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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Ich soll und muß aus Spanien. Mein Hiersein
Ist Athemholen unter Henkershand –
Schwer liegt der Himmel zu Madrid auf mir,
Wie das Bewußtsein eines Mords. Nur schnelle
Veränderung des Himmels kann mich heilen.
Wenn Sie mich retten wollen – schicken Sie
Mich ungesäumt nach Flandern!“

Nach einer hier durchaus nöthigen kurzen Pause, die Hübsch nicht durch Worte, sondern durch einige unarticulirte Töne auszufüllen sich abmühte, fahre ich rasch fort:

„O jetzt umringt mich, gute Geister! Vater,
Unwiderruflich bleibt’s bei der Entscheidung?“

Dann verbeuge ich mich, schließe mit den Worten: „Mein Geschäft ist aus“ die Scene und stürze ab. Der rauschende Applaus, der meinen Abgang begleitete, ließ mich vermuthen, daß das Publicum noch keine Ahnung von der Tragödie in der Tragödie hatte, und eiligst verfügte ich mich nach der Coulissenseite, auf der ich den Regisseur zu finden hoffte, um ihm die schreckliche Wahrnehmung mitzutheilen; als ich jedoch, ihn suchend, einen Blick auf die Bühne werfe, sehe ich das Unglaubliche. Hübsch starrt das Publicum an, öffnet den Mund, schließt ihn wieder, wirft dann einen stieren Blick in den Souffleurkasten, dann wieder einen in das Publicum, das nun unruhig zu werden anfängt, weil die Pause bereits zwei peinlich lange Minuten gewährt hat, dann aber, als endlich sich der Vorhang langsam senkt, scheint er aus seiner Betäubung zu erwachen; er läßt den Vorhang nicht ganz zur Erde fallen, sondern hält ihn mit der einen Hand, um sich mit folgenden Worten an das Publicum zu wenden:

„Gnädigster Herzog, verehrungswürdiges Publicum! Der Pfarrer auf der Kanzel kann sich versprechen, darum haben Sie auch Nachsicht mit einem armen Schauspieler.“

Jetzt aber wurde er beim Arme ergriffen und zurückgezogen, damit der Vorhang sich ganz senken konnte; der Intendant, Baron von Grube, der inzwischen aus der Intendanzloge des ersten Ranges auf die Bühne geeilt war, herrschte ihm nun entgegen: „Herr! Sie schänden unser Hoftheater. Sie werden nicht weiter spielen! Entkleiden Sie sich!“

Hübsch, der kein Wort der Erwiderung fand, maß ihn zwar von oben bis unten, ging aber dann ruhig, der Weisung folgend, nach der Garderobe, wo er von drei Schneidern im Empfang genommen und rasch entkleidet wurde, damit der Regisseur Kawaczynski, der, da er die Rolle früher gespielt, schon am Morgen den Wink erhalten hatte, für alle Fälle bereit zu sein, sich der Garderobestücke sofort bedienen konnte. Die Vorstellung nahm nunmehr, nachdem dem Publicum angezeigt war, daß wegen plötzlich eingetretenen Unwohlseins des Herrn Hübsch Herr Kawaczynski die Rolle des Philipp übernommen hätte, ihren ungestörten Fortgang. Der zu Rath gezogene Theaterarzt erkannte diese so plötzlich ausgebrochene Krankheit sogleich als eine sehr gefährliche, ließ einen Wagen kommen, den Patienten nach Hause fahren und ihn während der Nacht bewachen. Am folgenden Morgen schon wurde die irrige Meinung des Publicums, Herr Hübsch hätte sich erfrecht, im Rausche die Bühne zu betreten, durch die Trauerkunde berichtigt, daß der Unglückliche in Tobsucht verfallen und gebunden nach Erlangen in’s Irrenhaus gefahren worden wäre. Seine herbeigeeilte Familie fand ihn nicht mehr am Leben. Er wurde in Erlangen begraben und ist vergessen worden, ich aber werde des Blicks, mit dem er die Worte: „weiche Seele“ an mich richtete, stets eingedenk bleiben.


