen) und der Koch achtundvierzig Kreuzer (dreizehn Groschen). Alle vier Wochen ist der Bauverwaltung Rechnung abzulegen und der Ueberschuß an die Hauptcasse abzuführen.

Die finanziellen Ergebnisse sind nicht ungünstig zu nennen. Die Bau- und Einrichtungskosten von zwölf solchen Wirtschaften verzinsten sich 1868–1869 mit 7,26 Procent und, da die Bauverwaltung im Hinblick auf die mannigfachen sonstigen Vorteile dieser Institute auf Erstattung der Verwaltungskosten verzichtete, sogar mit 14,94 Procent, offenbar ein überaus erfreuliches Resultat, zumal wenn die Güte und Reichlichkeit der Mahlzeiten in Anschlag gebracht wird, die in sehr teurer Zeit den Arbeitern für einen sehr geringen Preis geboten werden konnten, während von allen Privaten für eine weit geringere Beköstigung und eine ganz ärmliche Schlafstelle ein viel höherer Betrag angerechnet wird.

Einzelne Wirthschaften wurden nach Beendigung der Bauten versetzt, andere als provisorische Stationsgebäude, Magazine etc. benutzt. Der Verkehr in diesen Instituten war an einzelnen Orten ein so bedeutender, daß die vorhandenen Mittel zur Befriedigung des Bedarfs nicht ausreichten. Nur zwei Wirthschaften haben den Erwartungen zeitweilig nicht ganz entsprochen. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß das Inventar an Betten etc. auch bei gänzlicher Auflösung des Unternehmens immerhin sich noch verwerthen läßt, wodurch also die Einrichtungskosten teilweise wieder ersetzt würden. Aber selbst dann, wenn der Betrieb solcher Institute den Verwaltungen Opfer an Geld und Mühe auferlegte, würden dieselben andererseits bei Weitem aufgewogen von den Vortheilen, die in verschiedener Hinsicht durch diese Einrichtung erzielt werden. Durch dieselben wird die Herbeiziehung einer größern Anzahl ständiger und solider Arbeiter ermöglicht, die mit frischer Kraft, nicht schon ermüdet durch weite Wege, zur Arbeit kommen; der Bau wird dadurch rascher gefördert, das Baucapital schneller nutzbar gemacht. Die Arbeiter aber wissen solche Einrichtungen, wo sie vor offenbarer Ausbeutung durch die Privatunternehmer bewahrt sind, wohl zu schätzen und arbeiten selbst bei geringerem Lohne an den Plätzen, wo solche Wirthschaften sich befinden. Während Privatwirthschaften in Folge der Unmäßigkeit oft der Schauplatz der rohesten Excesse der Eisenbahnarbeiter sind, ist in jenen Instituten keine irgend erhebliche Ausschreitung vorgekommen; der Verbrauch geistiger Getränke ist ein sehr mäßiger gewesen, und mancher Arbeiter hat durch die gebotene Gelegenheit gelernt, in seinen Freistunden sich mit einem guten Buche zu unterhalten und zu bilden. Außerdem ist es als ein unverkennbares Zeichen des guten Einflusses dieser Einrichtung anzusehen, daß von den Theilnehmern derselben in zwei Jahren den Agenten gegen zehntausend Gulden an Ersparnissen übergeben wurden, um dieselben theils aufzubewahren, theils in Sparcassen anzulegen, theils zur Anschaffung von Kleidern und Wäsche zu verwenden. Die Agenten aber sind angewiesen, auch die kleinsten Ersparnisse anzunehmen, sowie überhaupt im Wege freundlicher, theilnehmender Aufmunterung die Arbeiter auf Ordnung, Reinlichkeit und anständiges Benehmen hinzuführen und den Sinn für Mäßigkeit und Sparsamkeit bei denselben zu fördern.

