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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Sitz und Stimme auch den Frauen und Jungfrauen als ein Recht geben.

Das ist der dringende Mahnruf an die deutsche Nation. Ich habe in keinem Auftrage gesprochen und darum mich von Allem fern gehalten, was Geschäft und Statut der „Schiller-Stiftung“ bedingen. Zeigt sich der gute Wille zur That bereit, so wird der Ordnung auch ihr Recht werden. Nur Eines sei noch bemerkt: Nicht um eine Bettelei, um eine Mitleidsgabe, ein Almosen handelt es sich, sondern um die Befriedigung vollberechtigter Ansprüche, um die Hinwegwischung eines unsere Cultur beschämenden Makels, um eine freudig und aus ganzem Herzen zu erfüllende Pflicht gegen uns selber als nationale Gesammtheit. Seit Jahren hat die „Schiller-Stiftung“ diese Fahne entfaltet. Mögen ihr endlich alle Diejenigen folgen, die bisher aus Trägheit, Gleichgültigkeit oder falscher Auffassung sich fern gehalten haben![1]

Dr. Friedrich Hofmann.
  1. Die Redaction der „Gartenlaube“ hat beschlossen, dieser sehr ernsten und wichtigen nationalen Sache ihre volle Theilnahme und Thätigkeit zu widmen. Wie der Verfasser obigen Artikels, unser Redactions-College, sich erbietet, briefliche Anfragen in dieser Angelegenheit jeder Zeit zu beantworten, so ist die Redaction bereit, nicht nur nothwendigen Belehrungen und Erklärungen in Beziehung auf dieselbe gern die Spalten ihres Blattes zu öffnen, sondern auch die Namen der Städte und Ortschaften Deutschlands und Oesterreichs, welche sich durch Gründung von Schiller-Vereinen mit Schiller-Stiftungs-Zweigvereinen auszeichnen, in einer fortlaufenden Liste zu veröffentlichen.
    Die Redaction der Gartenlaube.




Blätter und Blüthen.

An der Schwelle des Winters. Ein Wink für Alle, welche nicht krank werden wollen. „Frage dich doch einmal, Leser, was du eigentlich von deinem Körper und seiner ordentlichen Pflege, von Entstehung, Verhütung und naturgemäßer Behandlung seiner Krankheiten weißt? Nichts! Was für unnützes Zeug hast du dagegen während deines Lebens in deinen Kopf gestopft, blos um es wieder zu vergessen.“

Diese Worte aus Professor Bock’sAerztlichen Strafpredigten“ möchten wir einer weiteren Strafpredigt unsererseits als Text zu Grunde legen. Vielleicht ersparen wir durch unsere heutige Erinnerung einer Mutter den martervollen Anblick ihres sterbenden Kindes, oder erhalten dem Kinde die liebende Mutter bei voller Gesundheit, deren gerade sie so dringend bedarf. – Kommt man als Arzt an die thränenreichen Stätten des Todes und der Trübsal, sieht man den einzigen Knaben, bisher das unerschöpfliche Glück eines Menschenpaares, in qualvollem hoffnungslosem Ringen mit dem Würgengel Croup oder Diphtheritis – da taucht unwillkürlich die Frage auf: Konnten denn diese Qualen nicht verhütet werden? da schlägt es mit wuchtigen Hammerschlägen an das Gewissen: Wen trifft die Schuld? Tausend Mal freilich wird so wenig von Schuld die Rede sein können, wie bei einem elementaren Ereignisse, wie bei Gewitter und Erdbeben. Oft aber müssen wir reumüthig gestehen, daß bei einiger Ueberlegung und gutem Willen der leichten oder schweren Erkrankung vorgebeugt werden konnte. Damit indessen nicht Mangel an Kenntniß oder laienhafter Unverstand als Entschuldigung vorgeschützt werde, bedarf es für gewisse Krankheitsursachen einer eindringlichen wiederholten Belehrung und Erinnerung.

