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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Geist eines Tages verfolgten, die verschiebbare Thür im Cabinete entdeckten und schließlich den Spuren des Geistes selbst bis in sein Schlafzimmer im dritten Stock nachgingen, wo er ihnen dann auch bald recht höflich Rede stand und sich zu obigem Protocoll verstand.

Die junge Person, die mit so viel Grazie und Geschick diese Rolle spielte, soll hübsch und anmuthig und dabei von sehr zarter Gesundheit sein; sie ist Wittwe und hat ein Kind und eine alte Mutter zu ernähren. Sie verstand sich nur aus Noth, wie sie ferner aussagte, zu diesem äußersten Schritte, der ihr großen Kummer und viele Thränen verursachte, da sie sich des groben Betrugs völlig bewußt war.

Merkwürdig ist aber, daß das Holmes’sche Ehepaar unter seinen Anhängern bekannte und bedeutende Namen zählt, die sich öffentlich zu diesem Geisterglauben bekennen, zwar in diesem Falle den Betrug zugeben, aber dennoch von der „Verkörperung der Geister“ fest überzeugt sind.

Hier in Boston allein hat das Geisterwesen zwei Organe, „Banner des Lichts“ und „Geister-Forscher“, die ganz den Besprechungen und Kundgebungen über diesen Gegenstand gewidmet sind und sich rühmen, daß die Rochester Geisterklopferei und die Verkörperung der Geister von Amerika aus über die ganze Welt verbreitet worden sind.

M. W.




Franzosen und Französinnen.

Von Ludwig Kalisch.
II.


Indem ich meine in Nr. 12 dieses Blattes unter obigem Titel begonnenen Studien hiermit nach längerer Unterbrechung wieder aufnehme, möchte ich zuerst auf einen bezeichnenden Zug im französischen Charakter hinweisen:

Bei aller Heißblütigkeit, bei allen leidenschaftlichen Aufwallungen besitzt der Franzose doch einen sehr klaren, praktischen Verstand. Das Unklare, das Undeutliche, das Verworrene ist ihm zuwider. Ist aber Klarheit eine hervorragende Eigenschaft des französischen Geistes, so bildet Heiterkeit den Grundzug des französischen Temperaments. Der Franzose faßt das Leben mit munterem Sinne auf, mit jenem „esprit gaulois“, den er als ein vorzügliches Erbe seiner gallischen Urahnen betrachtet, und ist bei Weitem geneigter, über die Schwächen und Gebrechen der armen Menschheit zu scherzen und zu lachen, als darüber Thränen des Jammers zu vergießen. Er schnallt sich nicht gern den Kothurn an und liebt die hochgeschürzte Thalia bei Weitem mehr, als die streng drapirte Melpomene. Die französische Tragödie ist mit wenigen Ausnahmen conventionell, kalt, declamatorisch; die komische Bühnenliteratur der Franzosen, von der Posse bis zur vollendeten Charakterkomödie, ist voll Leben und Naturwahrheit. Ja, die Franzosen sind unter allen modernen Völkern das einzige, das eine wahrhaft komische Bühne besitzt und dieselbe unausgesetzt mit neuen Hervorbringungen versieht.

Selbst im hohen Greisenalter verliert der Franzose nicht den heitern Sinn. Er sieht nicht, wenn die Jahre seinen Scheitel gebleicht und tiefe Furchen in seine Stirn gegraben, schmollend und grollend auf die freudige Jugend. Er nimmt vielmehr gern Theil an ihren Belustigungen und äußert sein Mißfallen, wenn er junge Leute mit kalten Gesichtszügen sieht. Nichts ist ihm überhaupt verhaßter, als die „morgue“, als das sauertöpfische Wesen. Er glaubt, daß, wer nicht mit Anderen lacht, auch nicht mit Anderen fühlt, daß man das Herz eines Menschen nicht erschüttern kann, der sich das Zwerchfell nicht erschüttern läßt. Nirgendwo findet man frischere, lebensfrohere, jugendlichere Greise als in Frankreich, und nirgendwo erhalten sich hohe Greise in solch rastloser Thätigkeit. Ingres hat noch als hoher Achtziger an seiner Staffelei geschaffen; Auber hatte beinahe das Alter von neunzig Jahren erreicht, ohne seiner Muse zu entsagen oder in seiner Unterhaltung an Anmuth, Witz und Lebhaftigkeit etwas zu verlieren; dem achtundachtzigjährigen Guizot hat nur der Tod die emsige Feder aus der Hand reißen können, und Thiers, ein tiefer Siebenziger und der französischste aller Franzosen, setzt durch seine unermüdliche Rührigkeit und den Zauber seines Gespräches die reiche Schaar seiner Freunde und Widersacher in Erstaunen. Ich weiß nicht, ob sich die Jugendfrische durch Thätigkeit erhält, oder ob diese durch jene aufgemuntert wird. Wahrscheinlich wirken beide wechselseitig auf einander. So viel ist indessen gewiß, daß, wenn der Franzose selbst im Greisenalter sich eine jugendliche Heiterkeit bewahrt, er dies zum großen Theile dem Umgange mit den Frauen verdankt, welchem er in keiner Altersstufe entsagt, ja, ohne welchen er gar nicht leben kann. Und hier erlaube mir der Leser, etwas auszuholen und eine Lanze für die Französinnen zu brechen!

