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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

in den Sommermonaten eine ganz erträgliche Gesellschaft Possen- und Operettenvorstellungen giebt, der massiv und geschmackvoll gebauten Sparcasse, dem neuerrichteten grandiosen Actienhôtel „Austria“, dem Casino mit seinen Lese-, Spiel-, Billard-, Speise-, Tanz- und Musiksalons und der in den See vorspringenden breiten Terrasse vorbei auf die Esplanade, eine lange zum Theil künstlich dem See abgerungene Allee; sie wird rechts von einer Häuserreihe, aus der die zierliche Miniaturvilla Meister Karl Laroche’s und das imposante „Hôtel Bellevue“ hervorzuheben sind, begrenzt, während sie links der See mit seinen zahlreichen Landungsplätzen und Treppen abschließt. Die Esplanade ist so recht eigentlich der Mittelpunkt des Gmundener Sommerlebens, da sie der einzige Ort in dem etwas sonnigen Städtchen ist, an dem zu jeder Tageszeit erquickender kühler Schatten zu finden, dessen Annehmlichkeit noch durch die Seeluft, die rauschend durch die Kronen der Bäume zieht, erhöht wird. Die der Sonne ziemlich ausgesetzte Lage des Ortes ist wohl der einzige wirkliche Uebelstand Gmundens. Auf der Esplanade, auf der sich eine Conditorei, eine Sodahütte und der Musikpavillon befinden, in dem während der Saison täglich Mittags und Abends das ziemlich gut geschulte Curorchester spielt, ist man sicher seine Bekannten zu treffen.

Dort steigt eine elegante Gesellschaft in eines der raschen und sicheren Kielboote, um nach einem der reizenden Punkte am rechten See-Ufer, an dem zahlreiche gut besuchte Caféwirthschaften sich angesiedelt haben, zu steuern. Eine Cavalcade sprengt vorüber: mehrere Herren und Damen auf anmuthigen Rennern, rothbefrackte Reitknechte mit weißgepuderten Perrücken im Gefolge. Allen voran reitet eine schlanke jugendliche Mädchengestalt in enganliegender dunkler Amazone, mit wehendem blauem Schleier auf dem runden Filzhütchen; es ist die reizende Prinzessin Mary von Hannover, welche ihrer Mutter, der Königin, in Gmunden Gesellschaft leistet, während Prinzessin Friederike ihren leidenden Vater in ein französisches Seebad begleitet hat. Ein schlanker junger Mann, der zu Fuß die Esplanade entlang schreitet, grüßt die Prinzessin mit ehrerbietiger, aber doch vertrauter Höflichkeit; er ist gleichfalls ein Depossedirter, der junge Prinz von Hanau, der Sohn des verstorbenen Kurfürsten von Hessen. Jetzt hält eine vornehme Equipage, ebenfalls mit rothberocktem und weißgepudertem Kutscher und gleichbekleidetem Diener; die Königin von Hannover, eine trotz des ergrauten Haares noch immer schöne Dame, steigt von einem Hoffräulein begleitet aus, um zu promeniren. Bei einem alten, aber noch kräftig und elastisch einherschreitenden und sorgfältig gekleideten Manne mit einem olympischen Goethe-Kopfe bleibt sie zu längerem freundlichem Gespräche stehen. Wir sehen Karl Laroche vor uns, den Altmeister des deutschen Schauspiels, den unübertroffenen Charakterdarsteller mit dem zündenden Humor um die Lippen, der ewigen Jugend im Auge. Nur wenige Schritte setzt die Königin, nachdem sie Laroche verabschiedet, ihren Weg fort, um wieder stehen zu bleiben, diesmal bei einem Ehepaare, einem jungen schlanken Manne und einer Dame von kaum mittlerer Größe, aber zierlichem Wuchse und einem unendlich belebten ausdrucksvollen Gesicht. Es ist Graf Prokesch-Osten, der Sohn des verstorbenen österreichischen Internuntius in Constantinopel; seine Gemahlin ist keine Geringere als Friederike Goßmann, einst die gefeiertste Naive der deutschen Bühne, die erste Interpretin der Sand-Bitch-Pfeiffer’schen Grille. Graf und Gräfin Prokesch-Osten zählen zu den Hausfreunden der königlich hannöverischen Familie, die den größten Theil des Jahres in einer dominirend auf einem Hügel gelegenen Villa Hof hält.

Ein reger Kunstsinn verschönt und lindert den Entthronten die schweren Tage des Exils. Der König wie die Königin beschäftigen sich mit Vorliebe mit Musik und Literatur. Kein Künstler oder Schriftsteller von einiger Bedeutung hält sich in Gmunden auf, der nicht zu dem hannöverischen Hofe in nähere oder fernere Beziehung träte. Häufig finden in der hannöverischen Villa musikalische oder literarische Abende statt, an denen zuweilen die Prinzessinnen, die sehr musikalisch sind, thätig Theil nehmen. Componisten haben hier ihre noch nicht veröffentlichten Compositionen vorgetragen, Dichter ihre noch im Manuscripte befindlichen Werke vorgelesen. Bei keinem Concert im Casino, bei keiner Wohlthätigkeitsvorstellung im Theater wird man die königliche Familie in der vordersten Sitzreihe oder in einer ersten Rangloge vermissen. Den Prinzen kann man oft im Lodenrock und gemsledernen Kniehosen, den grünen gemsbartgeschmückten Sturmhut auf dem Haupte und den Bergstock in der Hand, von einer Alpenpartie oder einem Jagdausfluge zurückkehrend, über die Esplanade schreiten sehen. Die öffentlichen und die Wohlthätigkeit-Bestrebungen des Städtchens finden bei den hannöverischen Gästen bereitwillige und reiche Unterstützung; so ist die Errichtung der neuen protestantischen Kirche dem werkthätigen Eingreifen der hannöverischen Königsfamilie hauptsächlich zu danken.

