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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

In der Provinz Ostpreußen auf dem Gute Gottesgabe bei Mohrungen, war Kreyssig’s Vater Verwalter, als dieser geboren wurde. Zwar hat der Vater sich um die Erziehung des Knaben wenig kümmern können, dieser aber, aufgeweckt, lebhaft, anstellig und praktisch, wußte sich überall in der Wirthschaft nützlich zu machen. Er begleitete die Leute in Feld und Wald, lebte in und mit der Natur, half mit, wo er konnte. Seine Freude an der Natur, seinen scharfen Blick für alle Erscheinungen in derselben, seine fröhliche Wanderlust – all dies hat jene Kinderzeit in ihm geweckt. Gewiß hat das Leben in der Natur aber auch beigetragen, die hervorragendsten Gaben in ihm zu entwickeln, denen er später so Vieles danken sollte: den weiten Horizont seines Anschauens und Denkens, die leichte, bestimmte Erfassung aller Verhältnisse, das schnelle, selten irrende Urtheil.

Friedrich Kreyssig.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Das fröhliche Land- und Waldleben endete, als der Vater sich genöthigt sah, an die Zukunft des Knaben zu denken, und ihn deshalb seinem Schwager, dem Seminardirector Kawerau in Jenkau, anvertraute. Mit diesem kam Kreyssig nach Königsberg, um daselbst zum Volksschullehrer ausgebildet zu werden. Das war hart für den lebhaften, hochstrebenden Geist, aber ohne Nutzen für ihn sind diese Jahre nicht gewesen. In der strengen Schule ist sein Geist pädagogisch erzogen worden; er hat das Handwerk seines Berufes, das auch in diesem den goldenen Boden bildet, kennen gelernt. Der neunzehnjährige Seminarist erhielt dann nach bestandener Prüfung die magere Versorgung in einer Elementarschule nahe der russischen Grenze. Ein gewöhnlicher Mensch wäre da in dem engen Kreise seiner Berufspflichten, in dem bescheidenen Leben dieser Träger der Massenbildung aufgegangen wie Hunderte und Tausende. Zu solchen Naturen gehörte Kreyssig indessen nicht. Er hatte Königsberg, die Universität gesehen, hatte erkannt, daß seine begrenzte Ausbildung ihm ewig eine Schranke ziehen, ihn hindern müsse, das Höchste in seinem Berufe zu erreichen. Dagegen revoltirte Geist und Temperament. Das Blut kochte in seinen Adern, und wie der Löwe gegen das Eisen des Käfigs, empörte er sich gegen die unerträglichen Fesseln, die ihn hier in enges Berufsleben bannten. Eifrige Beschäftigung mit der Wissenschaft, Selbststudien, die seine Nächte füllten, waren weit entfernt, ihn zu befriedigen; sie vermehrten noch den Drang, diese Fesseln zu sprengen. Das geschah. Er, der sonst so Pflichtgetreue, brach den Bann, verließ die masurische Dorfschule ohne einen Groschen in der Tasche und wanderte, glücklich wie ein dem Tode Entsprungener, nach Königsberg. Hier gab er Privatstunden am Tage und arbeitete für sich während der Nacht. In kaum zwei Jahren ward das Ziel erreicht, der Jüngling reif für die Universität befunden.

Diese Jahre mögen die gewaltige Arbeitskraft, die Energie des Willens, die Sicherheit des Vollbringens in Kreyssig erzogen und ausgebildet haben, die Jeder bewundern mußte, der jemals zu ihm in näheren Beziehungen gestanden hat. Das Leben setzte die Erziehung des Einundzwanzigjährigen nun nach anderer Richtung hin fort. Der Student, der Burschenschafter stand bald im Mittelpunkte des akademischen Lebens. Er hat das Arbeiten niemals gering geachtet, auch jetzt sich nicht dem süßen Taumel hingegeben, hat in den meisten Fächern, in alten und neuen Sprachen, in den historischen Wissenschaften, in der Religion etc. die Berechtigung zum Unterricht in den obersten Classen des Gymnasiums erworben. Dennoch wurde das Studentenleben gründlich genossen und mit den Commilitonen, zu denen von Keudell, unser Botschafter in Rom, Hobrecht, der ehemalige Finanzminister, Ferdinand Gregorovius, Julian Schmidt, Rudolf Gottschall gehörten, geistig und bei frohen Gelagen verkehrt. Der Fechtboden, die Reitbahn wurden nicht vernachlässigt, und wenn bei Festen und Versammlungen, bei feierlichen Anlässen und Ansprachen durch zündende Rede gewirkt werden sollte, so wurde damit gewiß meist Kreyssig betraut.

Die Mittel zum Leben mußten auch jetzt noch erworben werden. Der alte Graf Lehndorf-Steinort betraute den jungen Studenten mit der Aufsicht und Unterweisung seiner Söhne, die das Königsberger Gymnasium besuchten. Er wohnte mit diesen zusammen, begleitete sie während der Ferien hinaus auf Schloß Steinort, an die waldigen Ufer des Spirdingsees. Hier schwelgte der Jüngling nach langer Entbehrung wieder in Naturgenüssen. An die Ritte und Wanderungen durch die Forste, an das ungezwungene Landleben hat er noch bis zuletzt mit hoher Freude gedacht. Graf Lehndorf, der bekannte Adjutant und Günstling des Kaisers Wilhelm, gehörte damals zu Kreyssig’s Zöglingen.

Das Schicksal schien diesem jetzt Alles gewähren zu wollen, was ihm erwünscht erscheinen konnte. Er war gern gesehen in den Kreisen der Professoren und verkehrte viel in deren Häusern. Besonders liebte der alte Lobeck den geistesverwandten Schüler und zeichnete ihn vielfach aus. Lobeck, selbst kinderlos, hatte zwei Pflegetöchter, und die jüngere ward später Kreyssig's Gattin. Durch scharfen Verstand, treffendes, wenn auch oft bitteres Urtheil, gewandte, schlagfertige Rede, geistige Lebhaftigkeit mag sie den jungen, zum ersten Mal in Damengesellschaft verkehrenden Mann gefesselt haben. Sein bis zum Ungestüm lebhafter Sinn, sein überreiches, reges Gedankenleben, seine warme enthusiastische Natur hätte vielleicht weniger eine kritisch angelegte Lebensgefährtin bedurft, als ein sorgsames Hausmütterchen, das den Lärm und die Störungen des Alltagslebens von ihm fern gehalten, ihm Haus und Umgebung behaglich gemacht hätte. Und doch wird man kaum bestreiten dürfen, daß auch das Zusammenleben mit einer solchen Frau anregend und belebend aus manche seiner Fähigkeiten, auf seine Arbeits- und Erwerbskraft gewirkt hat.

Daß sein Geschick den Rastlosen zu ewigem Kämpfen und Ringen bestimmt, zeigt wieder die Berufung des fünfundzwanzigjährigen Lehrers an eine Realschule, zuerst nach Wehlau, bald darauf nach Elbing. Wieder waren da die höchsten Ziele, wenn nicht ihm, so doch seinen Schülern, durch eine Schranke verschlossen. Gekämpft und gerungen mußte da werden in Wort

und Schrift, mit Energie, aber lange ohne Erfolg, um den Realschulabiturienten den Besuch der Universitäten zu eröffnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_077.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)