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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Quallen und Actinien - eine reiche Auswahl für neugierige Augen. Und einen wahren Aufruhr erzeugt es, wenn im Abenddunkel jene geheimnißvollen mikroskopischen Geschöpfe, deren Anblick so mancher Inselgast vergeblich ersehnt, wie ein phosphorescirendes Oel gelegentlich das Wellenspiel beleben.

Meeresleuchten! Ein Ruf, der jede Nachtruhe stört, jede andere Beschäftigung unmöglich macht, als die eine: mit weitgeöffnetem Auge auf den blassen grünlichen, mit den Wellen tanzenden und sich überschlagenden Glanz hinauszustarren.

Den Hauptreiz bietet doch immer das Meer selber, ob nun der Himmel blaut und die wie ein Chamäleon in Farben spielende Fluth melancholisch ruhige Wogen wälzt, ob die Schaumkämme trotziger aufgischen und lauter branden, oder ob sich der Himmel mit wüstem Braun, schmutzigem, röthlichem, schwefelig angehauchtem Wettergewölk verhängt, Dunkelheit am Tage über dem Wasser lagert, der Sturm seine schauerliche Stimme erschallen läßt in das Toben und Wüthen, das Schaumschleudern und Brüllen des Proteus-Okeanos, des ewig ungefesselten Titanen.

Nur eine Regenwoche ist fürchterlich hier: Nichts sehen, als die geschäftigen Striche, welche dicht wie Notenlinien neben einander niederziehen, nichts hören, als den hohlen Ton der Brandung und das Rieseln und Klatschen, nichts fühlen, als die durch alle Kleider dringende Feuchtigkeit, welche Leib und Seele frösteln macht – puh! Doch, man muß auch darauf gefaßt sein. Und nirgendwo hat man besser Gelegenheit stoischen Gleichmuth zu lernen, als hier, von den schweigsamen, auf alle Wechselfälle des Geschickes gefaßten, ruhig und schwer ihres Weges wandelnden Inselbewohnern.

Es ist friesischer Schlag, mit der ganzen zähen Ausdauer und Arbeitskraft dieses Stammes ausgestattet. Im achtzehnten Jahrhundert zählte die Flotte von Norderney dreißig bis vierzig Kauffahrteischiffe. Die lutherischen Bewohner zählten dem ostfriesischen Landesherrn ein geringes Schutzgeld, und in der Mitte des Jahrhunderts wurde die Insel preußisch. Aber erst als Lichtenberg und Hufeland das Gewicht ihrer Autorität in die Wagschale warfen, beschlossen die Stände, die Idee zu erwägen, ob man dort Bade-Einrichtungen in’s Leben rufen solle; Mit dem Mai 1800 begann auf Norderney die erste „Saison“. Die Franzosenzeit – Norderney wurde königlich holländisch und dann sogar kaiserlich französisch – ließ alles stocken. Mit dem Jahre 1815 fiel die Insel an Hannover, 1866 an Preußen.

Der Uebergang an Preußen hat zwar dem Bade seinen aristokratischen Anstrich genommen, nicht aber seine Frequenz geschädigt, zudem allerlei gefördert – der Landungsdamm, der Leuchtthurm, die Sorge für den Dünenschutz, das große Strand-Etablissement und das neue Badehaus gehören hierher. In den Herzen der Bewohner hat der Uebergang keine Spuren zurückgelassen; wesentliche Bedeutung hat für sie nur die Physiognomie der Saison. Nach dem Ablauf des überaus milden Winters wird der Familienhammel in das Gärtchen beim Hause gebracht und festgebunden; die Stuben werden geweißt und hergerichtet – und nun kann der sehnlichst erwartete Gast kommen. Dann beginnt das lustige Saisonleben, um im September zu verregnen und zu verwehen, bis der letzte Fremde scheidet und Alles in die Lethargie der todten Jahreszeit zurücksinkt. So war es bis jetzt wenigstens; in der Zukunft durfte auch während des Winters in Norderney reges Leben herrschen; denn zum ersten Male wird im laufenden Jahre unter Professor Benneke’s Leitung auf dieser Insel eine Winterstation errichtet.