Wir setzen unseren Weg über die Esplanade fort und begrüßen auf dem Wege einige Bekannte, die ungarisch-deutsche Schauspielerin Lilla von Buljofsky, die am Ufer des Sees eine behagliche Villa besitzt, in der sie jeden Sommer von ihrer winterlichen Gastspielcampagne ausruht, Karl Goldmark, den Componisten der „Königin von Saba“, der in dem oberen ruhigeren Theile der Stadt an seiner neuen Oper arbeitet, den Dichter der „Sulamith“, F. Kaim – wenn ich nicht irre, ein geborenes Gmundener Kind – den Maler der Potentaten Angeli, den Capellmeister Proch, den Violinisten Josef Hellmesberger, den Schauspieler Adolf Sonnenthal … „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“ Gmunden übte von jeher eine merkwürdige Anziehungskraft auf das phantasievolle Künstlervolk aus. Abgesehen von der zauberhaften Lage, die nur mit der Luzerner verglichen werden kann, wie denn der Gmundener See unbestreitbar die meiste Aehnlichkeit mit dem Vierwaldstätter See besitzt, ist es wohl die Zwanglosigkeit des Lebens, was die Künstlerkreise an Gmunden fesselt. Bei aller geistig und social vornehmen Geselligkeit hat sich das Gmundener Leben gegen steifen Etiquettezwang anderer Badeorte und Sommerfrischen zu schützen gewußt. Man speist selbst bei dem Könige von Hannover im einfachen schwarzen Rocke. Der Frack und Cylinder sind in Gmunden seltene und belächelte Erscheinungen.

Nächst der Künstlerwelt stellen die Hof- und aristokratischen Kreise ein starkes Contingent zu den regelmäßigen Gästen Gmundens. Außer der hannöverischen Königsfamilie haben die Erzherzogin Elisabeth, die Wittwe des Erzherzogs Karl Ferdinand, mit ihrer Familie, der Großherzog und die Großherzogin von Toscana, der Herzog Philipp von Württemberg und seine Gemahlin, eine Tochter des Erzherzogs Albrecht, der frühere Minister Graf Belcredi, und viele andere Mitglieder der österreichischen Aristokratie hier ihre Villen, und manche dieser Familien verleben hier auch die Wintermonate. Die Villa der Erzherzogin Elisabeth ist im Schweizerstile gebaut, mit schönen sich gegen den See von einem Hügel herabziehenden Gartenanlagen. Die großherzogliche Familie von Toscana besitzt eine schöne Villa im italienischen Stile und ein neugebautes Jagdhaus in der Nähe von Traunkirchen, denn der Großherzog ist ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn. Herzog Philipp von Württemberg hat sich ein Schloß im schottischen Castlestile aus einem Hügel zwischen Ort und Altmünster erbaut, dessen rothe Backsteinzinnen aus dem üppigen Grün hervorleuchten und dessen innere Einrichtung durch Wunder von Reichthum und Geschmack überrascht. Die Folge dieser hocharistokratischen Ansiedelungen ist ein reger Verkehr mit Ischl, der Sommer-Villeggiatur des österreichischen Kaiserhofes. Die grünen, offenen Hofwagen mit den goldenen Wappen bringen fast täglich Mitglieder des Ischler Hofes zum Besuche nach Gmunden, und oft sieht man auf den Dampfern die kaiserliche Flagge aufgezogen, als Zeichen, daß der Kaiser oder die Kaiserin über den See fährt. Sind doch die den See einschließenden Berge das Jagdrevier des kaiserlichen Waidmannes. Auf den Höhen des Höllengebirges verfolgt der Kaiser, ein ebenso unermüdlicher und kühner Bergsteiger wie trefflicher Schütze, die flüchtige Gemse oder den mächtigen Gebirgshirsch, und oft bringt er mit dem Kronprinzen und einem kleinen Gefolge Tage in einem der kleinen, aber bequem eingerichteten Jagdhäuser auf dem Kranabittsattel oder nächst dem nahen Langbath- oder Offensee zu. Wir können die Esplanade, von der wir allerdings etwas weit abgeschweift sind, nicht verlassen, ohne der Schwimmschule zu gedenken, die das wichtigste Etablissement Gmundens ist.

Gmunden, obwohl seit 1859 zum Curorte erklärt und als solcher Cur- und Musiktaxen einhebend, hat kein eigentliches specifisches Mineralwasser. Man gebraucht Salz- und Fichtennadelbäder oder die Kaltwassercur, das eigentliche Heilelement

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_220.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)