Gegen die Unwissenheit der Menschen in Bezug auf ihre Gesundheit
Gegen die Unwissenheit der Menschen in Bezug auf ihre Gesundheit.
Unverschuldetes Unglück nennt Ihr’s, – nothwendige Folge Eures Thuns und Treibens, also wohlverdiente Strafe, nenne ich’s, wenn Ihr oder Euere Angehörigen von Krankheit oder wohl gar von frühem Tode heimgesucht werden. – Denn nicht ohne Ursache wird man krank und stirbt vor der Zeit, und gar nicht so schwierig ist es in den meisten Fällen, die krankmachende und tödtende Ursache (Noxe, Schädlichkeit) oder doch ihre nachtheiligen Folgen zu vermeiden und zu mildern. Aber freilich muß man, um dies zu können, – und dies sollte doch eigentlich jeder vernünftige, richtig gebildete Mensch können, – mit jenen Schädlichkeiten und ihren Folgen, so wie mit der Einrichtung des menschlichen Körpers bekannt sein und nicht dem unsinnigen Glauben anhängen, daß dies nur des Arztes Sache sei, wie das Stiefelmachen die des Schuhmachers. Frage Dich doch einmal, Leser, was Du eigentlich von Deinem Körper und seiner ordentlichen Pflege, von Entstehung, Verhütung und naturgemäßer Behandlung seiner Krankheiten weißt? Nichts! Was für unnützes Zeug hast Du dagegen während Deines Lebens in Deinen Kopf gestopft, blos um es wieder zu vergessen. Und was Deinen Arzt betrifft, hast Du den etwa schon danach gefragt, was Du zu thun hast, um nicht krank zu werden? Und gerade darin besteht doch das rechte Wissen des Arztes, daß er Krankheiten zu verhüten versteht. Du läßt ihn nur rufen, wenn Dir’s schlecht geht, und zwar zum Gesundmachen. Ob und in wie weit dies aber der Arzt überhaupt kann, ob es dieser Arzt besser kann als jener, ob diese oder jene Heilmethode die vernünftigere, darüber suchst Du Dich gar nicht weiter zu unterrichten, obschon durch eine solche Unkenntniß Dein körperliches Wohl so sehr gefährdet ist. Von was für kleinlichen Umständen ist außerdem oft die Wahl des Arztes abhängig? Der Eine nimmt den Arzt, welcher gerade am meisten in der Mode ist; der Andere oder auch seine Frau wählt sich einen Heilkünstler mit angenehmem Aeußern, eleganter Kleidung und zarten Manieren; ein Dritter erbt gewissermaaßen seinen greisen Hausdoctor oder dessen Sohn und behält dieses Erbstück aus Pietät; ein Vierter holt sich einen wohlhabenden, nicht sehr beschäftigten Arzt, um ihn nicht zu bezahlen; Manchen wird der Arzt von den Schwiegereltern octroyirt, Andere verfallen einem Arzte aus verwandtschaftlichen oder gesellschaftlichen Rücksichten u. s. f. Die Meisten fühlen sich aber, ihrer Unwissenheit und ihres Aberglaubens wegen, zu Charlatanen, die weder vom gesunden, noch vom kranken Menschenkörper Etwas wissen, sowie zu solchen Heilkünstlern hingezogen, die angeblich auf unnatürliche, übersinnliche Weise kuriren, den Kranken irgend einen Hokuspokus vorgaukeln und lächerliche Versprechungen schneller Heilung machen. Und was für unbillige, inhumane Anforderungen werden nicht, trotz deö gewöhnlich erbärmlichen Honorares, von den Kranken an den Arzt gestellt! Stundenlang muß er sich, obschon er dabei wie auf Kohlen sitzt, wegen versetzter Blähungen von Hypochondristen und Hysterischen vorlamentiren lassen; nervöse, reizbare Dämchen, fortwährend in Thränen schwimmend, soll er wo möglich aus zehn Schritt Entfernung lispelnd und bücklingend examiniren und kuriren, aber ja nicht anrühren; die Frau vom Hause wünscht Neuigkeiten erzählt, die Mutter ihre leidenden, in der That aber ungezogenen Kinder (die man durchprügeln möchte) bemitleidet und sogar bei schmutziger Nase und beschmiertem Munde geküßt zu haben; bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter werden seine sofortigen Dienste, oft rücksichtslos gefordert, sobald es dem Kranken oder seinen Angehörigen gerade beliebt; Besuche, Arznei und Diät [279] wollen die Patienten nach ihrem Behagen eingerichtet haben, nicht aber nach den jedesmaligen Erfordernissen; über jeden außergewöhnlichen Stuhlgang möchte der Arzt genaue Rechenschaft ablegen und einen gelehrten Vortrag halten; die Dienstleute soll er ja so schnell und auch so billig als möglich herstellen, die Madame aber nach ihrem