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Seite:Die Gartenlaube (1881) 764.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ueberall mangelte es aber an Wasser. Die großen Entfernungen, die ungenügenden Communicationsmittel hinderten so fühlbar jeden raschen und energischen Fortschritt, daß man sogar den Vorschlag machte, das Wasser künstlich aus dem fünfundzwanzig englische Meilen entfernten Waalflusse auf die Diamantenfelder zu leiten. Die Grubenarbeiter, deren etwa sechs von einem sehr gut bezahlten weißen Aufseher überwacht werden, sind Eingeborene, die ungefähr zwanzig Mark Wochenlohn beziehen, aber trotz der strengen Aufsicht schätzt man die Menge der gestohlenen Edelsteine auf dreißig Procent der ganzen Ausbeute.

Als die Cap-Regierung Besitz von den Minen ergriff, traten ihr eine Menge vollendeter Thatsachen und schwieriger Fragen entgegen. Sie hatte ein ungeheueres Material rechtlich zu ordnen, vor Allem aber den gewaltsamen Besitz in rechtliches Eigenthum zu verwandeln. Ohne Zweifel bietet die Geschichte der Diamond-Fields interessante Probleme für den Juristen, während der Philosoph bei der Betrachtung derselben neues Material gewinnt zur Ausprägung der Begriffe: Gewalt, Recht, Gesetz und Besitz.

Nachdem wir den Proceß der Edelsteingewinnung verfolgt haben, werden wir die Diamanten auf ihrer Wanderung in Fabriken und Handel begleiten. Die Producenten verkaufen sie an Händler und Agenten. Niemand aber kann ohne einen Erlaubnißschein der Cap-Regierung, welcher jährlich dreißig Pfund Sterling kostet, Diamanten kaufen oder verkaufen. Selbst der Agent muß eine solche Erlaubniß nachweisen und dafür eine Summe von fünfzehn Pfund Sterling zahlen. Wohin die größte Menge der Diamanten geht, ist unentschieden; denn wenn auch die Juweliere behaupten, daß die besten und größten Steine nach Nordamerika versandt werden, so wird doch ein großer Theil derselben auch von Londoner, Amsterdamer und Antwerpener Firmen angekauft. Auf dieser Stufe des Diamantengeschäfts ist keine klare Arbeitstheilung; doch giebt es Händler, welche zugleich Schleifereien besitzen, und Schleifer, welche sich nicht mit dem Diamantenhandel befassen.

Die nach London versandten Diamanten nehmen ihr Absteigequartier meistens in der Hauptwohnstätte der Diamantenhändler, in Hatton-Gardens, einer verhältnißmäßig ruhigen Straße in der Londoner City, deren Häusern Niemand ansieht, welche Schätze sie beherbergen. Hier führen die Steine, sorgsam in Seidenpapier eingewickelt, ein behagliches Stillleben in Geldschränken und Pulten, bis sie an die Schleiferei abgeliefert werden. Zuweilen läßt der Händler sie in London schleifen. Es kommt aber auch nicht selten vor, daß er sie nach Amsterdam bringt oder bringen läßt, wo sich noch immer der Hauptsitz der Diamantenschleifereien befindet, nicht weil sich dort etwa die besten Traditionen erhalten hätten und die geübtesten Arbeiter fänden, sondern einzig und allein, weil dort die Arbeitslöhne billiger sind als in London, was jedoch von einigen Seiten bestritten wird.

Wenn man in Amsterdam vom Dam aus durch die Damstraße die eleganteren und reinlicheren Quartiere allmählich verläßt, gelangt man bald in ein Viertel, dessen äußerer Charakter Jedem auffallen muß. Die Hauptstraßen sind unreinlich, die Nebenstraßen entschieden schmutzig, und die ärmlich gekleideten Menschen, welche aus den unsauberen, kleinen Häusern kommen, sprechen Holländisch, aber sie gesticuliren lebhaft. Hier und da wird auch Deutsch mit derselben Zungenfertigkeit wie in Mainz, Frankfurt und Worms gesprochen, und zwar mit derselben Vorliebe für Nasallaute und entschiedener Abneigung gegen den Consonanten „n“. Die Gesichtszüge der redseligen Leute sprechen deutlich – nicht jene Gesichtszüge, mit denen moderne schönfärbende Romanschriftsteller ihre jüdischen Helden und Heldinnen ausstatten – wir sind im Judenviertel Amsterdams.

Die Geschichte der Juden ist mit der Geschichte der Diamanten unzertrennbar verknüpft; denn die Juden waren die Ersten, welche Diamanten in Amsterdam schliffen, und noch heute befinden sich die Diamantenschleifereien in dem Amsterdamer Ghetto; noch heute sind die meisten Besitzer der Schleifereien wie ihre Arbeiter Juden, und die Löhne der besseren unter den letzteren sind so bedeutend, daß mancher hohe deutsche Beamte diese Juden um ihr Einkommen beneiden könnte.

Die Mittheilung wird manchen Leser interessiren, daß wir seit kurzer Zeit die erste Diamantschleiferei in Pforzheim besitzen[WS 1]. Der hohe Zoll (25 Procent), welcher in Nordamerika die Einfuhr geschliffener Steine belastete, hat auch jenseits des Oceans die Einrichtung von Schleifereien bewirkt. Bedeutende Mühlen befinden sich auch in Antwerpen.

