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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Südfrankreich gegenüber, gedrungen werden. Sodann müßten aber auch diejenigen Feinde, denen man wirklich das Räuberhandwerk zu legen vermag: Elstern, Rabenkrähen und Heher decimirt und Wiesel, Marder und Katzen streng überwacht werden.

Wie das Alles und noch manches andere auf den Vogelschutz Bezügliche eingerichtet und ausgeführt werden könnte, möchte ich ein anderes Mal vorzuschlagen mir erlauben. Vorläufig mögen diese Andeutungen genügen, um auf das drohende Uebel und seine mögliche Abwendung hinzuweisen. Und ein Uebel, ein großer Verlust wäre es jedenfalls, wenn die Nachtigall im grausamen und für die hochbegabte Sängerin so ungleichen Kampfe um’s Dasein in kürzerer oder längerer Frist erliegen, wenn sie einst nur noch in ornithologischen Sammlungen, allenfalls noch in großen, weniger zugänglichen Auenwaldrevieren zu sehen und zu hören sein sollte. Ein Verlust, freilich nicht für Diejenigen, welche die Meistersängerin niemals in ihrem Freileben und im Mai gehört haben, aber umsomehr für Alle, welche sich keinen rechten Maimorgen und keine rechte Maimondnacht ohne unsere herrliche Primadonna vorstellen können. Denn was die nicht immer competente und unparteiische Liebhaberei auch sagen mag: der Gesang der Nachtigall wird von keinem der gerühmtesten Singvögel erreicht, geschweige übertroffen, und es will mir geradezu unbegreiflich erscheinen, wie es Vogelgesangliebhaber – und wären es auch Capellmeister oder erste Opernsänger – wie es Liebhaber geben solle, welche beispielsweise den Gesang der amerikanischen Spottdrossel oder der grauen Grasmücke mit dem der Nachtigall auch nur vergleichen könnten.

Ich habe seit meiner Jugend eine leidenschaftliche Liebe für den Vogelsang, und viele Lieblinge unter den gefiederten Tonkünstlern haben mich seitdem immer wieder und in jedem neuen Frühlinge entzückt. Ich kenne mit sehr wenigen Ausnahmen südlicher Arten die Locktöne und Gesänge aller europäischen Singvögel, ebenso die der hervorragendsten ausländischen durch Selbsthören oder durch Beschreibungen reisender Kenner; aber auch nicht ein einziger ist mir bekannt, dessen Gesang sich an Tiefe, Kraft, Wohllaut und Rhythmus, an bestimmtem und doch wechselvollem und reichem Strophenbau, an schöner Modulation der Klangfarbe und überhaupt an großartiger Originalität, an deutlicher Vocalisation mit dem Nachtigallenliede auch nur entfernt messen könnte. Sein Charakter ist ein so bestimmt ausgeprägter, seine Wirkungen sind für alle nur mit einigem Tonsinne ausgestatteten Menschen so genau dieselben, daß nur dadurch die merkwürdige Uebereinstimmung der verschiedensten Völker aller Zeiten in seiner Charakterisirung und Deutung, wie in dem unerschöpflichen Lobe und Preise desselben erklärbar wird.

In welcher Cultursprache wäre die Königin des Gesanges nicht gefeiert und besungen worden von Homer bis auf heute! Welcher Vogelgesangliebhaber hätte nicht versucht, ihre reichen Lieder ohne Worte wenn nicht in Worte, so doch in bezeichnende Silben zu setzen! Bechstein, Naumann, Friderich und Andere haben die Strophen der in ihrer Heimath Lebenden wiedergegeben, denn die Nachtigallen, wie alle andern Singvögel, singen nicht überall in ihrem Verbreitungsgebiete gleich gut. Bechstein und Friderich zählen fünfundzwanzig Strophen, und Naumann bemerkt im Allgemeinen: „Je mehr und längere Strophen ein Schlag hat und je mehr von solchen darunter sind, welche im Tone auf- und abwärtssteigen wie die vierzehnte und siebenzehnte in der Bechstein’schen Angabe, und je weniger schirkende Töne oder kurze Strophen dabei sind, desto besser ist der Schlag.“ Diese vierzehnte und siebenzehnte Strophe lauten aber nach Bechstein, um eine Probe von seiner Angabe zu geben:

Lü lü lü lü ly ly ly ly lî lî lî lî und
Qui qui qui qui qi qi qi qi gi gi gi gi.

Ich meinerseits muß gestehen, daß ich zwar eine tüchtige Sängerin auch lieber höre als eine Stümperin, daß ich aber doch keiner der Strophen eines wirklich guten Schlages einen besondern Vorzug einräumen, daß ich mindestens keine einzige gern vermissen möchte.

