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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und Andern zu schwerem Leide, auszog gen Worms, zu werben um Chrimhilden, „deren übergroße Schöne war kundig weit im Lande“. Besonders aber bilden die schwanenreichen Niederungen zwischen Rhein, Maas und Schelde den Schauplatz der alten Schwansage und der aus ihr erwachsenen Sage vom Schwanritter Helias, wie ihn die Volksdichtung, oder Lohengrin, wie ihn die Kunstdichtung benannt hat. Im Mittelpunkte dieses sagenreichen Gebiets steht das Schloß Cleve, das noch bis zum heutigen Tage die Schwanenburg heißt. Auf der Spitze des uralten, wenn auch später erneuten Thurmes, von dem es heißt, daß schon Julius Cäsar ihn fünfzig Jahre vor Christus als eine Schutzwehr wider die großen Feinde des Römerreiches, die blondlockigen Germanen, erbaut habe, prangt jetzt ein vom Winde bewegter Schwan, und ein Schwan steht im Wappenschilde derer von Cleve.

Der alte flandrische Chronist Heliand, der im zwölften Jahrhundert eine Weltgeschichte schrieb, meldet uns, es sei zu der hoch über dem Rhein ragenden Burg Juwamen, allwo gerade die Fürsten des Reichs versammelt waren, ein unbekannter Ritter in einem Kahne geschwommen gekommen, den ein Schwan an einem silbernen Kettlein zog. Er habe sich allda vermählt, Kinder erzeugt und sei dann auf dem wieder erscheinenden Schwanschiffe verschwunden. Sein Geschlecht blühe noch bis auf den heutigen Tag. Spätere Chronisten, wie Gert von Schueren und Jan Waldenaar, wissen, daß der fremde Ritter Helias hieß und daß es Beatrix war, die schöne Tochter des Grafen Dietrich von Cleve, die er und zwar im Jahre 711 gefreit. Ein Anderer, Vinandus Pighius, ist auch über die Herkunft des Ritters unterrichtet, indem er schreibt: „Dieser Jüngling nannte sich Helias de Grail und gab vor, aus dem irdische Paradiese (wohl gar aus dem himmlischen gekommen zu sein, und ist er wegen seinen Kriegsthaten und andern vortrefflichen Eigenschaften vom Kaiser zum Grafen und das Land Cleve zur Grafschaft erhoben worden mit der ausdrücklichen Bewilligung der Erbfolge auf seine Nachkommen.“ Also ward der Schwanenritter zum Ahnherrn der Grafen von Cleve und Mark und es durfte der Dichter des reizenden Idylls „Otto der Schütz“ sagen:

„Ihr habt die Sage weit vernommen,
Wie einst des Hauses großer Ahne,
Vom Schwan gelenkt, an’s Land geschwommen –
Von Monsalwatsch war’s Lohengrin;
Beatrix warb er zum Gemahle.
Wohl trieb ein kläglich Schicksal ihn
Hinweg von ihr zum Dienst dem Grale,
Doch blieb der Stamm, von ihr geboren,
Des Vaters Banner unverloren.
Solch hohen Stammes rühmte sich
Der Gral von Cleve Dieterich.“

Was uns der Chronist in seiner trockenen Weise kurz und flüchtig andeutet, ist aber nur der matte Abglanz eines bunt schillernden Bornes, der das Reich der Mythe, der Mär, Sage und Geschichte gemeinsam durchfließt und ist dessen Zaubertiefe es wohl lohnt einmal hinabzusteigen.

Der Schwan war durch seine Farbe und den ihm angedichteten Gesang für die mythische Zeit der geheimnißvolle Repräsentant des schöpferischen Lichts. Und des himmelentstammten Klangs, der wie der Geist über den Wassern schwebte (als Zugvogel), aus unbekannter Ferne erschien und wieder dahin zurückkehrt. Er stand da im Gegensatze zu dem Raben, dem Vogel der das Leben vernichtenden Nacht, dem Repräsentanten der Hölle. So fliegen die Nornen als Schicksalsjungfrauen in der Gestalt von Schwänen durch die Lüfte; die Walküren erscheinen von Schwanenfittigen getragen über dem Getümmel der Schlachten und entscheiden deren Loos. Wie Allem, was einen geheimnißvollen Zusammenhang sich wahrt zwischen Himmel und Erde, so wohnte auch den Schwänen die Gabe der Weissagung bei. So kommt auch in den Liedern der Edda die wunderbare Natur des Schwans vielfach zur poetischen Verwerthung.

