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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Saale des Amthauses zu Niedeck gefeiert – kehrte endlich der Geist der Lieder zurück. Schon am 1. December erhielt Boie von dem jungen Ehemanne, der seine Freunde nun nicht länger zu vernachlässigen versprach, ein schönes Lied: „Das neue Leben“, welches in hymnenartigem Jubel die glücklichste Erfüllung seiner Liebesträume aussprach:

„Liebe! deine Wunderkraft
Hat mein Leben neu geboren,
Hat zu hoher Götterschaft
Mich hienieden schon erkoren!
Ohne Wandel! ewig so!
Ewig jung und ewig froh!“

Die Zeugnisse Boie’s, Goekingk’s und anderer nahen Freunde, denen Bürger sein ganzes Herz erschloß und die im vertrautesten Verkehre mit ihm blieben, stimmen darin überein, daß seine Ehe mit Doretten in der ersten Zeit eine durchaus glückliche war, und daß die Flamme seiner Liebe erst später erkaltete. Boie suchte und fand mehr als einmal Erheiterung und Erholung bei dem jungen Ehepaare, und Goekingk weiß in seinen Briefen an Bürger nicht herzlich genug von dessen „Dortheychen“ zu reden. „Mein kleines Weib, das beste, sanfteste, redlichste Geschöpf unter der Sonne,“ schrieb der Dichter im Sommer 1775 an Gleim, „hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Mädchen mit Lebensgefahr geboren. Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude.“ Und um dieselbe Zeit richtet er an Boie die Frage: „Saget, Freund, wie fängt man’s wohl an, um glücklich zu leben? Das ist, um zu seinen Bedürfnissen Geld zu haben? Schimpfen hin, schimpfen her auf den glänzenden Koth! lauter moralische, poetische Albernheiten! Manche können freylich bei seinem Ueberfluß unglücklich seyn, aber weit mehrere sind es durch seinen Mangel. Ich, zum Beyspiel, wüßte nicht, was mir sonderlich abginge, wenn ich, meiner Schulden entladen, zu meinen – gewiß nicht großen – Bedürfnissen ein Hinreichendes hätte.“

In dem ersten Jahre seiner Ehe wohnte Bürger mit seiner jungen Frau in einem (jetzt abgebrochenen) Nebengebäude des Niedecker Amthauses, dessen Ostseite von einer riesigen Doppellinde beschattet war. Der eine Stamm des prächtigen Baumes mußte leider unlängst gefällt werden, weil er vor Alter morsch geworden war und den dahinter stehenden Holzschuppen zu zertrümmern drohte. Am Hause lag ein großer, wohlgepflegter Garten, in dessen gemauertem Bassin damals Goldfische unter dem Strahle einer Fontaine umherplätscherten. Der Garten ist fast noch ganz in demselben Zustande erhalten; eine Partie links am Ende an der Landstraße nach Duderstadt, von acht himmelhohen Pappeln umsäumt und unten mit dichtem Rosengebüsche bepflanzt, wird in alten Schriftstücken schon vor mehr als hundert Jahren, wie heute noch, „der Rosenberg“ genannt. Auch eine dichte Laube von Hainbuchen und eine ungeheure Linde auf der rechten Seite des Gartens, deren Aeste sich mit dem Laubwerke eines epheuumrankten Syringenbaumes zu einer herrlichen Laube verzweigen, werden oft der Ruheplatz des jungen Ehepaares gewesen sein. Der hochgelegene Garten gewährt eine herrliche Aussicht nach den Gleichen mit ihren alten Burgtrümmern; an hellen Tagen sieht man deutlich den Brocken und den Rabensberg in der Richtung von Ellrich und Walkenried. Zu Füßen des Gartens senkt sich ein tannenbewachsener Abhang hinab, welcher den Namen „das Bürgerthal“ führt und in dessen Mitte sich eine grottenartige Felsbank befindet, die Bürger selbst während seines Aufenthaltes zu Niedeck in den weichen Randstein gehauen haben soll. Erst am 21. September 1775 bezog er das neuerbaute Haus des Bauern Henrich Andreas Kreps zu Wöllmershausen, in welchem das verhängnißvolle Geschick seines Liebesromans mit der Schwester seiner Frau, der vielbesungenen „Molly“, ihn ereilte. Dieser Liebesroman wird der Hauptgegenstand des nächsten Artikels sein.




Der Funke in’s Pulverfaß.
Geschichtliche Jubelskizze von Fr. Hofmann.


