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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ergreifen, sie in menschlich handlicher Weise ruhig auf die Seite legen und dadurch zugleich einen Wall bilden. Dann nehmen sie wieder kleine Steine, Muschelschalenstücke, kleine Glasscherben u. dergl. m. in die Scheere, führen diese nach dem Rücken, legen die Gegenstände behutsam dort ab, rücken sie, wenn sie nicht gut zu liegen kommen, noch zurecht und bedecken sich so nach und nach den ganzen Rücken, der dann genau so aussieht, wie die nächste Umgebung.

Einige solcher Seespinnen hielt ich einst in meinem Privataquarium, nahm ihnen ihren Rückenschmuck ab, reinigte sie so gut wie möglich vom Sande und legte eine Menge Papier- und Leinewandstreifen zu ihnen in das Bassin. Nach kurzer Zeit hatten sie alle die noch vorhandenen Algenstückchen aufgelesen und sich damit besteckt, aber kein einziger Krebs hatte Leinewand- oder Papierstücke dazu benutzt, ein Beweis, daß diese Thiere letztere gar wohl von den grünen Pflanzen unterscheiden und ganz gut wissen, daß sie unter diesen weniger auffallen und besser geborgen sind, als unter jenen. Ich entfernte dann jeden Rest von Pflanzentheilen, sodaß ihnen außer Steinen und Muschelschalen nur Leinewand und Papier zum Bedecken zur Verfügung stand. Drei der Thiere graben sich in den Sand ein, scharrten kleine Steine und Muschelschalenstücke unter sich hervor und belegten ihren Rücken damit, aber zwei Individuen bequemten sich jetzt auch, aus Mangel an Pflanzen, sich mit Papier und Leinewand zu schmücken. Sie sind also nicht etwa gezwungen, nur das zu benutzen, was ihnen ein sogenannter Instinct vorschreibt, sondern richten sich, wie wir Menschen, ganz nach den Verhältnissen; bei Ueberfluß wissen sie das Bessere zu wählen; bei Mangel begnügen sie sich mit dem Schlechteren nach dem Grundsatze: besser etwas, als gar nichts.

Das Schutzbedürfniß der so mannigfachen Verfolgungen ausgesetzten Krebse hat zu einem höchst interessanten Verhältnisse zwischen einigen Einsiedlerkrebsen und Seerosen geführt – ein Gegenstand der Beobachtung, den Karl Vogt den Lesern der „Gartenlaube“ bereits in seinem Artikel „Ferienstudien am Seestrande“ (Nr. 2: „Gute Freunde“) in Nr. 25 des Jahrgangs 1876 mit meisterhafter Anschaulichkeit vorgeführt hat. Nachfolgende Mittheilungen dürften den Vogt’schen Darlegungen indessen noch einige interessante Ergänzungen hinzufügen.

Die Einsiedlerkrebse bewohnen, wie Vogt schildert, Schneckengehäuse, welche man meist mit gewissen Arten der Blumenthiere besetzt findet, und der Krebs schleppt das Haus sammt den darauf sitzenden Nesselthieren mit sich herum. Schon früher ist beobachtet worden, daß er beim Wohnungswechsel das Blumenthier mit sich nimmt und auf die neue Schale setzt, aber man wußte bisher nicht, wie diese Uebersiedelung zu Stande kommt. In Neapel ist es mir nun gelungen, hierüber interessante Beobachtungen zu machen.

Der Hinterleib des Einsiedlerkrebses ist nach Pagurenart dermaßen an die Schneckenwohnung gewöhnt, daß er ganz weich geworden ist und die Spiralform angenommen hat; es giebt kaum einen komischeren Anblick, als solch einen armen Einsiedler ohne Schale zu sehen, wie er in seinen lächerlichen Bewegungen umherirrt und ängstlich seinen Hinterleib, den ihm hungrige Fische gern abbeißen möchten, zu bergen sucht. Die Leser der „Gartenlaube“ wissen bereits aus den Vogt’schen Schilderungen, wie der Krebs nach einer zur Wohnung für ihn geeigneten Schale zu suchen pflegt, wie er, wenn er sie endlich gefunden, von derselben Besitz nimmt und nun sehnsüchtig nach seiner schönen, theuren Freundin, der Seerose, späht, ohne die er nicht leben mag. Er sucht nach allen Richtungen eifrig umher, denkt an kein Fressen, sondern läßt, wie ich mehrfach feststellen konnte, den schönsten Bissen unbeachtet liegen, bis er seine hübsch violett gefleckte Rose gefunden hat, und es ihm gelungen ist, dieselbe zu bewegen, sein Haus zur Wohnstätte zu wählen, um mit ihm vereint zu leben. Endlich findet er eine leere Schale mit einer vereinsamten Seerose, deren Gesellschafter ihr durch einen räuberischen Pulpen oder durch den natürliche Tod entrissen worden ist. Schnell betastet der Einsiedler das Gehäuse, untersucht das Innere, und findet er dasselbe geräumig genug, so zieht er plötzlich seinen Schnörkelleib aus der alten Schale heraus, dreht sich um und schlüpft zur Wittwe. Ist ihm deren Wohnung aber zu klein, dann entwickelt sich eine überaus interessante, bei diesen Thieren kaum vermuthete rührende Scene.

