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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Zwölf Jahre darnach, und zwar wiederum an einem 14. April, kam der Reformator, dessen Wort längst die ganze deutsche Welt bewegte, dieselbe Straße daher, aber diesmal im Geleite gar hoher und mächtiger Herren, die zur letzten geistigen Vertheidigung des „Evangeliums“ nach Augsburg zogen. Nachdem Luther in der Schloßkirche zu Torgau über das Wort Jesu „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater“ gepredigt hatte, brach, gestärkt durch solch Gotteswort, der Kurfürst Johann „der Beständige“ zur Reichstagsfahrt auf. Zu seinem Gefolge gehörten außer seinem Sohne, dem Kurprinzen Johann Friedrich (später „der Großmüthige“) und Dr. Martin Luther, die Mitreformatoren Melanchthon, Justus Jonas, Spalatin, Johann Agricola und Andreas Osiander; an Fürsten, Grafen und Rittern Fürst Wolfgang von Anhalt, Herzog Franz von Lüneburg, die Grafen Albrecht und Jobst von Mansfeld, Graf Ernst von Gleichen und ein Herr von Wildenfels; ferner fünf kurfürstliche Räthe und die beiden Kanzler Dr. Brück und Dr. Beier; außerdem siebenzig Edelleute mit hundertsechszig berittenen Knechten, sämmtlich mit Schießzeug bewaffnet und in lederfarbener Kleidung. Die Reise von Torgau bis Coburg nahm vierzehn Tage in Anspruch; am Gründonnerstag gelangte der stattliche Zug von Gräfenthal durch Judenbach bis Neustadt; dort predigte Luther am Charfreitag und am Sonnabend Abends zog er in die Veste Coburg ein.

Am 5. October holte der Kurfürst mit seinem Gefolge Luthern zur Heimreise ab, und so kam der Reformator an diesem Tage zum vierten Male nach Judenbach.

Wenn für die beiden Bergvesten Wartburg und Coburg es als geschichtliche Ehre gilt, „Lutherburgen“ genannt zu werden, wer will es den Bewohnern Judenbachs und der weiten Umgegend verargen, wenn sie mit demselben Stolz von ihrem „Lutherwirthshaus“ sprechen? Und wie durch ein Wunder ist das alte Holzblockhaus, das so viel Großes gesehen, durch all die Jahrhunderte von Krieg und Brand glücklich erhalten worden bis diesen Tag. – Da aber der Verkehr längst sich andere Bahnen gebrochen, da namentlich, als Sonnebergs industrielles Aufblühen eine Straßenverbindung mit dieser Stadt, die vorher abseits der alten Heerstraße gelegen war, zur Nothwendigkeit machte, die neue Poststraße von Coburg über Sonneberg und Wallendorf nach Saalfeld gebaut wurde, so verödete die alte Straße über Judenbach und den Sattelpaß so vollständig, daß auch das alte Wirthshaus für die Bewohner keine Bedeutung mehr hatte. Es sollte in jüngster Zeit abgebrochen und gänzlich beseitigt werden.

Diesem letzteren Loose, gänzlich beseitigt, d. h. vernichtet zu werden, ist jedoch das schicksalreiche Gebäude entrissen worden. Ein Sonneberger Kaufherr, A. Fleischmann, brachte das alte Gasthaus, natürlich ohne die ehemaligen Goldgruben der Stallungen und Scheunen, an sich und beschloß, diesem „Lutherwirthshaus“ eine neue Stätte anzuweisen, wo der Blick in die Nähe und Ferne auf’s Innigste harmonire mit der geschichtlichen Bedeutung des alten Hauses und seiner Gäste aus der Reformationszeit. Unsere Abbildung führt den Leser an Ort und Stelle. Wir stehen auf dem Schönberg, einem im Osten von Sonneberg am weitesten in die fränkische Ebene hervortretenden Ausläufer des Thüringer Waldgebirgs. Hier hat die Natur die Grenze zwischen Thüringen und Franken, zwischen Nord- und Süddeutschland gezogen. Hinter uns beginnt die Thüringer Art der Berge und der Menschen, und vor uns breitet das prächtige Frankenland sich aus und begrüßt uns mit seiner ersten Ebene voll üppiger Fruchtbarkeit und dem Reiz seiner wechselvollen Hügellandschaften, begrenzt von den weitherschauenden Häuptern der Rhön, der Mainberge und des Fichtelgebirgs. Nur der nahe Mupperg bei der Nachbarstadt Neustadt, die von der Eisenbahn von Sonneberg nach Coburg berührt wird, beansprucht mit seiner Höhe von mehr als dritthalbtausend Fuß noch Thüringer Bergwürde. Vierundzwanzig Ortschaften kann ein scharfes Auge hier zählen; aber es sieht noch mehr. Wie vor vierthalb Jahrhunderten stehen hier heute noch die Grenzmarken des Glaubenshaders vor uns: hier der siegende Protestantismus mit seinem treuesten Zeugen, der Veste Coburg auf fernem Hügel; der Geist, der dort waltete, besiegte die Klöster des Landes, von denen wir Mönchröden am Fuße seines Kulmbergs vor uns sehen; ja, in Oberlind, dessen Kirchthurm links vom Wirthshausdache aus der Ebene heraufwinkt, hat Luther selbst die erste evangelische Gemeinde an der Grenze Thüringens und Frankens gegründet. Aber ebenso fest sehen wir dort links vom breiten Rücken des Mupperg auf und an den Höhen des Mains die Burgen der alten Kirche stehen. Dort ragen die Thürme von Banz, dem ehemaligen Benedictinerkloster, und die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen unter dem kühn geformten Staffelberg verkündet noch heute mit Missionen und Processionen die ungeschwächte Macht der katholischen Kirche.