Wird unsere Illustration, die an sich ohne Kunstwerth ist, als Ehrenbild der Gründung eines der mächtigsten Reiche der Welt gelten? Gewiß nicht! In der That hat sie von Haus aus das Gegentheil bedeuten sollen: ein Schmähbild auf den Widerstandskampf der englischen Colonien Nordamerikas gegen König und Parlament von Großbritannien. Darum ist ein Act der Volksjustiz, das Betheeren und Federn eines königlichen Zollbeamten, dem geschwärzte Unmenschen „Thee“ eingießen und mit Strick und Prügel drohen, carrikirt in den Vordergrund gestellt, während die geschichtliche That des Bostoner Theesturms, welche den „Funken in‘s Pulverfaß“ des nordamerikanischen Befreiungskrieges warf, in den Hintergrund verlegt ist. Das Bild ist im Jahre 1774 in London gemalt; das Betheeren und Federn des Zollbeamten geschah erst vier Wochen nach dem Theesturme, mochte aber der englischen Auffassung noch entsetzlicher erscheinen, als dieser, dessen Folgewichtigkeit damals noch nicht zu erkennen war. Daher trägt es auch nur die Unterschrift. „The Bostonians paying the excise-man or tarring & feathering.“ (Wie die Bostoner den Zolleinnehmer mit Theeren und Federn bezahlen.) Auch daß man als den Galgen, unter welchen der Gefederte eine Zeitlang gestellt wurde, einen Freiheitsbaum Liberty-Tree), wie sie damals in den Städten häufig errichtet wurden, in das Bild brachte, ist ein Beweis mehr für die bezeichnete Bestimmung desselben. Trotz alledem hat es seine Stelle unter den Geschichtsbildern der „Historischen Gesellschaft“ in Boston gefunden und feiert nun die hundertjährige Wiederkehr des großen Tages mit, den es verhöhnen sollte.

Der „Bostoner Theesturm“, oder, wie amerikanische Geschichtschreiber sagen, die „Bostoner Theegesellschaft“, bildet zwar, als nächste Ursache kriegerischer Feindseligkeiten, den Anfang des nordamerikanischen Befreiungskrieges, der nach achtjährigem Kampfe (1775–1783) mit der Anerkennung der „Vereinigten Freistaaten von Nordamerika“ endete. Mit gleichem Rechte erkennen wir aber in dem Bostoner Theesturme die Explosion, die nach zehnjähriger Gährung der sich feindlichen Elemente im Staatskörper der Colonien erfolgte. Diese „Krisis“, wie im Hinblick auf den Erfolg George Bancroft diese Zeit als den Ausgang der Staatskrankheit in Genesung bezeichnet, unseren Lesern in raschen Zügen darzustellen und mit der entscheidungsvollen Nachtarbeit der „Bostoner Theegesellschaft“ zu schließen, ist die Aufgabe dieses Artikels.

Der amerikanische Theil des „Siebenjährigen Krieges“, ein Abzweig des Vernichtungskampfes, den England, als Preußens Bundesgenosse, damals gegen Frankreichs Flotte und Seehandel führte, hatte die englische Macht auf dem nordamerikanischen Festlande außerordentlich erweitert und gefestigt. Im Frieden von Paris zwischen England und Frankreich am zehnten Februar 1763, dem der zu Hubertusburg zwischen Preußen und seinen Gegnern am fünfzehnten folgte, erhielt England die ehedem französischen Besitzungen Acadien (Neu-Schottland), Canada und Cap Breton, gab zwar Havanna an Spanien zurück, verband aber dafür Florida und alle ehemaligen spanischen Gebiete auf der Ostseite des Mississippi mit seinen Colonialländern, die fortan auf dem Festlande nirgends durch einen überlegenen Feind in ihrem Aufblühen gestört werden konnten. Die Colonien aber hatten redlich mitgefochten und durch ihre Tapferkeit und große Opfer das Glück verdient, dessen sie sich freuten.

Der Krieg hatte jedoch ungeheure Summen verschlungen. Die Schulden Englands waren bis auf hundertsechsundvierzig Millionen Pfund Sterling gestiegen, und die Last drückte schwer auf die Steuerpflichtigen. Da lag wohl der Gedanke nahe, die Einkünfte des Staats durch Auflagen auf die amerikanischen Colonien zu vermehren.

Dies geschah schon am 5. April 1764 durch die sogenannte Zuckeracte. Gemäß derselben wurden Zucker, Syrup, Molassen, Kaffee und Indigo, alle Weine außer den französischen und alle ostindischen seidenen und halbseidenen Tücher mit einer Abgabe belastet, die einem Verbote dieses Handels gleich kam.

Diese Maßregel war nach der bisherigen Behandlung der Colonien außerordentlich unklug, denn sie wurden stets rücksichtslos ausgenutzt für die britischen Handels- und Industrievortheile und bildeten den profitabelsten Markt für das Mutterland, das den stiefmütterlichen Charakter zu unverhüllt sehen ließ.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_812.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)