Der Krebs legt sich an die Seerose, packt mit der einen Scheere deren Tentakelkranz, zieht und drückt denselben an seine Schale, betastet und streichelt mit den übrigen Beinen das Blumenthier und macht eine ganz eigenthümliche Rückbewegung, durch welche er die geliebte Rose zum Uebersiedeln zu veranlassen sucht. Hat er eine halbe Stunde lang dieses ruckweise Anziehen fortgesetzt, so nimmt der Gegenstand seiner Liebe eine ganz andere Form an. Während unsere Rose vorher flach die Schale umgab, dehnt sie sich jetzt nach dem Krebs zu aus, wird ganz hoch und bekommt die für die anderen Blumenthiere charakteristische Form. Sie umschloß die Schneckenschale ringförmig, und ihre Sohlenränder schienen zusammengewachsen. Jetzt löst sie diese letzteren von einander und hebt den einen Theil der Sohle ganz von der Schale ab; die Sohle bläht sich an diesem Theile auf, krümmt sich dadurch zurück, biegt sich dann ganz um und heftet sich an der Schale des werbenden Einsiedlers an. Dieser haftende Theil rutscht weiter, und in wenigen Stunden hat die schöne Freundin den Werber und dessen Schale ganz umschlungen.

Immer geht diese Vereinigung aber nicht so glatt ab. Ist in der Nähe noch ein anderer Hagestolz, der eine Gefährtin sucht, dann setzt es heiße Kämpfe, die sehr oft mit dem Tode des Einen endigen mögen, nachdem bald dieser, bald jener auf einige Augenblicke die Gewünschte in seiner Macht und versucht hatte, sie zum Uebersiedeln zu bewegen. Sie treiben sich dabei gegenseitig aus den Schalen und kneipen sich in den weichen Hinterleib. Man findet selten einen Krebs ohne Seerose oder letztere ohne ersteren.

Nur der Engländer Gosse[1] hat bis jetzt über dieses merkwürdige Verhältniß Beobachtungen veröffentlicht, und der bekannte Zoologe Oscar Schmidt hat dieselbe in Brehm’s „Thierleben“ zum Theil wiedergegeben. Gosse hatte nur ein einziges Exemplar zur Verfügung gestellt; er löste die Seerose gewaltsam von der Schale ab, um zu sehen, ob und wie sie der Krebs auf seine Schale brächte, sah am nächsten Tage auch, daß sich das Blumenthier dort wieder theilweise angeheftet hatte, konnte aber nicht beobachten wie das freiwillige Ablösen von dem Gehäuse vor sich gegangen.

Ich habe mir zur eingehenden Beobachtung dieser Thatsachen mehr als dreißig Individuen dieser Thiere nach einander in meinem Privataquarium in Neapel gehalten und alle Einzelheiten sehr gut beobachten können. Ich hatte eines Tages vierundzwanzig Krebse beisammen. Mehrere zwang ich zum Verlassen der Schale, tödtete andere, welche dazu absolut nicht zu bewegen waren, und löste von einigen Gehäusen die Seerosen gewaltsam ab, wobei dann der Krebs auch stets die Schale verließ. Schließlich hatte ich erstens mehrere ganz leere Gehäuse, zweitens mehrere andere mit der Seerose besetzt, drittens alle noch lebenden Krebse ohne Wohnung und viertens einige Seerosen ganz isolirt. Die noch mit Blumenthieren versehenen Gehäuse verstopfte ich nun fest mit Leinwand, damit die Krebse nicht in diese, sondern nur in die ganz leeren Schalen schlüpfen konnten und so genöthigt waren, sich ihre geliebte Freundin von dem verstopften Gehäuse herunter zu holen. Alle Krebse, Gehäuse und Seerosen that ich nun in ein und dasselbe Bassin, und sofort suchten sich die ersteren wieder in den Schalen zu bergen. Mit Ausnahme eines einzigen verschmähten alle Krebse die geräumigen leeren Gehäuse, welche keine Rose besaßen, versuchten mit vieler Mühe und in menschlich handlicher Weise die Leinwandstücke aus den mit den geliebten Thieren besetzten Schalen herauszuziehen und, als sie ihre Anstregungen vergebens fanden, ihren schnörkelige Hinterleib noch mit einer wahren Wuth neben die Leinwand zu stopfen. Nur einem einzigen Krebse war es gelungen, das Stopfmaterial zu entfernen; die übrige hockten einige Zeit mit der verstopften Schale, die sie immer mit einem Fußpaare anhalten mußten, in lächerlicher Weise umher. Nach Verlauf von zwanzig Minuten nahm endlich der erste Krebs eine ganz leere Schale, untersuchte sie, schlüpfte hinein und begann die Uebersiedelung der Seerose zu bewerkstelligen; nach und nach thaten die anderen dasselbe. Nach einer Stunde waren schon vier Rosen umgezogen, nach anderen zwei Stunden wieder sechs, und am anderen Morgen waren alle Krebse mit Ausnahme von zweien versorgt. Diesen letzteren hatte ich zwei Helixgehäuse gegeben, und merkwürdiger Weise mühten

sie sich vergebens ab, eine der ersehnten Blumen zum Uebersiedeln zu bewegen. Ich zwang sie diese Gehäuse zu verlassen und gab ihnen zwei der von ihnen bevorzugten Naticagehäuse, und nach wenig mehr als einer Stunde waren beide Krebse mit den gewünschten

  1. Philip Henry Gosse „The Aquarium“. London.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_675.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)