Die Reblaus als Ursache einer wichtigen Entdeckung. Unter den von Sachverständigen zur Vertilgung der Rebläuse in Vorschlag gebrachten Stoffen wurde auch eine Substanz empfohlen, die Schwefelkohlenstoff in Verbindung enthält und diesen bei der Berührung mit feuchter Erde wieder frei giebt. In Folge dessen konnte es nicht ausbleiben, daß die Fachmänner sich mit den Wirkungen dieser Substanz längere Zeit beschäftigten. Bei dieser Gelegenheit machte Herr Professor Zöller in Wien in jüngster Zeit eine eigenthümliche und interessante Entdeckung; er beobachtete nämlich, wenn er feuchte Erde mit geringen Mengen dieses Stoffes zusammenbrachte, den man wissenschaftlich mit dem nicht sehr mundgerechten Namen „xanthogensaures Kalium“ bezeichnet, daß selbst bei einer schwachen Entwickelung von Schwefelkohlenstoff in den Versuchsgefäßen niemals eine Pilzbildung zu entdecken war. Fehlte jedoch die Substanz, so trat unter sonst völlig gleichen Verhältnissen immer eine Pilzbildung auf.

Diese Beobachtung gab ihm die Veranlassung zu einer weiteren Prüfung, die darin bestand, den Schwefelkohlenstoff auf seine desinficirenden und conservirenden Eigenschaften zu untersuchen. Bei diesen Versuchen wurden die verschiedenartigsten Gegenstände, die unter Zutritt der Luft früher oder später dem Verderben unterworfen sind, durch geeignete Vorrichtungen in eine feuchte, etwas Schwefelkohlenstoffdampf enthaltende Atmosphäre gebracht.

Auf die angegebene Weise konnte man Ochsen- und Kalbfleisch zweiunddreißig Tage hindurch bei einer Temperatur von fünfzehn bis vierundzwanzig Grad Celsius vor Fäulniß schützen, und zeigten die angeführten Fleischsorten weiter keine Veränderung als ein Blaßwerden an der Oberfläche; im Innern blieb das frische Ansehen vollkommen erhalten. Geschlachtete und ausgeweidete Hühner wurden in gerupftem und ungerupftem Zustande zu einem zweiten Versuche verwandt, auch diese hielten sich bei der nämlichen Temperatur zweiunddreißig Tage, ohne Fäulniß zu zeigen. Heißes Roggen- und Weizenbrod, das sofort nach der Herausnahme aus dem Backofen in die schwefelkohlenstoffhaltige, feuchte Luft gebracht war, ließ nach vierzehn Tagen noch keine Spur von Schimmelbildung erkennen. Auch überreife Zwetschen hielten sich bei einer Zimmertemperatur, die nicht unter zwölf Grad Celsius sank, im Beisein von etwas Schwefelkohlenstoffdampf, einhundertzweiundneunzig Tage, ohne zu verderben, obgleich während der Dauer des Versuches das die Zwetschen enthaltende Gefäß acht bis zehn Mal geöffnet wurde.

Die weiteren Resultate, die Herr Professor Zöller erhalten, übergehe ich hier; sie beweisen ebenfalls die bedeutende Wirksamkeit des Schwefelkohlenstoffs als Conservirungs- und Desinfectionsmittel.

Aus Interesse für den im Vorstehenden besprochenen Gegenstand stellte ich einige Conservirungsversuche an, und zwar mit rohem Rindfleische. Ich erhielt, wie zu erwarten, dieselben Resultate wie der genannte Forscher und beobachtete dabei, daß in einer stark schwefelkohlenstoffhaltigen Luft etwa fingerdicke Fleischstücke durch die ganze Masse blaßgrünlich gefärbt wurden. Es ist also ein unnöthiger Ueberschuß dieses Conservirungsmittels zu vermeiden.

Es ist denkbar, daß die praktische Verwerthung dieser Conservirungsmethode für den Transport von Lebensmitteln, wie Fleisch etc. nach solchen Orten, wo Mangel in dieser Hinsicht vorhanden ist, auch eine volkswirthschaftliche Bedeutung gewinnen wird.

Dr. Julius Erdmann.

Sommer-Eisbahnen auf wirklichem Eis. Zu den wesentlichen Eigenthümlichkeiten der auf die Spitze getriebenen sogenannten Civilisation hat es jederzeit gehört, die Natur auf den Kopf zu stellen und in einem Leben wider die Natur die höchsten Genüsse zu suchen. Man denke an die alten Römer in den Kaiserzeiten, an die Franzosen unter Ludwig dem Vierzehnten – oder besser, man fange bei sich selbst an! Die höchste Unnatur im Kopfputz und in der Kleidung ist „Mode“, ein Kleiderzuschnitt, als ob die Hottentotten-Venus unser Ideal wäre; ohne falsche Haare geht es nicht mehr, und sollten die Todten darum geplündert werden. Die Bäume im Garten werden zurechtgestutzt, die Pferde grausam verstümmelt, die Hunde als Löwen geschoren. Die schöne Landschaft kommt nur noch auf Gemälden zur Geltung und der Sonnenaufgang im Theater. Im Ballete erfreuen wir uns an dem künstlichen Sonnenschein, der durch Leinwandwolken herabglitzert, ja die Schlittschuhläufer in Meyerbeer’s „Propheten“, die uns durch ihre drolligen Künste amüsiren, sind von den Brettern, welche die Welt bedeuten, heruntergestiegen, und Tausende, welche nie ein gefrorenes Wasser betreten haben, finden ein Vergnügen daran, im Sommer Schlittschuh zu laufen.