Die armen Französinnen! Wie verkehrt, wie ungerecht werden sie im Auslande beurtheilt! Die sogenannte kleine Pariser Presse, die meisten Stücke des jüngeren Alexander Dumas und dessen Nachahmer, die Romane Feydeau’s und vieler Anderer haben nicht wenig zu dieser ungerechten Beurtheilung außerhalb Frankreichs beigetragen, und die Fremden, die eine Vergnügungsreise nach Paris machen, suchen dort meistens nur solche Bekanntschaften, durch welche sie keineswegs in den Stand gesetzt werden, ihr Urtheil zu berichtigen. Auf dem Asphalt der Boulevards und den öffentlichen Belustigungsplätzen kann man doch eben die weibliche Jugend nicht kennen lernen. Auch sind es nicht immer Französinnen, die aus der Galanterie ein Geschäft machen. Das Contingent zur Pariser Halbwelt liefert die ganze Welt, und was die kleineren Weltfractionen betrifft, so sind dieselben in Paris nicht zahlreicher als in andern großen Städten. Dem sei aber, wie ihm wolle, wer nur einigermaßen die Geschichte Frankreichs kennt, weiß, welche bedeutende Rolle das Weib in dieser Geschichte spielt.

Fast auf jedem Blatte der politischen und Culturgeschichte Frankreichs begegnet man einem ausgezeichneten Weibe. Heloïse, Laura, Jeanne d’Arc, Jeanne Hachette, Madame Roland, Lucile Desmoulins sind unvergängliche Namen. Madame Dacier ist in der Gelehrtenwelt, Madame Vigée-Lebrun in der Kunstwelt bekannt genug, und die Schriften der Madame de Sévigné und der Madame de Staël gehören zu den französischen Classikern. Doch sprechen wir von der Gegenwart! Die greise George Sand ist noch immer in schriftstellerischer Thätigkeit, und die Werke Rosa Bonheur’s und Henriette Browne’s zieren die besten Kunstsammlungen. Freilich sind diese zwei Künstlerinnen die vorzüglichsten, sie sind aber durchaus nicht die einzigen in der französischen Malerschule der Gegenwart. Wer einen Blick in den Katalog der alljährlichen Pariser Kunstausstellung wirft, wird in demselben unzählige Frauen durch größere oder kleinere Werke vertreten finden, und was Muth, Aufopferungsfähigkeit, Gutherzigkeit und ergebungsvolle Ausdauer in unsäglichen Entbehrungen und Leiden betrifft, so hat das französische Weib im jüngsten Kriege und besonders während der Belagerung von Paris mit Recht allgemeine Bewunderung erregt.

Die Französin fühlt und empfindet nicht wie das deutsche Weib; sie steht aber keineswegs unter diesem. Vergleicht man die mittleren Schichten der französischen Bevölkerung mit der deutschen, so muß man gestehen, daß in dieser das Weib viel unterrichteter ist als in jener; hingegen hat man auch anzuerkennen, daß die Frauen des französischen mittleren Bürgerstandes thätiger sind als die des deutschen. Dies gilt besonders von Paris und den größeren Provinzialstädten. Die Französin theilt mit ihrem Gatten die Arbeit, ja nicht selten übernimmt sie die größere Hälfte, und die Arbeit beginnt oft am frühen Morgen, um erst gegen Mitternacht, oder sogar nach Mitternacht, zu enden, wie dies der Fall in den unzähligen Kaffeehäusern ist, die nicht vor ein Uhr Morgens geschlossen werden und in denen Frauen an der Casse sitzen und die Bücher führen. Sie hält es auch nicht unter ihrer Würde, die geringsten Hausmagddienste zu verrichten. Gar manche Frau, die während des Tages in hübscher Toilette den Kunden die Handschuhe anmißt, steht am frühen Morgen in Holzschuhen mit dem Besen in der Hand,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_704.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)