Was aber auch zur Verherrlichung des Nachtigallgesanges in Versen und in Prosa geschrieben worden ist, einen so drastischen Beweis von seiner Wirkung hat meines Wissens doch kein Dichter und kein Naturforscher vorgeführt wie Fritz Reuter in seinem „Hanne Nüte“. Der alte würdige „Pastur, dem das heiter junge Frühlingsleben, der Wein und die Erinnerungen ein Bischen in den Kopf gestiegen“, entschuldigt sich in Folge des ehehälftlichen Vorhaltes, daß er „weltlich gesungen“ habe. „Sieh Dich um, Sohn! Die ganze Creatur ist in der Sünde tief versunken etc. Halt ’mal! War das die Nachtigall? – Wahrhaftig, ja! Bleib’ doch ’mal stehn! Ja, ja, sie ist’s. – Wie wunderschön!“ –

„Ja, ja, verderbt ist die Natur,“ fährt er in der Sprache der fossilen Orthodoxie fort, „und liegt in Höllen-Sündenbanden, und durch die Lust der Creatur macht uns der Böse all zu Schanden, darum mein Sohn …

Ei, ei, da ist sie wieder! –
Wie legen sich die Nachtigallenlieder
So trostvoll doch in’s Menschenherz!
Als wenn sie mit der Sehnsucht Klängen
Vom Himmel zu uns niederdrängen,
Zu zieh’n die Seele himmelwärts,
So süß gewaltig ist ihr Ton! –“

Coburg, im Mai 1874.

Dr. E. B.




Herman Grijn’s Kampf mit dem Löwen.
Altkölnische Sage.


Zu Köln am Domhof saßen
     Die würdigen Herren vom Stift,
Verdrossen über die Maßen
     Vor lauter Gall’ und Gift;

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Es mocht’ auch keiner dreister

     Auf sie zu sprechen sein,
Als Grijn, der Bürgermeister
     Der reichsgetreu’sten Stadt am Rhein.

Der wahrte jedem Bürger

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     Sein wohlverbrieftes Recht,

Daß auch der ärmste Schürger
     Nicht würd’ ein Pfaffenknecht;
Deß bosten sich am meisten
     Ein Knünch[1] und ein Kaplan;

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Die hätten dem Ueberdreisten

     Doch gar zu gern ein Leids gethan.

Am Domhof lag im Zwinger
     Ein Löwe grauenhaft,
Dem kein Athlet und Ringer

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     Gewachsen war an Kraft;

Den plagten sie mit Fasten
     Und luden gleißnerisch
Den Mann, den bestgehaßten,
     Auf guten Imbiß ein zu Tisch.

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Der hat’s wohl angenommen

     Und als er am Dom erschien,
Da hieß es: „Schön willkommen
     Seid Ihr, Herr Herman Grijn!“
Doch als er stand im Saale

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     – Sie ließen ihn just allein –

Da brach mit einem Male
     Das Löwenungethüm herein.

„Ha! Bin ich so zu Gaste
     Geladen an diesen Heerd?“

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Er rief’s voll Zorn und faßte

     Sein doppelschneid’ges Schwert.
„Daß man sich so maskire,
     Ist das am Dom erlaubt?“
Er rief’s und warf dem Thiere

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     Den seid’nen Mantel über’s Haupt.


Und eh’ der Leu begriffen,
     Den kölnischen Maskenscherz,
Da fuhr ihm scharfgeschliffen
     Der Stahl schon tief in’s Herz.

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Er sank mit Wuthgebrülle,

     Getroffen auf den Tod;
Da lag, von der seidenen Hülle
     Bedeckt, das arge Gastgebot.

Und als nun tief erschrocken

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     Das Pfaffenpaar erschien,

„Ihr hofftet zu frohlocken“ –
     So sprach Herr Herman Grijn;
„Ihr hattet mich dem Leuen
     Als Imbiß zugedacht.

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Das soll Euch schwer gereuen;

     Ihr sollt noch sterben diese Nacht.“

Da half kein Dräu’n und Bitten;
     Bald war der Spruch gethan,
Den Henkertod erlitten

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     Der Knünch und der Kaplan. –

Am Rathhaus sieht man heuer
     Gemeißelt noch in Stein
Das Löwenabenteuer;
     Zur Lehre soll’s dem Enkel sein. –

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So geht die kölnische Sage

     Vom Löwenkampf am Dom;
Drum gilt noch heutzutage
     Das Wort am deutschen Strom:
Ob süß es fall’, ob sauer,

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     Es sei dir Beides gleich;

Halt fest, du kölnischer Bauer,
     Halt fest am Kaiser und am Reich!

Hermann Grieben.



  1. Knünch, contrahirt aus Canonicus (wie Münch aus Monachus), ist die von Alters her in den Rheinlanden und in den oberdeutschen Gegenden noch heute volksübliche Bezeichnung der Stifts- und Domherren.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_417.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)