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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Auweh muß hier das Bier zu Lützeroda heißen,
Wie man zu Wittenberg auch ‚Kukuk‘ findet.“

Diese beiden Verse erlauben Rückschlüsse auf die Qualität dieses Bieres, welche Tieck bestätigt, wenn er sagt: „Kukuk, das ist ein sehr fatales Bier, welches in Wittenberg gebraut wird“, ein Bier also, dem den Namen gegeben zu haben für den Kukuk nicht schmeichelhaft sein kann.

Die nichtige, eitle Thorheit des Kukuks sah man hauptsächlich darin, daß er den Leuten immer nur seinen eigenen Namen in’s Ohr ruft, gleichsam immer auf seine werthe Person aufmerksam macht. So singt Hagedorn ihn an:

„Du nennest immer deinen Namen;
Dein Ausruf handelt nur von dir.
In dieser Sorgfalt scheinst du mir
Beredten Männern nachzuahmen;
Gleichst du dem großen Balbus nicht,
Der immer von sich selber spricht?“

So wurde der Kukuk ein Typus für den immer nur sich selbst rühmenden Egoismus, und sprüchwörtlich sagt man „der Kukuk ruft seinen eigenen Namen“ von einem selbstgefälligen eiteln Menschen. Diese Redensart wird jedoch auch noch in einem andern Sinne angewandt, nämlich von Einem, der an Anderen seine eigenen Fehler tadelt, seine eigene Schande verkündet, sich selbst verräth. Dies trägt dem Kukuk sogar Anerkennung ein von Seiten Luther’s, wenn er sagt: „Dank hab du, lieber Kukuk, daß du so frisch deinen eigenen Namen ausschreiest und rühmest, daß du wollest der Widerchrist sein.“ An einer andern Stelle heißt es: „Papisten schreien sich selbst aus, wie der Kukuk“ und: „der Guckguck muß ihm selbst sein Ohrgicht(-beichte) ausrufen.“

Nicht zu übersehen bei der Erklärung des Mißcredits, in welchen der ehemals so verehrte Vogel beim Volke gerieth, sind auch die Gepflogenheiten, durch welche er sich in seiner Lebensweise von den andern Vögeln unterscheidet. Dem mehr und mehr nach wissenschaftlicher Erkenntniß, namentlich auf naturwissenschaftlichem Gebiete, strebenden Sinne des Volkes stellen sich bei der Beobachtung des Kukuks in seinem Privatleben böse Dinge heraus. „Die Ehe eines Vogelpaares,“ sagt Brehm, „ist die treueste aller Ehen; denn sie scheidet blos der Tod. Nur der Kukuk ist von allen kleinen Vögeln verachtet und gehaßt, weil weder Männchen noch Weibchen besonders viel auf eheliche Treue halten.“ Diese vom Volke schon früh erkannte Thatsache ist in unseren Volksliedern vielfach Gegenstand spöttischer Behandlung.

Der Kukuk galt geradezu als Thier der Wollust, und aus seinem Leben nahm man Bilder für allerlei Störungen der Ehe unter den Menschen. „Ein Kukuk“ bezeichnet noch heute einen wortbrüchigen Bräutigam.

Nur irrt der Volksinstinct insofern, als nicht allein das Männchen so haarsträubende Dinge sich zu Schulden kommen läßt und sich, gelinde gesagt, der Vielweiberei hingiebt, sondern auch das Weibchen, und dies vielleicht in noch schlimmerer Weise, die eheliche Treue bricht und durch ihre Vielmännerei die Eifersucht des Männchens hervorruft. Zwar ist, wie Brehm sagt, die Eifersucht allen Vögeln eigen, der Kukuk aber zeigt sie in einem so ganz besonders hohen Grade, er geberdet sich so toll und wüthend bei Sichtbarwerden eines anderen Männchens in seinem Gebiete, daß man wohl mit Recht auch auf einen ganz besonderen Grund schließen darf, welchen das Kukuksweib dem Gauch durch ihr Verhalten bietet. Es erklärt sich dann auch die im Mittelalter sehr übliche Anwendung des Namens Kukuk auf einen betrogenen Ehemann ganz in dem Sinne von Hahnrei.

„Die Ungebundenheit und Unstetigkeit, um nicht zu sagen Liederlichkeit des Kukuksweibchens,“ sagt Büchner in seinem Buche über das Liebesleben der Thiere, „mag wohl mit zu der eigenthümlichen Gewohnheit Anlaß gegeben haben, daß der Kukuk seine Eier nicht selbst ausbrütet, sondern dieses Geschäft anderen Vögeln überläßt. Ein solches tolles Liebesleben verträgt sich bekanntlich schlecht mit Familiensorgen.“