Wunsche nach Süden, ihren Herrn Gemahl dagegen nach Norden in das Bad schicken, und nebenbei muß sie nach seiner, er nach ihrer vertraulichen Mittheilung behandelt werden. Schließlich werden sodann hinter dem Rücken des Arztes neben anderen Heilkünstlern auch noch Quacksalber und Charlatane zu Rathe gezogen, und die von der Natur vermittelte Heilung natürlich nur diesen letzteren zugeschrieben. Kurz, was der wissenschaftlich gebildete Arzt in seinem Berufe zu leiden und zu ertragen hat, abgesehen von der Undankbarkeit der Geheilten, das ist wahrlich arg. Freilich geschieht ihm schon ganz Recht, warum bemüht er sich nicht, die Menschheit über ihren Körper und dessen Leiden gehörig aufzuklären; nur die crasse Unwissenheit in diesen Zweigen der Naturwissenschaft erzeugt bei so vielen Menschen einen des Menschenverstandes unwürdigen Aberglauben und Inhumanität. Wissen macht human. Daß der unwissenschaftliche und nur Geld machende Heilkünstler gegen alle jene Plagen von Seiten der Kranken nicht blos abgehärtet und unempfindlich ist, sondern ihr geduldiges Ertragen sogar als Geschäftssache und ärztliches savoir-vivre und savoir-faire betrachtet, läßt sich eben nur durch seine Unwissenschaftlichkeit erklären.
Belauscht man heutzutage das Raisonnement der meisten Laien über Aerzte, Heilmethoden, Krankheiten und Heilungen, so glaubt man wirklich Verrückte oder wenigstens zum richtigen Denken Unfähige vor sich zu haben. Man sollte sich darüber freilich nicht verwundern, denn die Meisten urtheilen über Medicin, wie der Blinde über die Farben, ohne auch nur die geringste Kenntniß davon zu haben, ja häufig mit vorgefaßter Meinung. Aber betrübend ist es, sonst verständige Menschen über die wichtigsten Interessen ihres Körpers solch’ unverständiges Altweibergeschwätz machen zu hören. – Es darf nach Anwendung des unsinnigsten Hokuspokus und des lächerlichsten Zeuges oder Gebahrens eines Charlatans zufällig eine Aenderung im Befinden eines Patienten zu Stande kommen, gleich soll das Angewendete Schuld daran sein. Tritt nun gar Gesundheit danach, deshalb aber doch noch gar nicht dadurch, ein, dann wird die Heilmächtigkeit jenes Hokuspokus oder Charlatans in alle Welt ausposaunt, und die unwissende, abergläubische Menge glaubt so fest daran, daß sie sich, sollten auch nur wenige Fälle solcher Heilungen existiren, doch nicht einmal dann von der Nichtsnutzigkeit jener heilenden Mittel und Künstler überzeugen läßt, wenn später Hunderte und Tausende jene vergeblich in Gebrauch ziehen. Von vernünftiger Belehrung über den unvernünftigen Charlatanismus kann bei den meisten abergläubischen Laien natürlich keine Rede sein, da ihnen ihr Glaube weit über dem Wissen steht. Deshalb kann man noch so oft wiederholen, daß es die Naturheilungsprocesse sind, welche die allermeisten Krankheiten, und zwar ohne alle Medicamente, aber besonders bei passender Lebensweise zur Genesung führen, es hilft nichts, dies kann immer nur das gerade Angewendete gethan haben, wäre es auch nur ein Hauch oder ein Handstrich eines Magnetiseurs, ein homöopathisches Streukügelchen oder ein Riech an den Stöpsel einer homöopathischen Verdünnung gewesen. Ebensowenig läßt sich auch der großen Menge mit Gründen auseinander setzen, wie nur gewissenlose oder unwissende Heilkünstler Kranke, die sie nicht gesehen und nicht ganz genau untersucht haben, aus der Entfernung behandeln können. – Kommt Einer mit einem kranken Müller oder Schulze zusammen, bei dem die Krankheitserscheinungen einige Ähnlichkeit mit denen von Hinzens oder Kunzens Uebel haben, gleich werden von ihm dieselben Mittel, die Bäder, Heilmethoden und der Heilkünstler anempfohlen und in Gebrauch gezogen, welche jene scheinbar kurirt haben. Daß ganz dieselben Erscheinungen den verschiedenartigsten und oft gerade den entgegengesetzten Krankheiten zukommen können, danach wird nicht gefragt und das wird nicht geglaubt. – Daß ein und dasselbe Geheimmittel, dieselbe Heilmacht eines Charlatans, die unwissenschaftlichste und einseitigste Heilmethode (wie die homöopathische, isopathische, hydropathische, rademacher’sche, schroth’sche, gymnastische, sympathische, magnetische