Zunächst ein paar Beispiele für das, was wir meinen. Wir begeben uns in Gedanken hinaus in die Bahnhofsräume einer kleineren oder größeren Stadt. Die Stunde der Abfahrt ist noch nicht gekommen; in der warmen Wartestube sitzen die harrenden Fahrgäste in verschiedener Positur. Uns interessirt ein allerliebstes Kinderpaar, ein blondlockiger Knabe und sein braunäugiges Schwesterchen, welche zum ersten Male die weite Reise zum Onkel in Xhausen mitmachen werden und jetzt schüchtern und geduldig neben der Mama der Dinge warten, die da kommen sollen. Und die Mama muß eine recht gute Mutter sein, denn vorsorglich hat sie die Kinder eingehüllt, namentlich den Hals mit wollenen Stoffen eng eingepackt; auch die Glieder umhüllen warme Wollstoffe, und selbst an reichem Pelzwerk fehlt es den Kleinen nicht.

„Die können aber nicht frieren!“ hören wir unsern Nachbar sagen, und wohlgefällig vernimmt es auch die thörichte Mutter und faßt den Ausspruch als verbindliches Lob auf. In Wirklichkeit aber sollten die Schweißtropfen, welche den armen Kindern von der Stirn perlen, auf ganz andere Gedanken bringen. Allein der Zug muß ja gleich kommen, und wozu soll man da noch das zeitraubende und mühsame Auskleiden vornehmen oder auch nur die Nähe des sprühenden Ofens verlassen, wo man vor einer Viertelstunde Posto gefaßt hatte? Also man bleibt; zufällig aber hat sich der Zug verspätet, und aus der Viertelstunde wird eine halbe Stunde. Jetzt endlich ertönt das Signal. Da eilt Alles hinaus auf den zugigen Perron. Jeder ist froh, wenn er nur rasch Platz findet, und die Mutter muß nun ihre in starke Transpiration künstlich versetzten Kinder dem scharfen Ostwind aussetzen.

Ein anderes Beispiel. „Frau von R. wünschen der gnädigen Frau ihre Aufwartung zu machen!“ – „Sehr angenehm!“

Frau von R. rauscht herein in schwerem Sammt und Seide und läßt sich häuslich nieder. Die Mode – will sagen der gute Ton – erheischt es, daß nicht abgelegt wird. Man vertieft sich in ein Gespräch; es gilt eine neue Verlobung zu kritisiren oder die Toilette für die nächste große Soirée zu besprechen; schließlich widmet man noch der veränderlichen Witterung einige Momente, lauter Dinge von großer Wichtigkeit – genug, aus Secunden werden Minuten, aus Minuten Viertelstunden, bis Frau von R. mit den Worten: „Ihr neuer Ofen, meine Liebe, meint es aber wirklich sehr gut!“ rasch aufbricht in dem ahnungsvollen Gefühle, daß jeder weitere Augenblick ihr Gefahren bringen muß. Man lacht und ergötzt sich noch beim Scheiden an den prächtig zu Gesicht stehenden rosigen Wangen und – nach vierzehn Tagen hört man von der schweren Erkrankung der jungen Frau, die doch bis dahin so wohl gewesen. Aus der einfachen Erkältung, bei Gelegenheit des neulichen Besuchs, entwickelte sich ein Lungenleiden, und die Rosenwangen verblühen in der Blässe eines unerbittlichen Todes. Das mag Dem und Jenem übertrieben klingen, aber leider erfordern gerade auf diesem Gebiete Leichtsinn und Unverstand der Menschen tagtäglich neue Opfer.

Merkwürdiger Weise findet man gerade bei demjenigen Stande, der der abgehärtetste sein sollte, das heißt bei den Landleuten und der ärmeren Population der Städte, die Unsitte verbreitet, daß sie den Hals mit großen warmen Shawls einhüllen oder den Kindern bei warmem Wetter Halstücher umbinden. Und, was das schlimmste, in der Stube, im Gastzimmer etc. wird diese Einpackung ebenfalls beibehalten. Die Folge solcher Angewöhnungen ist das bunte Heer der Erkältungen vom einfachen Schnupfen und „bösem Hals“ bis zu den complicirtesten Leiden, von denen wir besonders Kopf- und Gesichtsrose, die rheumatisch-neuralgischen Affectionen, Gesichtslähmung, Augen- und Gehörleiden, Croup und – wenigstens als durch die Erkältung begünstigt – Diphtheritis nennen wollen.