Man kann nicht von Norderney scheiden, ohne jener Hämmel zu gedenken, welche durch Spielhagen eine lustige Berühmtheit erlangt haben. Man höre seine Schilderung dieser Geschöpfe:

„Der Norderneyer Hammel ist ein hochbeiniges, breitbrustiges, langrückiges Thier von der Größe jenes berühmten Widders aus der Stammschäferei des Polyphem, und sein habitueller Gemüthszustand ein bis zur Melancholie des Wahnsinns sich vertiefender Ernst. Schon physiognomisch ist dieser Ernst deutlich erkennbar in dem Meer von Schmerz, das um die hohlen Augen herumliegt und sich in einem ununterbrochenen Strom die lange Nase herabgießt. So steht er, mit dem Einzug des Gastes tief in das Innere der Insel in eine Verbannung geführt, welche bis zum Wiederabzug dieses Gastes dauert, regungslos auf den Dünensand starrend. Endlich hebt er das Haupt zu den Wolken, die schwer über ihn dahinziehen und im nächsten Augenblick einen Schauer auf ihn herabschütten werden, den vierunddreißigsten heute Vormittag. In den Stapfen seiner Hufe sammelt sich der Regen, der eben losbricht – ein Zeichen, daß der Sand vollkommen getränkt ist. Und jetzt, jetzt! – über seinen breiten Rücken gleitet ein dünner, kalter Strahl – er kann, er will’s nicht glauben, und doch, es ist nicht anders: der Regen hat sich einen Weg durch sein Fließ gebahnt! und die feuchten Wimpern auf die halbgebrochenen Augen senkend, erhebt er seine Stimme.

Es ist nur ein Ton, aber welch ein Ton! ein Ton, tief, wie das tiefste Register einer Orgel, stark, wie die Drommeten Jerichos; ein Ton, der eine Welt von Schmerzen nicht sowohl in sich schließt, als von sich giebt, ausgiebt, zu den Wolken schreit, die droben hangen, zu den Möven, die schweren Flugs vorbeischwingen – ein Ton absoluter Hoffnungslosigkeit auf jedes Glück hienieden und in einem zukünftigen Leben, an das jeder glauben mag, wer kann – ein Ton, der gewissermaßen das Band zwischen dem Hammel und seinem Schöpfer zerreißt und das Tischtuch zwischen ihm und dem Menschen mitten durchschneidet. Dieser Ton, der, einmal ausgestoßen, zur Zertrümmerung und Vernichtung einer schönen Welt voll Licht und Frieden und Sonnenschein zu genügen scheint – er erdröhnt nun in regelmäßigen Pausen von fünf bis zehn Minuten wieder, Tag und Nacht, bis der Abgrund sich zu deinen Füßen aufthut und dein Herz in dir verzagt. - -“

Ist das nicht, lustig genug?

Glücklicher Hammel, der du einen solchen Sänger deiner Unsterblichkeit gefunden hast!

B.




Die Wandlungen des Jagdrechts.

Zur Geschichte edlen Waidwerks.

In der geschichtlichen Wandlung und Entwickelung des deutschen Jagdrechts begegnen wir dem uralten Kampfe zwischen der Satzung des Naturrechts und des Menschenrechts, des Rechts, wie es im Bewußtsein des Volkes lebt, und des künstlich gewordenen Rechts, das berufen ist, das Interesse einer einzelnen Classe zu schützen, einer Classe, welche gleichzeitig auch das Privileg der Macht für sich hat. So wird die Geschichte des Jagdrechts gleichzeitig eine Geschichte der Revolution, des Classenhasses, der socialen Bewegung im engeren Sinne.

Mit dramatischer Schärfe und in packender Verkörperung hat der bekannte Historienmaler W. Räuber in seinem, diesem Artikel beigegebenen Bilde eine Phase der Entwicklungsgeschichte dieses Rechts zur Anschauung gebracht, in welcher die Gegensätze in höchster Steigerung neben einander gestellt sind. Die beiden äußersten Stände in der gesellschaftlichen Stufenleiter des späteren Mittelalters, zwischen denen jener Kampf ausgekämpft wird, der Stand des Bauern und der des Adels, treten hier in drastische Berührung, bei welcher die ganze Ohnmacht und Schutzlosigkeit des ersteren und die volle Macht und herrische Willkür des anderen körperlich zur Erscheinung kommen. Gnad- und schonungslos jagt in toller Parforcejagd die wilde Hunde- und Menschenmeute zerstörend über das Eigen des Landmannes dahin, das dieser durch harte Arbeit zu einem zinstragenden Capitale für sich und die Seinen gewandelt hat. Im Gefühle seiner Ohnmacht beugt er nicht nur den Rücken vor den Hufen des Rosses und vor der geschwungenen Reitgerte der vornehmen Herrin, sondern er verstärkt dieses Gefühl auch noch durch den unterthänigen Gruß mit der Mütze, zu dem er sich mitten in der Herbigkeit der Situation anschickt. Die Bäuerin aber hat gegen die gewaltsame Zerstörung ihres mit pflegender Hand großgezogenen Kleinodgärtchens nur Töne der Klage und des Jammers. Es ist, als ob inmitten dieser Flucht der Empfindung und des Mitleids nur Einem aus dieser Gruppe das Gefühl für das begangene Unrecht nicht abhanden gekommen sei: dem sich gegen den Niederritt des Zaunes wild aufbäumenden Rosse des einen der Reiter.

Gerade in jener Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege, auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_647.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)