u. s. w.), und derselbe Firlefanz eine Menge der allerverschiedenartigsten innern und äußern Uebel heilen können, selbst wenn dies die Wissenschaft sogar nicht kann, finden die meisten Laien gar nicht auffällig. Man findet es deshalb heutzutage ganz in der Ordnung, wenn ein altes dummes Bauerweib oder ein Schäfer u. dgl. Leute zum Nachtheile wissenschaftlich gebildeter Aerzte und zum Hohne des Menschenverstandes mit Kuriren und Arzneiverkauf ihren Mitmenschen an der Gesundheit und am Beutel Schaden gesetzlich zufügen dürfen. – Kurz in Beurtheilung von Gesundheits- und Krankheitsangelegenheiten muß bei den meisten Menschen der gesunde Menschenverstand geradezu bezweifelt werden. Wie ganz anders würde dies sein, wenn die Menschen von Jugend auf mit den in der Natur und im menschlichen Körper herrschenden Erscheinungen und Gesetzen bekannt und vertraut gemacht würden; dann gebe es sicherlich ein ganz anderes, ein kräftigeres und schöneres Menschengeschlecht als jetzt, welches sich nicht wie das heutige von Charlatanen ausbeuteln und auslachen lassen würde.
Fragen wir nun noch, ob sich nicht wenigstens Diejenigen, welchen ihr Beruf und ihre Beschäftigung, wenn sie gewissenhaft sein wollen, Vorsicht und Umsicht in Bezug auf ihre eigene Gesundheit und das körperliche Wohl der Ihrigen auferlegt, solche Kenntnisse anzueignen suchen, mit deren Hülfe sie ihren und der Ihrigen Körper vor den umgebenden Schädlichkeiten und ihren Folgen schützen könnten? Die Antwort auf diese Frage ist, daß solche Gewissenhaftigkeit und Humanität nur äußerst Wenige besitzen. Wann wäre wohl eine Jungfrau in die Ehe getreten, welche sich vorher oder als junge Frau um die Gesetze bekümmert hätte, nach denen Kinder in der ersten Jugend, wo sie ganz den Händen der Mutter anvertraut sind und so sehr leicht verwahrlost werden können, erzogen werden müssen? Wissen etwa Handwerker und Geschäftsleute, welche mit schädlichen Stoffen umgehen, die Einwirkung derselben auf ihre Gesundheit gehörig zu verhüten oder unschädlich zu machen? Verstehen überhaupt die Menschen sich vernünftig gegen die Schädlichkeiten der Außenwelt abzuhärten und zu schützen? – Wenn ein Staats- und Stadtbürger die ihm als solchen vorgeschriebenen Gesetze nicht beachtet und befolgt, so wird er, und ganz mit Recht, bestraft, verstößt der Mensch aber als Welt- und Erdbürger gegen die in der Welt und auf der Erde herrschenden Naturgesetze, so hält er seine ganz nothwendig folgende Bestrafung durch körperliche Leiden und den Tod für unverdientes Unglück. Ist das Menschenverstand? Leider schaden nun aber diese Unkenntniß der Naturgesetze und die daraus folgenden vielfachen Verstöße gegen dieselben nicht blos den Einzelnen, sondern werden nach und nach dem ganzen Menschengeschlechte verderblich. Dies zeigt sich denn auch jetzt schon Jedem, der nur die Augen gehörig öffnen will, auf den ersten Blick. Wer die Menschheit unserer Tage, vorzugsweise aber die Frauen und Kinder, hinsichtlich ihrer körperlichen Beschaffenheit einer genauern Betrachtung unterwirft, muß wahrnehmen, daß sich dieselbe in einem wahrhaft betrübenden Zustande befindet. Oder sprächen nicht ganz laut und deutlich dafür: die fortwährend und überall hörbaren Klagen über Unwohlsein (besonders über Brust- und Unterleibsbeschwerden, Verdauungsschwäche, große Nervenreizbarkeit, Hypochondrie und Hysterie, Hämorrhoiden, Gicht u. dgl.); der von Jahr zu Jahr steigende Besuch altbekannter und neuentdeckter Mineralquellen; die täglich wachsende Zahl der Charlatane und Geheimmittel, der Kaltwasser- und anderer Heilanstalten, unter denen die Irrenanstalten nicht den letzten Platz einnehmen; die Untauglichkeit eines großen Theiles der männlichen Jugend zum Soldatendienste; die Unfähigkeit der meisten Mütter zum eigenen Säugen ihrer Kinder; die Abneigung der Jünglinge und Männer gegen Beschäftigungen und Thaten, welche Willenskraft und Ausdauer erfordern, dagegen deren Vorliebe für körperliche und geistige Ruhe; das Ueberhandnehmen des tollsten Aberglaubens, der schimpflichsten Furchtsamkeit und der gemeinsten Heuchelei?