So erblickt der Wanderer, der am kleinen Schiebfenster der Gaststube dieses Hauses gen Süden schaut, noch immer dasselbe Bild des deutschen Zwiespalts, das vielleicht dem Martin Luther an demselben Fensterlein vor dem geistigen Auge stand.

Unsere Leser werden gern zugestehen, daß die Rettung des alten Judenbacher Lutherwirthshauses und die Versetzung desselben an diese Stelle mehr als gerechtfertigt sind, daß Beides die Anerkennung Aller verdient, die dem schweren Kampf der Gegenwart nicht gleichgültig – oder gar schadenfroh – zusehen, sondern uns beistimmen, daß die Erinnerung an die erste Reformationszeit und ihre unerschütterlichen Helden in den Massen des Volks nicht oft und packend genug geweckt werden kann. Das alte Lutherwirthshaus auf dieser Höhe hat eine solch’ erweckende Kraft, und darum haben wir Beides unseren Lesern in Bild und Wort vorgeführt.

Mit der Einweihung des alten Wirthshauses auf seiner neuen Stelle ist in den ersten Tagen des August ein Volksfest verbunden, ebenfalls ein selbstständiges Unternehmen des Herrn A. Fleischmann, für welches Gelehrte, Dichter und Künstler bereits fleißig vorgearbeitet haben. Gedruckt liegt vor uns, außer Einladung und Programm, ein „Festspiel“, ein „Wettkampf der Meistersinger vor dem Kurfürsten“ und die oben erwähnte „Chronica von Judenbach“, die das Geschichtliche der Feier vertreten, die schon der beschränkten Oertlichkeiten und der gedrückten Geschäftsstimmung wegen keine großen Dimensionen annehmen soll; etwa ein Dutzend fliegende Blätter, in Geist, Stil und Ausstattung des Reformationszeitalters für einen „jahr margkt“ zu Judenbach und ein „Preiß schießen“ auf dem Schönberg, bei welchem auch Tetzel mit seinem Ablaßkram zu erscheinen hat und bei welchem weder der Doctor Eisenbart noch der Bänkelsänger der „großen Morithat“ wird fehlen dürfen, gehören zu den heiteren Partien dieser Lutherwirthshaus-Weihe. Möge der Ernst der Zeit dem gesunden deutschen Humor für dieses Volksfest einen recht guten Tag frei geben!

Friedrich Hofmann.




Die Zigeuner am Eibsee.


Eine ethnographische Berichtigung von Fritz Keppler.


Am Fuße der mit unnahbar steilen Wänden nach Norden abfallenden Zugspitze liegt in waldstiller Einsamkeit der großartigste und wildeste unter den Seen des bairischen Hochlandes, der Eibsee, aus dessen stahlblankem Spiegel alle Schauer der Wildniß den staunenden Wanderer anstarren. Ein mit Föhrenwald bewachsener Gebirgszug, hinter dessen sammetgrünem Dunkel jähe Felsenwände und zerklüftete Kalkklippen marmorweiß hervorschimmern, umschließt mit ringförmigen Krümmungen die schwarzgrün schimmernde Fluth; hinter ihm, im Süden und Südosten, ziehen sich ohne Unterbrechung von der Zugspitze bis zum Waxensteine meilenlange und meilenhohe Felsenwände hin, die alle kahl, grau und unzugänglich sind; ihre glatte, gleichförmig graugelbe Fläche wird zuweilen, wo die Felswand weniger steil abfällt, von großen mattblinkenden Schneefeldern unterbrochen; im Westen erhebt sich in ungeheuren Wellenbergen dahinragend, vom Kramer bis zum Frieder sichtbar, der gewaltige Gebirgszug, der das Loisachthal vom Graswangthale scheidet; im Norden ragt der bronzeglänzende Gipfel des Frickens und die Doppelpyramide des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_488.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)