Aber was für Stümper bleiben wir Deutschen in Sport-Angelegenheiten doch stets gegen die Engländer! Wir begnügen uns mit Cement und fahren auf häßlich schnarrendem Räder-Cothurne, während man dort, auch im Juli und August, für wirkliche Eisflächen zu sorgen weiß, über die man mit echten Stahlschlittschuhen dahingleiten kann. So eine echte Sommer-Eisbahn, wie sie unter anderem in Chelsea besteht, kostet freilich mehr Geld zu unterhalten, als eine Cementbahn, aber dann hat man doch wenigstens einmal gründlich der Natur eine Nase gedreht, während man sich auf der letzteren nur selbst betrügt. Der Fußboden in den diesem neuesten Raffinement gewidmeten Räumen ist dicht mit einem Schlängelwerk dünner Metallröhren bedeckt, in denen beständig Salzwasser circulirt, welches ungefähr bis auf sieben Grad unter dem Gefrierpunkte abgekühlt ist. Die intensiv kalte, nicht selbst gefrierbare Flüssigkeit dieses Röhrensystems bringt die darübergegossene dünne Wasserschicht sehr schnell zum Gefrieren und bewahrt das Eis bei der größten Sommerhitze vor dem Abschmelzen, während der bedeckte und angemessen decorirte Raum angenehm abgekühlt wird. Dem Salzwasser entzieht man, beiläufig bemerkt, seine über –7 Grad weit hinausgehende Sommerwärme durch die rapide Verdunstung flüssiger schwefliger Säure, einer Flüssigkeit, die man durch Zusammenpressen des bekannten stechenden Dampfes von brennendem Schwefel gewinnt. Die Arbeit des „gestrengen Herrn Winters“, den einst Moritz Schwind so schön gezeichnet, „wie er mit emsigem Fleiße die Eisdecke über den Fluß spannt und glättet“, besorgt in letzter Instanz eine Dampfmaschine, welche auf der einen Seite die schleunige Verdampfung der das Salzwasser kühlenden schwefligen Säure, auf der andern die Wiederverdichtung des dabei durch gewöhnliches Brunnenwasser gekühlten Dampfes bewirkt. Man hat nämlich in neuester Zeit diese Flüssigkeit als das beste und billigste Medium erkannt, Kälte fabrikmäßig zu erzeugen. Was würde wohl der alte weise Seneca, der schon darüber eiferte, daß die römischen Schwelger ihren Wein mit weit hergeholtem Gebirgsschnee kühlten, zu unseren mit Dampfmaschinen betriebenen Sommer-Eisbahnen sagen?

C. St.

Zur Benachrichtigung. In Folge eines plötzlich eingetretenen Unwohlseins unseres Bayreuther Specialreferenten, Herrn Wilhelm Marr, kann der Schluß der Plaudereien aus den Wagner-Festtagen leider erst in der nächsten Nummer unseres Blattes erscheinen.



Kleiner Briefkasten.

W. H. in Glarus. Wir können Sie und die übrigen dortigen deutschen Arbeiter nicht dringend genug bitten und ermahnen, derlei Auswanderungs-Agenten jederzeit die Thür zu weisen. Wenn Sie erst herausgekundschaftet hätten, wie viel solche Herren für jeden abgelieferten Centner Menschenfleisch als Gratification empfangen, so würden Sie untäuschbar erkennen, wie viel das Geschäft werth ist. Ueberall, wo Geschäftsstockung und schlechter Verdienst freie und willige Hände versprechen, sind die Lockvögel nach Australien und Brasilien da und werfen die Angeln ihrer Versprechungen aus, und Noth oder Wanderlust treiben oder locken die unglücklichen Opfer in’s Garn. Es ist Pflicht der Behörden, diesen modernen Werbern streng auf die Finger zu sehen, da die Unwissenheit, auf welche sie speculiren, noch immer so groß ist.

A. W. in Fürth. Ueber die Salicylsäure und deren Anwendung finden Sie in der bei Barth in Leipzig erschienenen Broschüre: „Die Salicylsäure von Fr. von Heyden“ die gewünschte ausführliche Auskunft.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_610.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)