Seite:Die Gartenlaube (1877) 182.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


und war als angenehmer Gesellschafter überall gern gesehen. Erst aus seinem Testamente hat man erfahren, daß es in seinem Herzen eine Stelle gab, wo ein wehmüthiges Erinnern an begrabenes Glück fortlebte. Es war jedenfalls nicht mächtig genug, um einen Schleier über sein Leben zu breiten, und sein volles, blühendes Gesicht trug nicht die leiseste Spur stillen Seelenleidens.

Viel Schmerz und Aerger hat ihm die Wiener Kritik gemacht. Er sprach sich gegen mich oft und bitter darüber aus, daß es hier Sitte geworden, den Verfasser eines Stückes wie einen Verbrecher zu behandeln und ein unendlich verschiedenes Maß anzulegen, je nachdem ein dramatisches Werk auf der Hofbühne oder in der Vorstadt zur Aufführung kommt. An den Poeten, deren Dramen im Burgtheater gegeben werden, läßt die Kritik gewöhnlich kein gutes Haar; unbarmherzig, unerbittlich zerstampft sie Stück und Autor, damit das Publicum lache. Für die Vorstadtbühnen gilt leichteres Gewicht, und so unbedeutend die Stücke oft sind, welche dort in Scene gehen, die Verfasser werden nicht durch die Spieße gejagt.[1]

Für das Burgtheater zu schreiben, dazu gehört eine gewisse Todesverachtung oder mindestens vollendete Gleichgültigkeit gegen die Kritik. Wilbrandt und Weilen wissen davon zu erzählen, wie übel ihnen nach jedem neuen Stücke mitgespielt wird, selbst dann, wenn das Werk zwanzig Aufführungen erlebt. Mosenthal ward sogar in der Regel etwas mehr geschont, als die beiden eben genannten Dichter, denn er wußte mit den größeren Zeitungen der Residenz Fühlung zu behalten. Trotzdem klagte er, und im Wesentlichen auch mit Recht. Hätten wir heute einen Goethe, einen Schiller, die unsere Bühnen mit Neuigkeiten versorgten, so möchte die unerbittliche Strenge gegen die Kleinen am Platze sein, obwohl schließlich jeder Dichter sagen darf: Laßt mich leben! Da aber die großen Dramatiker todt sind und das Theater Novitäten braucht, wie der Hungrige ein Stück Brod, so scheint es mir ungerecht und unpassend, die lebenden Theaterdichter literarisch hinzurichten. Auf diesem Felde nützt die Abschreckungstheorie Nichts, und in Ermangelung von Genies sollte man die Talente fördern.

Auf freundliche Anerkennung hätte somit auch Mosenthal Anspruch gehabt. Daß er kein Poet ersten Ranges war, wußten seine wärmsten Freunde. Man darf nur seine gesammelten Gedichte lesen, um sich zu überzeugen, wie spärlich die Goldkörner in denselben zu finden sind. Wir kennen kein einziges lyrisches Gedicht von ihm, das ihn zu überleben verdiente. Die eigentliche dichterische Ader ist daher auch in seinen Dramen schwach, obwohl er auf glatten Vers und schöne Sprache große Stücke hielt und sich in blumen- und bilderreichem Pathos nicht wenig gefiel. Aber er kannte das Theater; er besaß eine wahre Erfindungsgabe für dramatische Verwandlungen, richtiges Verständniß für Bühnenwirkung. Seine Stücke, ohne für die Unsterblichkeit geschrieben zu sein, waren durch Jahre eine willkommene Stütze des deutschen Repertoires, und es befindet sich fast kein einziges darunter, dem nicht einzelne Schönheiten nachzurühmen wären. So behauptet er in der Literatur immerhin einen ehrenvollen Platz.

Seinen ersten und größten Erfolg errang Mosenthal, wie aller Welt bekannt ist, mit der „Deborah“. Das tiefgekränkte Judenmädchen wanderte durch ganz Europa, ward in alle Sprachen übersetzt und zog nach Amerika hinüber. Man sagte nicht mit Unrecht, das Stück käme um ein halbes Jahrhundert zu spät, denn wohin war die Bedrückung der Juden geschwunden, als Deborah zum ersten Mal dem zusammenbrechenden Joseph zudonnerte: „Elender Staub, Du reizest mich nicht mehr!“? Ja, als Mosenthal’s Drama, nachdem es die Runde über alle Bühnen Deutschlands und des Auslandes gemacht, im Sommer 1864 endlich auch im Burgtheater zur Aufführung kam, erhoben sich bereits an der Wiener Ringstraße, dicht aneinander gereiht, die Paläste der jüdischen Börsenritter. Aber das Stück behandelt eine sociale Frage, die noch heute fortzittert; es greift in das Leben des Volkes hinein und wird von dem schlichtesten Manne auf der letzten Galerie verstanden. Mosenthal hätte wohl am besten gethan, wenn er das Volksstück als seine eigentliche Aufgabe betrachtet hätte. Der ungeheuere Erfolg der „Deborah“ wies ihn darauf hin, und das Glück blieb ihm auch bei seinem zweiten und dritten Versuche in dieser Richtung treu, dem „Sonnwendhof“ und dem „Schulz von Altenbüren“. Im „Sonnwendhof“ herrscht echtes Volksleben; im „Schulzen“ hat Mosenthal etwas fertig gebracht, was ihm sonst nie gelingen wollte: Einen Mann von schroffem Charakter. Sonst sind gerade die Männer die schwache Seite seiner Dramen; sie leiden alle an einem verschwommenen, weichlichen Wesen. Es ist auch sicher kein Zufall, daß die meisten Stücke Mosenthal’s einen weiblichen Namen als Titel tragen. Im Mittelpunkte der Handlung steht bei ihm gewöhnlich eine Frau; die weibliche Natur war ihm vertrauter als die männliche.

