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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

welchen die Costümirung der Figuren unseres Bildes hinweist, war der geschichtliche Moment eingetreten, wo das Recht der Ausübung des edlen Waidwerks zu einem Hoheitsrechte des Landesherrn gestempelt wurde, zu einem von diesem wieder an den höchsten Stand, den Stand des Adels, verliehenen Privileg. Es hatte lange gedauert, bis es dahin kam; denn das öffentliche Rechtsgefühl kämpfte beständig gegen diese Monpolisirung an. Im Rechtsbewußtsekn des Volkes hat darum auch diese Auffassung nie Platz gegriffen. Dort galt ein anderes Gesetz.

Nach uralten germanischen Rechtsbegriffen war nämlich Wald, Weide und Wasser Gemeingut. „Jagd und Wasser,“ lehrte ein alter Rechtsspruch, „sind gemein.“ Jeder freie Mann, der da Waffen tragen durfte, sollte auch das Recht haben, diese zu gebrauchen im Kriege des Friedens, das heißt in der Jagd gegen alles, was da kreucht und fleucht. Die Jagd war gewissermaßen die Kriegsschule in der Zeit des Friedens. Mit ihr schloß in der germanischen Urzeit neben Spiel, Gelage und dem Rathe der Gemeinde der Kreis der Lebensthätigkeit des Mannes ab. „Es soll jedes Wild in dem Rechte desjenigen sein, in dessen Gewalt es ist – wer die Vögel fängt, deß sind sie.“ So lautete die Norm des alten Rechts.

Mit dem Uebergange von Grund und Boden aus dem Eigenthum der Gesammtgemeinde in das Eigenthum des Einzelnen wuchs die Ausübung und Pflege des Waidwerks naturgemäß zusammen mit dem Besitze des Revieres, auf dem das Wild lebte und sich bewegte. Bald aber begann die Umwandlung des Naturwaldes in den Culturwald, den Forst. Diese forstliche Pflege, welche der Staat in seine Hände nahm, erstreckte sich aber nicht blos auf die Bäume, auf die pflanzlichen Nutzungen des Waldes, sondern auch auf das Wild. Man umgab dasselbe mit einem gesetzlichen Banne, dem Wildbanne, und entzog es damit sowohl dem allgemeinen Angriffe, wie dem des einzelnen Grundbesitzers. So wurde das Jagdrecht aus dem Zusammenhange mit dem Grund und Boden wieder gewaltsam herausgerissen und zu einem besonders verleihbaren Rechte des Königs gestempelt, von dem es dann wieder an die kleineren Territorialherren, an geistliche Stifte, Klöster und Reichsritter vergeben wurde.

Selbst die Aufnahme des römischen Rechts, welches in dem Grundsatze, daß das wilde Thier dem gehöre, der sich seiner zuerst bemächtigt, auf die altgermanische Rechtsanschauung zurückging, vermochte den Gang der geschichtlichen Entwickelung nach jener Richtung hin nicht zu durchbrechen. Weil es nur der hohe Adel war, der mit dem Wildbanne belehnt wurde, so hieß es im Volke nicht ohne ironisirenden Beigeschmack: „Wo Edelleute sind, da sind auch Hasen.“

Mit der Erstarkung der Landeshoheit wurde dagegen die hohe Jagd das alleinige Vorrecht des Landesherrn und damit der Wildbann des Adels wieder eingeschränkt. Man brachte das Recht der Ausübung der hohen Jagd gleichzeitig in Verbindung mit dem allein dem Landesherrn zustehenden Rechte der Ausübung der peinlichen Gerichtsbarkeit („an Hals und Hand“).

„Wohin der Hirsch mit dem Fange,
Dahin gehört der Dieb mit dem Strange.“

So gelangte das Leben des Edelwildes in dieselbe Werthclasse mit dem Leben des Menschen, und im Laufe der Zeit sollte sein Werth sich sogar noch darüber hinaus erhöhen.

Auch bei der niederen Jagd nahm der Landesfürst die Vor- und Mitjagd in Anspruch. So kam in die Rechtsbücher die Lehre von der Existenz eines landesherrlichen Jagdregals; das gemeine Rechtsgefühl des Volkes aber hielt mit altgermanischer Zähigkeit an dem Grundsatze fest, daß Jagd und Wald ein freies Eigen seien. Sobald nun in der Geschichte der socialen Entwickelung ein Druck von unten nach oben stattfand, trat auch der zurückgedrängte Gedanke der Jagdfreiheit wieder in den Vordergrund. Schon im dreizehnten Jahrhundert findet er einen Ausdruck in Freidank’s Bescheidenheit, einem bekannten mittelalterlichen hochdeutschen Spruchgedichte, in dem es heißt:

„Die Fürsten zwingen mit Gewalt
Fels, Stein, Wasser und Wald;
Dazu nehmen sie die Thiere wild und zahm,
Und machten’s auch so mit der Luft gern allsam,
Die muß uns, aber doch gemeinsam sein.
Könnten sie uns auch den Sonnenschein
Verbieten, nicht minder Wind und Regen,
Man müßt ihnen den Zins auf Gold abwägen.“

Als gegen das Ende des fünfzehnten und im Beginne des sechszehnten Jahrhunderts die Bauern sich überall gegen die Herren gewaltsam erhoben, bildete der auf ihnen lastende Jagddruck eines der Hauptmotive ihrer socialen Unzufriedenheit, und in den zwölf Artikeln, in denen sie ihre Forderungen zusammengestellt hatten, stand der Anspruch, daß sie wieder mit den Fürsten Wald und Wasser gemeinsam haben wollten, daß Wild, Vogel, Fisch und Holz frei sein sollten, obenan.