Im Reiche des Märchens und der Sage erscheint der Schwan als ein Abkömmling oder Sendbote aus einer andern glückseligeren Heimath, zu der er, von Sehnsucht getragen, immer wieder zurückkehrt. Indem er von Osten gen Westen fliegt, verbindet er auf geheimnißvollem Wege das Morgen- und Abendland und trägt die Wunder des erstern in dieses hinüber, wie sich dies charakteristisch ausprägt in dem bekannten Schwanenmärchen von Musäus: „Der geraubte Schleier“. Hier begegnen wir namentlich der Mär von den Schwanenjungfrauen, die ihr Schwangefieder beim Baden ablegen und zu wunderschönen Mädchen sich wandeln, damit aber auch den Wechselfällen des irdischen Daseins, vor Allem der süßen Gefahr der Liebe verfallen. Von ihrem Anblicke bethört, raubt ein schöner Menschenjüngling ihnen das Gewand, wie den an eine goldene Krone befestigten Schleier, dessen Besitz ihrer Wiederverwandlung bedingt. Sie können nicht mehr zurück zu ihrer Schwanenheimath, verbleiben im Banne des Herzens und genießen nun die Lust und das Leid der irdische Liebe. Aber die Sehnsucht nach der fernen Heimath voll ewigen Glückes lebt in ihnen fort, und als der Gatte ist unbewachter Stunde ihnen das streng verwahrte Schwanenkleid zeigt, das sie wieder zu Schwänen wandelt, fliegen sie durch die Lüfte davon, unbekümmert darum, daß dem verlassenen Gatten darüber das Herz vor Sehnsucht bricht.

Dasselbe leitende Motiv, nur aus dem Weiblichen in’s Männliche übersetzt, geht durch die Sage vom Schwanenritter. An die Stelle des verborgen gehaltenen Schleiers tritt hier die verbotene Frage nach der Heimath des auf räthselhafte Weise erworbenen Gatten. Auch vollzieht sich im Schwanenritter selbst keine Wandlung aus dem Menschen zum Thiere, vielmehr ist ihm der Schwan der Führer und Bote aus und nach den seligen Gefilden. Diese Sage vom Schwanenritter, wie sie nach vielen Wandlungen ist das Volksbuch übergegangen ist, erzählt uns Folgendes:

Rion, Sohn des Pirion und der Matabruna, König im Lande Lillefort, führt die schöne Beatrix als Gattin heim. Matabruna, die böse Mutter, sinnt darauf, wie sie dem Sohne das Herz der jungen Königin abwendig machen könne. Sieben Hündlein, sprengt sie im Lande aus, habe die junge Mutter geboren, indeß sie deren sieben blühende Kinder, welche bei der Geburt jedes ein silbernes Kettchen am Halse trugen, bei Seite bringt. Ein frommer Einsiedler, Helias, nimmt die im Walde Ausgesetzten erbarmend auf und erzieht sie heimlich. Dort später entdeckt und zum zweiten Male vom Tode bedroht, flattern sie, der Zier ihrer Kettchen beraubt, als Schwäne in die Luft. Nur der älteste entgeht durch Zufall dieser Metamorphose. Er wird nach dem Einsiedler „Helias“ genannt und weist, zum Jüngling herangewachsen, durch das Gottesurtheil eines glücklich bestandenen Zweikampfes, die Unschuld seiner Mutter nach. Die böse Matabruna wird verbrannt, und die Schwanengeschwister werden durch die Wiederherbeischaffung der silbernen Kettchen entzaubert bis auf einen, dessen Kettchen sich nicht mehr im alten Zustande befindet. Helias selbst wird König an des Vaters Statt. Da erscheint eines Tages der noch als Schwan verzauberte Bruder mit einem Schifflein und deutet mit stummer Geberde an, sein Bruder möge es besteigen – und nun geht die bisher vorwiegend märchenhafte Vorgeschichte über in die eigentliche Sage vom Schwanenritter. Helias folgt der Leitung des brüderlichen Schwanes und kommt in das Land der Herzogin von Billon (Bouillon). Diese ist von ihrem Schwager, dem Grafen von Frankenburg, der Vergiftung ihres Gatten bezichtigt worden und soll nun einen Ritter zum Kampfe mit ihrem Ankläger stellen, zum Erweise ihrer Unschuld.

Da naht, wie ein Traum ihr vorher verkündet, auf einem von einem Schwan gezogenen Schifflein ein fremder Ritter; er besiegt den Verleumder und erhält die Hand der schönen Clarissa, Tochter der Königin. Diese fragt den Gemahl eines Tages nach dem Lande, dem er entstamme. Helias verbietet ihr diese Frage zu thun; sonst müsse er scheiden. Die junge Herzogin bescheidet sich dessen. „Man weiß aber wohl,“ erzählt das Volksbuch in seiner naiven Treuherzigkeit, „wie die Frauen sind. Was man ihnen verbietet, das thun sie gerade zumeist und sind sie erst einmal neugierig nach einer Sache, dann haben sie keine Ruhe mehr Tag und Nacht, bis sie darum wissen.“ Also erging’s auch Frau Clarissen. Denn sie fragt nach sechs Jahren abermals. Vergebens ist die rührende Bitte des Kindes, vergebens das vermittelnde Wort des Kaisers – der Schwan steht schon auf der Wacht. Helias kehrt wieder heim gen Lillefort, ohne daß Frau und Kind seinen Namen erfuhren. Der Schwan, sein Bruder, wird endlich entzaubert, er aber siedelt über in ein Kloster, tief im Walde der Ardennen. Nach langem Suchen gelingt es treuer Gattenliebe, ihn noch in der Stunde des Sterbens aufzufinden. Hier liegt

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