Nebst den Volksstücken schuf Mosenthal seine besten Dramen dann, wenn er sich literarische Helden wählte, wie im „Deutschen Dichterleben“ und den „Deutschen Komödianten“. Im ersteren Stücke ist die Klippe, welche das Verhältniß Bürger’s zu Molly bietet, mit großem Geschicke umschifft, und der für die Bühne geradezu bedenkliche Stoff so gewandt behandelt, daß der Zuseher bei aller Theilnahme für die unglückliche Dora ganz zufrieden ist, als sie am Schlusse stirbt und die Hände der beiden Liebenden ineinander legt. In den „Deutschen Komödianten“, dem einzigen Stücke, zu dem Mosenthal ernsthafte Studien machte, liegt ein Stück Culturgeschichte. Auf dem Theater hatte es nur einen schwachen Erfolg, wenigstens hier in Wien, wo Dramen mit dürftiger Handlung, auch wenn sie sonst noch so fein ausgeführt sind, selten mehr als einen Ehrenerfolg erringen.

Dem regen Ehrgeize Mosenthal’s genügte es nicht, im Volksstück und im bürgerlichen Trauerspiele Anerkennung zu finden; er geizte nach dem Lorbeer des Tragödiendichters. Schiller schwebte ihm als Ideal vor, und schon seine Jugendarbeit „Cäcilia von Albano“ war getreu nach dem Muster des Lieblingsdichters der Nation zugeschnitten. Aber dieser erste Versuch hätte Mosenthal belehren sollen, daß seine Kraft für die Tragödie nicht ausreiche, daß hierfür nicht nur ein schönes Talent, sondern eine gewaltige Natur mit starken Leidenschaften erforderlich ist. Trotzdem beharrte unser Dichter durch viele Jahre auf dem hochtragischen Pfade. „Düveke“, „Pietra“, „Isabella Orsini“, „Maryna“ und zuletzt noch „Parisina“ gehören alle derselben Gattung an. Die einzige „Pietra“ behauptete sich länger auf dem Repertoire. Sie ist unter den Tragödien Mosenthal’s die beste und kräftigste, wenn auch die Liebe der Kinder zweier feindlicher Geschlechter, nicht zum Vortheile des Nacheiferers, stark an „Romeo und Julie“ erinnert. In allen diesen romantischen Familiendramen herrscht das opernhafte Element vor. Sonnenuntergang, Abendroth, Glockengeläute, musikalische Begleitung einzelner Scenen wiederholen sich fast in jedem. Mosenthal mochte diese Zuthaten nicht entbehren; sie waren ihm Bedürfniß. Er wußte als erfahrener Bühnentechniker, daß solche Dinge niemals ohne Wirkung auf das Publicum bleiben. Auch lagen sie ihm nahe, weil er viele Operntexte[WS 1] geschrieben, z. B. zu Kretschmer’s „Folkungern“, zu Goldmark’s „Königin von Saba“, zu Doppler’s „Wanda“, zu Käsmayer’s „Landhaus“, zu Brüll’s „Goldenem Kreuz“.

Auch im Lustspiel und im „Sittenbild“ nach neuestem Muster versuchte sich Mosenthal, dessen rührige Vielseitigkeit in demselben Grade zunahm, wie die dichterische Zeugungsfähigkeit mit den Jahren schwächer ward. Die „Sirene“ hat den großen Fehler, daß sie nicht lustig ist, und die Figur eines faulen, verkommenen Journalisten, welche darin vorkommt und von unverkennbarer Rachsucht gegen die Wiener Kritik eingegeben war, reizte diese bis auf das Aeußerste. Das Stück war ein Gegenbild zu Bauernfeld’s „Aus der Gesellschaft“. Hier, wie in Mosenthal’s „Sirene“, ist es das arme, herumgestoßene Gesellschaftsfräulein, die höhere Gouvernante, die einen liebenswürdigen und vornehmen Mann bezaubert und am Schlusse von ihm heimgeführt

  1. Die Gunst des Publicums machte wieder gut, was die Unbill der Kritik an Mosenthal verschuldet hat. Seine Bühnenstücke, die „Deborah“ voran, erfreuen sich der Sympathie der weitesten Kreise. Ueber seine ergreifende Erzählung „Aus dem jüdischen Familienleben“, welche wir im vorigen Jahrgange unseres Blattes (Nr. 2) zum Abdruck brachten, schrieb er uns unter’m 15. Januar des verwichenen Jahres: „Ich theile Ihnen mit, daß ich überrascht, ja ein wenig beleidigt bin, gerade wegen dieser Kleinigkeit seit acht Tagen mit Briefen und Telegrammen aus allen Weltgegenden überschüttet zu werden, als ob ich zum ersten Male vor die Oeffentlichkeit träte. Aus Kassel, Frankfurt, Göttingen, Berlin, Paris und London sind mir solche Gratulationen zugekommen. Berthold Auerbach, mit dem ich seit zehn Jahren nicht correspondirte, schreibt mir: 'Ich muß Ihnen sagen, wie ungemein Ihre Erzählung von der Tante Guttraud mich angemuthet hat. Das ist tief innig, plastisch und in reinem künstlerischem Wohlbedacht vorgetragen' etc.“ Wieder ein Beweis dafür, wie sehr Mosenthal es verstanden hat, die Gemüthsseite des Publicums zu fassen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Operutexte
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_182.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)