Und dies war denn der größte Stein des Anstoßes, welchen das Volk an dem Kukuk nahm. Man war einstimmig in der Verdammung eines Vogels, der allein unter allen seinen deutschen Genossen, aller Liebe zu seiner Brut bar, seine Eier regelmäßig der Pflege und Wartung anderer Vögel anvertraut und seine Sprößlinge der öffentlichen Barmherzigkeit überläßt, während er selbst lustig umherstreift, sich auf seine Weise vergnügt, neue Brut in die Welt setzt und diese wieder der Wohlthätigkeit überläßt. Darin, daß die schlechte Mutter ihre Eier auf hinterlistige, diebische Weise in das Haus der schon lange vorher von ihr erkorenen Pflege-Eltern bringt, erblickte das Volk etwas Gespenstisches, einen weiteren Beweis für das dem Kukuk innewohnende teuflische Wesen. Es thut sich nämlich eine neue, bisher noch nicht berührte Verwandtschaft des Kukuks mit den Elfen auf, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese, die Zwerge und Kobolde, die ihrerseits Donar’s, des nachmaligen Teufels, Sippschaft bilden, nach dem Glauben des Volkes Menschenkinder zu stehlen und sie mit ihren „Wechselbälgen“ zu vertauschen trachten. Wenn Luther sagt: „Der Kukuk hat die Natur und Art, daß er der Grasmücke ihre Eier aussäuft und legt seine Eier dagegen in’s Nest,“ so ist diese vom ganzen Volke getheilte Meinung dadurch veranlaßt worden, daß beim Einschieben des Kukukseies oft ein rechtes schon im Neste vorhandenes Ei zerbrochen wird, diente aber bei der Nichtkenntniß dieses Umstandes nur dazu, den Kukuk den Kinder raubenden Kobolden um so ähnlicher erscheinen zu lassen.

Die Annahme, daß der Kukuk einen solchen Kobold in sich berge, konnte sich übrigens auch noch auf einen andern Zug stützen, welchen er mit diesen kleinen Wesen gemein hat. Wie die Kobolde nach dem Volksglauben einen tückischen Charakter haben und Menschen, welche ihnen mißfallen, auf jede Weise zu necken und zu äffen suchen, so hat auch der Kukuk seine Freude an neckischen Streichen. Es mag für Manchen etwas Unheimliches haben, wenn er im stillen Walde plötzlich die laute Stimme des Kukuks in seiner Nähe rufen hört, und schon aus diesem Grunde ist es erklärlich, wenn man dem Kukuk die Absicht beilegte, die Leute zu erschrecken und sie schadenfroh seine dämonische Macht fühlen zu lassen. Sein Ruf scheint zum Folgen aufzufordern, aber ohne dem Suchenden sichtbar zu werden, leitet er diesen, von Baum zu Baum hüpfend, irre, und foppt und höhnt den auf ihn Achtenden durch sein fortwährendes „Kukuk“. Daher rührt ja auch das bekannte Versteckspiel der Kinder, bei welchem diese auch durch den Ruf „Kukuk!“ zum Suchen auffordern. Dieses Spiel wurde im siebenzehnten Jahrhundert lateinisch cuculus genannt.

Daß die Nachkommenschaft des Kukuks, wenn sie kaum herangewachsen ist, schon den bösen Geist der Eltern verräth, daß „die junge Zucht dem edlen Vater gleich ist“, wie Voß sagt, ist erklärlich. Durch seine ihm ähnliche Brut setzt der Böse sein Treiben fort:

„Kann der Kukuk nicht mehr schrein,
Pfeift er’s seinen Jungen ein.“

Brehm sagt von dem jungen Kukuk: „Nicht genug, daß der niemals satte Fresser unglaublich viel Nahrung braucht und beide Eltern kaum im Stande sind, seinen Hunger zu befriedigen, macht er sich auch bald in pöbelhaft undankbarer Weise groß und breit im Neste. Er wächst schneller, als die rechten Kinder des Nestes und nimmt bald den besten Platz desselben ein. Damit ist er aber noch nicht zufrieden. Bei seinem ewigen Dehnen und Recken gelingt es ihm bald, eines seiner Pflegegeschwister nach dem andern auf seinen breiten Rücken zu schaufeln und über Bord zu werfen, das heißt über den Rand des Nestes hinaus zu schleudern. Endlich brüstet er sich allein in der fremden Wiege, in welche seine wahren Eltern ihn legten, und reißt nun den weiten gelben Rachen noch weiter auf, als früher, schreit gieriger nach Nahrung, als erst. – Seit alten Zeiten ist die Behauptung aufgekommen, daß der junge Kukuk seine eigenen Pflege-Eltern verzehre. Dies ist selbstverständlich unwahr, allein es ist sehr natürlich, daß die Beobachter, wenn sie den ungeheuer aufgerissenen Rachen gesehen haben, zu solcher Meinung gekommen sind.“

Wie anspruchsvoll der junge Kukuk noch dazu bei diesen seinen Eigenschaften und Leistungen ist, zeigt, daß er beim Wegzuge sogar zu faul ist, selbst zu fliegen, wie ein Schriftsteller des siebenzehnten Jahrhunderts sagt: „Weil er faul ist und nit wol fliegen kan, so setzt er sich auf die Schultern des weiers.“[WS 1]

Doch nimmt der Kukuk auch noch die Dienste eines anderen Vogels in Anspruch, wenigstens nach dem Sprachgebrauch, nämlich die des Wiedehopfs, welcher als „Kukuksknecht“ oder „Kukukslakai“, am häufigsten wohl als „des Kukuks Küster“ bezeichnet wird und dessen hier auch noch mit einigen Worten gedacht sein möge. Veranlassung zu dieser Bezeichnung mag wohl der Umstand gegeben haben, daß der Kukuk immer einfällt, sobald der Wiedehopf sein dem Kukuksrufe ähnliches „hupp hupp“ hören läßt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Aegidius Albertinus: Der Welt Tummel- vnd Schawplatz, Seite 510
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_298.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)