Berühren wir schließlich mit wenig Worten noch den Dank, welcher dem gewissenhaften Arzte in sehr vielen Fällen von Seiten seiner Kranken wird. Gewisse Patienten kennen gewöhnlich nach ihrer Heilung ihren Arzt gar nicht mehr; Andere machen auf der Straße einen großen Bogen, wenn sie ihn von Weitem sehen; noch Andere trösten ihn mit den Worten: „Ich werde Sie nächstens besuchen,“ oder: „Schicken Sie mir gelegentlich Ihre Rechnung.“ An langwierigen Krankheiten Leidende, die schon Hunderte und Tausende für Badereisen und Charlatanerien ausgaben und endlich von einem rationellen Arzte durch ein vernünftiges diätetisches Verfahren geheilt wurden, finden sich bei demselben mit ein Paar Thalern ab, die sie ihm wie ein Trinkgeld in die Hand [280] drücken; während die Kranken die Dienste des Arztes mit der größten Pünktlichkeit und Schnelligkeit, bei Tag und bei Nacht geleistet haben wollen, beeilen sie sich dagegen nach Rückkehr ihrer Gesundheit gar nicht mit ihrem Danke. Wehe nun aber dem Arzte, wenn während seiner Behandlung ein Kranker nicht gesundet, was soll er da nicht Alles versäumt und versehen haben, zumal wenn das Uebel später, in Folge der allmäligen Besserung durch die Naturheilungsprocesse, unter den Händen eines andern Heilkünstlern schwindet. Daß Charlatane für ihren Hokuspokus und ihre nichtsnutzigen Heilmittel noch vor der Behandlung und Heilung von Kranken tüchtig bezahlt sein wollen, findet man dagegen ganz natürlich, verliert auch nicht so leicht die Geduld beim wiederholten Zahlen und Warten, selbst wenn sich das Uebel nicht bessert. Ja es läßt sich behaupten, daß je blödsinniger und kostspieliger eine Charlatanerie ist, desto mehr Anklang findet sie beim Publikum. Und das wäre keine Schmach für unseren jetzigen Kulturzustand?
Bei so bewandten Umständen ist es wohl natürlich, daß Der, welcher ohne persönliche Vortheile dabei im Auge zu haben, seine Mitmenschen ihres leiblichen Wohles wegen aus den Fesseln der Unwissenheit und des Aberglaubens befreit zu sehen wünscht, nicht ruhig abwarten kann, bis jeder Einzelne erst durch Schaden klug gemacht wird, sondern sucht, so viel in seinen Kräften steht, durch Wort und Schrift zur Aufklärung der Menschheit beizutragen. Auch der Unterzeichnete hegt diesen Wunsch, und will durch seine ärztlichen Strafpredigten die Gesunden zur Vermeidung von Krankheiten, die Kranken zur Wiedererlangung ihrer Gesundheit auf naturgemäße Art, antreiben. Sollte dies nicht auf so zarte Art geschehen, wie man heutzutage aufzutreten pflegt, so möge dies der Leser mit dem Aerger entschuldigen, welchen der Verfasser täglich über die Dummheit der Menschen in Gesundheitsangelegenheiten zu verschlucken hat und mit dem alten Grundsätze: „Krebsschäden kurirt man nicht mit Rosenwasser.“