Zur Erreichung des letzteren Zweckes aber ist außerdem noch den Bauämtern besonders empfohlen, die Ansammlung von Ersparnissen zu begünstigen, und um noch mehr zur Absendung derselben in die Heimath zu ermuntern, übernimmt die Baucasse für Inländer wie Ausländer die Portokosten. Zuverlässige Personen vermitteln die Versendung gegen eine keine Vergütung aus der Baucasse, und es sind 1868/1869 durch ihre Bemühung von 4448 Sparern 117,569 Gulden 25 Kreuzer versendet worden, wofür die Bauverwaltung an Porto 1536 Gulden 44 Kreuzer verausgabte. Als besonders sparsame Arbeiter zeichneten sich vor den Deutschen die Italiener aus, welche auch anderwärts in Bezug auf Fleiß, Mäßigkeit und Sparsamkeit den besten Ruf genießen und darum sehr gesucht sind.

Erwähnt mag noch werden, daß zur weiteren Förderung des Wohles der Eisenbahnarbeiter, wie anderwärts, so auch in Württemberg Krankencassen eingerichtet sind, an welchen jeder Arbeiter teilnehmen muß, und aus welchen er gegen einen Beitrag von einem halben Groschen auf jeden Lohntaler im Erkrankungsfalle freie ärztliche Hülfe, Arznei und Verpflegungsgeld bis zu neunzig Tagen erhält. Bei Auflösung dieser Cassen nach Vollendung der Baustrecke werden die disponibeln Mittel in der Regel den Familien verunglückter Arbeiter zugewendet, und es konnten schon Unterstützungen bis zu hundertsiebzig Thalern gewährt werden.

Von den soeben geschilderten Einrichtungen hat zunächst die preußische Regierung die Anregung zu gleichen Versuchen empfangen und beim Baue der soeben vollendeten Strecke der königlichen Ostbahn, Schneidemühl-Dirschau, in der Nähe der Brahebrücke bei Rittel Wirthschaften in der oben beschriebenen Weise einrichten lassen, in welchen von einem Wirthschaftsmeister früh Kaffee oder Mehlsuppe für einen halben Groschen, Mittags eine kräftige Mahlzeit für zwei und einen halben Groschen, ohne Fleisch für einen Groschen, und Abends eine Suppe für einen Groschen geliefert wird. Die günstigen Erfahrungen, die auch hier gemacht wurden, haben Veranlassung gegeben, allen Eisenbahndirectionen die gleichen Einrichtungen zu empfehlen. Aber noch ist dies nur als ein Anfang zu betrachten, da die so wichtige Frage des nächtlichen Unterkommens hier noch nicht berücksichtigt worden ist. Wohl aber wäre zu wünschen, daß allerwärts die Fürsorge der Bauunternehmer, wie der bauenden Actiengesellschaften bei Strecken, welche teils durch wenig, teils durch allzu dicht bevölkerte Gegenden führen, dem Beispiele der württembergischen Regierung folgend, das Wohl ihrer Arbeiter durch Einrichtung billiger Kost,- und gesunder Schlafstätten förderte. Denn das Capital, auf solche Zwecke verwandt, trägt mindestens indirect die besten Zinsen.

D.




Blätter und Blüthen.


Kleiner Briefkasten.


G. W. in B. Beruhigen Sie sich! Wie sehr auch – und, wie erkennbar, leider recht absichtlich! das plötzlich auftauchende Zeitungsgeschrei über den angeblichen Wohlstand oder gar Reichthum, in dem Roderich Benedix gelebt haben und gestorben sein soll, den Sammlungen für die Wittwe und das beklagenswerthe Kind desselben zu schaden drohte, so wird doch die Darstellung des wahren Sachverhalts, die wir in der nächsten Nummer der Gartenlaube bringen werden, den Verehrern des Dichters die Augen und Herzen wieder für die Wahrheit und Berechtigung unseres „Aufrufs“ öffnen.

Ch. T. in Bremen. Ungeeignet! Beide Manuscripte stehen zu Ihrer Verfügung.

Z. A. Ihre Arbeit schläft den ewigen Schlaf der Gerechten – im Papierkorb.




Zur Beachtung. Auf die vielfachen Anfragen wegen Nachlieferung der im 3. Quartale beginnenden Anfangskapitel der Novelle „Künstler und Fürstenkind“ diene die Mittheilung, daß alle Buchhandlungen und Postämter die Nrn. 36 bis 39 gegen Zahlung von 10 Gr. gern besorgen werden.

Die Verlagshandlung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_690.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)