Die Einrichtungen sind überall dieselben, und der Proceß ist überall ein doppelter. Zuerst muß die künftige Form des Diamanten in einer rohen Weise auf dem Steine vorgezeichnet werden, und man befestigt zu diesem Zwecke zwei Diamanten auf zwei kurzen Stäben vermittelst eines eigenthümlichen Cementes, der ebenso rasch zum Erwärmen wie zum Erkalten gebracht werden kann, und reibt die beiden Steine so lange gegen einander, bis die Grundlinien der Facetten angedeutet sind.

Ist die Krystallform deutlich ausgeprägt, so ist schon ein großer Theil der Arbeit gethan. Schwieriger ist diese einleitende Arbeit, wenn der Diamant keine klare krystallische Form zeigt; denn alsdann muß er gespalten werden, was aber nicht immer gelingt. Schon bei diesem Aneinanderreiben der beiden Diamanten wird ein grauschimmernder Staub erzeugt, der bei dem Schleifen weitere Verwendung findet. Der größere Theil alles Diamantstaubes wird jedoch durch das Zerstoßen solcher Diamanten gewonnen, welche des Schleifens nicht werth sind. Bevor das Schleifen beginnt, befestigt der Arbeiter den in jener rohen Weise bearbeiteten Diamanten auf einen Bleikegel, aber das Blei muß sich selbstverständlich in geschmolzenem Zustande befinden, ehe es den Edelstein aufnehmen kann. Der Diamant ist verhältnißmäßig so klein, und der Verlust bei fehlerhaftem Schleifen so groß, daß oft die größte Sorgfalt und Mühe daran gewendet werden muß, ihm die gerade nöthige Lage im Bleikegel zu geben, und dies ist der Grund, warum Diamant und Bleikegel gewöhnlich verschiedene Male der Glasflamme ausgesetzt werden.[1] Das Einsetzen, Befestigen, Herausnehmen und Wiedereinsetzen des Diamanten aus und auf der glühenden Bleimasse nimmt der Arbeiter mit den Fingern vor.

Als ich fragte, ob es denn nicht möglich sei, die Operation mit einem Lappen oder irgend einem anderen Objecte vorzunehmen, sahen Arbeiter und Unternehmer mich mit einem vielsagenden Lächeln an. Das Lächeln des Arbeiters war entschieden verächtlich. Sein stolzes Selbstgefühl empörte sich gegen meine niedrige Meinung von der Stärke seiner Fingerhäute, und um sein Können in’s hellste Licht zu setzen, fingerte er mit einer, wie mir schien, unnöthigen Langsamkeit an dem Bleikegel herum. Hat der Arbeiter den Diamant auf dem Bleikegel befestigt, dann bringt er ihn mit einer schnell rotirenden Scheibe, welche man mit Oel und Diamantstaub angefeuchtet hat, so lange in Berührung, bis die Fläche gehörig abgeschliffen ist.

Dies zur Veranschaulichung der Schleifoperationen!

Versuchen wir nun, in allgemeinen Zügen das Bild einer Schleiferei zu entwerfen! Im Hintergrunde eines langen Saales steht parallel mit der Rückwand eine Reihe von eisernen Scheiben in horizontaler Lage, welche mit einer im unteren Stock befindlichen Dampfmaschine durch ein Räder- und Riemenwerk in Verbindung stehen und in kreisende Bewegung gesetzt werden. Hinter den Scheiben sitzen auf einer langen Bank so viele Arbeiter, wie Scheiben vorhanden sind. Ehe der Diamant all seine Facetten erhalten hat, verfließt eine geraume Zeit, und er verliert dabei sein Volumen bis zur Hälfte. Wenn man allein diese Verhältnisse, die hohen Arbeitslöhne der Schleifer sowie den bedeutenden Verlust an Material während des Schleifens in Betracht zieht und ganz von den hohen Gewinnungskosten, dem Risico des Unternehmens, den bedeutenden Entfernungen, dem Gewinn all der Zwischenpersonen, durch deren Hände der Stein geht, und den noch folgenden Processen absieht, selbst dann kann der hohe Preis der Diamanten nicht in Verwunderung setzen. Weit erstaunlicher ist es aber, daß trotz der ungeheuer vermehrten Production – man schätzt allein den Werth der in Südafrika gewonnenen Steine auf 400 Millionen Mark – der Preis der Diamanten sich nicht vermindert hat, sondern im Gegentheil gestiegen ist. Das erklärt sich nur dadurch, daß dem kolossalen Angebote eine noch kolossalere Nachfrage gegenübersteht. Kimberley-Actien, welche zu 10 Pfund Sterling ausgegeben wurden, werden jetzt an der Londoner Börse 370 notirt.

  1. Bei dieser Operation springt mancher Diamant, weil, wie in einem Artikel der „Gartenlaube“ (Nr. 51, 1880) richtig bemerkt wurde, die in dem Stein zuweilen vorkommenden Luftbläschen sich stark ausdehnen. Aber der dort mitgetheilte Fall (ein in einem Ring eingesetzter Diamant sei gesprungen, als der Eigenthümer die Hand an die Stirn gelegt habe) verdient bezweifelt zu werden; denn, wenn ein Diamant verschiedene Male die Wärme der Glasflamme und des Bleikegels ausgehalten hat – und jedem Diamanten ist dieses Loos bescheert – dann ist es unbegreiflich, wie die geringere Wärme der Hand und der Stirn ihn zum Zerspringen bringen könnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_764.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2022)