Je erbitterter aber der Kampf geführt wurde, um so mehr bewegte er sich auf beiden Seiten in’s Maßlose. Auf der einen Seite wurde der Wildbann, die Jagdschranke, auf alles Wild, außer den Vögeln und Bienen, ausgedehnt, zuletzt aber auch der Vogelfang, die Anlegung eines Vogelherds, zu einem Vorrechte des Adels gemacht, und nur die Sorge um das lohnendere Wild schloß gemeinschädliche und werthlosere Thiere wie Füchse, Wölfe, Bären von dem Wildbanne aus. Als eine nothwendige Folge des Jagdrechts erschien dann auch das Recht des Hegens, der jagdmäßigen Pflege des Wilds. „Wer darf jagen, der darf auch hagen.“

Damit aber gesellte sich zu dem verletzten Rechtsgefühle für den Bauer, den Proletarier des Mittelalters, noch die Zufügung eines materiellen Schadens. Man verbot ihm nicht blos die Vernichtung, die Abwehr des Wildes von und auf seinem Eigen; man verpflichtete ihn auch noch, sein Wirthschaftssystem zu Gunsten der Wildpflege einzurichten, verbot ihm z. B., um das Gedeihen der jungen Hasen- und Hühnerbrut nicht zu stören, das Jäten und Aufhacken des Ackers, das Heuen und Stoppeln, ja, damit der Wohlgeschmack der Rebhühner nicht leide, das Düngen der Aecker mit gemeinem Dünger; man zwang ihn endlich zu Frohndiensten bei der Hetze und Suche des Wildes.

In Folge dieser Hegung nahm auch der Wildstand eine ungewöhnliche Ausdehnung an. Man hat nachgezählt, daß unter der Regierung des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen unter Einrechnung der Bären und Wölfe allein 800,000 Stück Wild im Lande Sachsen erlegt worden sind, und nach den eigenen Jagdtagebüchern des Kurfürsten Johann Georg des Ersten von Sachsen wurden in den Jahren 1611 bis 1653 in Summa 113,629 Stück Wild erlegt, unter denen sich allein 28,000 wilde Schweine befunden haben. Gerade die Wildsau war aber das dem bestellten Felde gefährlichste Thier; denn der Einbruch eines einzigen Rudels in ein Saatfeld konnte in einer Nacht die Resultate der mühevollen Arbeit eines ganzen Sommers vernichten.

Unter solchen Umständen bildeten auch beim seligen Reichskammergericht die Processe wegen Wildschadens eine stehende Rubrik.

„Der Wohlstand des Wildes,“ heißt es in Weber’s „Demokrit“, „wurde höher geachtet, als der Wohlstand des Volkes. Menschen hatten,“ fährt der rücksichtslose Satiriker fort, „durch den fleißigen Anbau ihrer Erde Hirsche und Schweine verscheucht, den Ur, Eber, Bär und Wolf nach dem hohen Norden getrieben; jetzt vertreiben Hirsche und Schweine den Menschen in die freien Wälder Amerikas.“

In der That, war gerade im achtzehnten Jahrhlmdert zu Zeiten jener Versailler Hofwirthschaft, wie sie auch an den kleinen deutschen Höfen nachgeäfft wurde, der Jagdsport, um ein modernes Wort zu gebrauchen, am stärksten in Uebung. Er wurde, wie aus der Schilderung der damaligen Jagdfeste hervorgeht, mit dem größten Luxus und oft mit einem Raffinement betrieben, von dem wir heute kaum noch eine Vorstellung haben. An jenem Feste, das der Herzog Karl von Württemberg im Jahre 1782 zu Ehren seines Gastes, des russischen Thronfolgers, Großfürst Paul, gab und das dem Regimentsmedicus Friedrich Schiller die Gelegenheit bot, den bedrückenden Banden der Karls-Schule und des Gamaschendienstes zu entfliehen – an diesem Feste wurden aus allen Forstrevieren des Landes gegen 6000 Hirsche nach dem herzoglichen Lustschloß Solitüde getrieben, wo ein lebendiger Zaun aufgebotener Bauern ihren Durchbruch verhinderte. Dort sollten sie, nach dem Festprogramm, alle auf eine Anhöhe getrieben und von da gezwungen werden, sich in einen See zu stürzen. Ein im See aufgebauter Pavillon aber bildete den Schießstand der fürstlichen Schützen.

So wurde das arme gehetzte Wild zwischen die Alternative des Feuer- oder des Wassertodes gestellt. Selbst russischen Nerven schien das zuviel; denn man sagt, der Großfürst habe sich unwillig abgewandt und keinen Schuß gethan.

Gegen diesen Druck von oben, in der maßlosen Ausbeutung des Jagdrechts, erfolgte nun ein Druck von unten. Da der in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_648.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)