Also man muthe dem Körper nicht unnatürliche Temperatursprünge zu und vergesse nie, daß zu warmes Verhalten die unzähligen Poren der Haut erweitert und ausschließt, wodurch recht eigentlich der Erkältung Thor und Thür geöffnet werden. Und wie die meisten Verdauungskrankheiten, Magen- und Darmaffectionen, häufiger einem Zuspiel an Nahrung, also einer Ueberladung (zumal „mit allerlei lieblicher Speise“) ihre Entstehung verdanken, und Hunger der beste Koch (und oft auch der beste Arzt!) bleibt: so schadet ein ängstliches Einhüllen und Vermummen des Körpers, namentlich aber ein zu langes Verweilen im warmen Zimmer, in vollem Anzug, viel häufiger und gewisser, als ein mehr kühles Verhalten bei gehöriger Motion.

Und so wünschen wir denn, daß unser dringlicher Wink an der Schwelle des Winters, wo zu ungleichen Temperaturen so tausendfältige Veranlassung gegeben wird, allseitige Beherzigung finden und ja nicht für trivial gehalten werden möge. Die Nichtbeachtung dieser einfachen Gesundheits-Maßregeln und Principien kann die Quelle trüber und bitterer Erfahrung werden, während die bei redlichem Willen stets leicht ausführbare Beobachtung derselben zur Erfüllung der höchsten idealen Aufgabe des Arztes beiträgt, der Aufgabe – sich entbehrlich zu machen.





Das Gesetz der großen Zahlen. Unser gesammtes Versicherungswesen gründet die Möglichkeit seines Bestehens und Wirkens auf die Erfahrungslehre, daß Nichts in der Welt dem regellosen Zufall überlassen ist, sondern daß namentlich Alles, was in die Bewegung der Natur- und der Menschenkräfte hemmend, störend oder vernichtend eingreift, bestimmten Gesetzen folgt. Diese Lehre ist neu und ihre Begründung war eine der vielen segensreichen Arbeiten der Statistik. Denn nur dadurch, daß man dieselben Erscheinungen und Ereignisse, wie Land- oder Seestürme, Feuersbrünste, Ueberschwemmungen, Hagelschläge etc. von einer langen Reihe von Jahren zusammenstellte, erkannte man, daß die Zerstörungsstärke und Wiederkehr derselben für bestimmte Zeiträume und Länderstrecken auch eine bestimmte Ordnung aufweise. Ebenso tritt uns auch aus dem Leben und Treiben der Nationen und Völker wie der Familie und des Einzelnen dasselbe entgegen, ob wir die Zahl der Ehen und Geburten, der Blinden oder Tauben, der Unfälle in Bergwerken oder auf Seeschiffen oder Eisenbahnen, die Zahl verloren gegangener Briefe oder Menschenopfer bei Epidemien in Betracht ziehen: immer leitet eine bestimmte Menge von Fällen zu einem Gesetz hin, und das nennt man „das Gesetz der großen Zahlen“.

Der wichtigste Gegenstand der Statistik wie alles Wissens ist natürlich der Mensch. Die Schwierigkeiten, auch hier aus einer langen Reihe der anscheinenden Zufälligkeiten das Gesetz herauszufinden, sind nicht leicht zu überwinden gewesen, und wer es weiß, wie viele der ersten Lebensversicherungs- und Krankencassen-Gesellschaften an der mangelhaften Berechnung der mittleren Lebensdauer und der Durchschnittszahl der Erkrankungen und Todesfälle zu Grunde gegangen sind – zum bittersten Schaden und zum Verlust für Tausende – dem wird es klar werden, daß auf einem solchen Gebiet nur die beharrlichste Arbeit zum Ziele führen kann. Um so dankbarer ist hier jede neue Errungenschaft zu begrüßen, welche die bahnbrechenden Arbeiten der Engländer weiter führt. Als solche nennen wir die Schrift: „Anzahl und Dauer der Krankheiten in gemischter Bevölkerung“ (Leipzig, 1878).

Der Verfasser, der Leipziger Professor Karl Heym, für die Fachmänner im Versicherungswesen eine Autorität, hat in dieser Schrift „zwanzig Jahre Erfahrungen“ den Acten der Leipziger Kranken-, Invaliden- und Lebensversicherungs-Gesellschaft „Gegenseitigkeit“ entnommen und veröffentlicht. Der besondere Werth dieser Beobachtungen über die Zahl der Erkrankungsfälle besteht einestheils darin, daß hier zum ersten Male in Deutschland auch das Lebensalter und das Geschlecht der Erkrankten berücksichtigt worden, und anderntheils darin, daß es hauptsächlich gewerbliche Arbeiter sind, welche der hier maßgebenden Krankenversicherungs-Gesellschaft angehören. Wir lernen viel Merkenswerthes

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