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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Wohnung der Schwestern geschlüpft, und nur das brausende Lachen und Scherzen drang zuweilen in die stillen Gänge hinaus; dann ging es in den Garten, wo der herrliche Sonnenschein sich schier zu freuen schien über eine Gesellschaft, wie sie so lustig an diesem Orte noch nicht gesehen worden.

Die gute, alte Domina, der geschäftig jedes neue Gerücht zugetragen worden war, hatte ungläubig den Kopf geschüttelt, weil sie es gar nicht für möglich gehalten, daß man einen solchen Frevel vor ihren Augen ausführen werde. Sie forderte aber doch die Klostergenossinnen auf, in ihr Zimmer zu kommen und von dort die Vorgänge im Garten zu beobachten; die alten Damen strengten auch schon lange ihre Gehörnerven an, um das Sporenklingen heranrücken zu hören. Wie lang wurden aber ihre Gesichter, als die Gesellschaft im Garten sichtbar wurde und keine Uniformen, sondern nur junge Mädchen erschienen! Wo waren die Schrecklichen, die Herren Officiere?

Wären die Augen der guten Alten nicht durch die Jahre geschwächt gewesen, so würde es ihnen aufgefallen sein, daß ein Theil der Jungfrauengestalten da vor ihnen im Garten sehr plump und ungeschickt aussah und immer von Neuem die Lachlust der Anderen erregte; die ehrwürdigen Matronen saßen ganz betroffen da und wagten kaum, den Blick zur Frau Domina zu erheben. Sollte die Kunde von dem Unerhörten, das sie so geschäftig von Ohr zu Ohr getragen hatten, sich nicht erfüllen? Keine Officiere?

Frau Domina wollte gerade anheben, eine Strafpredigt an ihre Gefährtinnen zu richten, die so böswillig die Jugend verleumdet, als die Aufmerksamkeit der würdigen Damen von Neuem auf die Gruppe im Garten gelenkt wurde; denn – was war das? Jenseits der hohen Mauer des Klostergartens, im daran grenzenden Park des Landesfürsten erscholl plötzlich rauschende Musik, welche ohne Frage nur die Herren Officiere in Scene gesetzt haben konnten, und in demselben Augenblicke schwebte auch schon Paar auf Paar über den Rasen dahin. O weh! jetzt war es vorbei mit aller Mummerei; selbst den blöden Augen der alten Damen entging es nicht, daß sämmtliche Zusammentanzende ganz wunderbar zu einander paßten – gar nicht, als ob das Paar aus zwei Mädchen bestände, und daß ferner hier und da unter den langen, ungeschickt umherschlagenden Röcken merkwürdig große Stiefel und bei der einen der tanzenden Gestalten sogar ein Paar Sporen hervorlugten; ja auch die zarten Mädchenstimmen hatten sich zum Theil sogar in tiefe Baßstimmen verwandelt, sodaß ein Irrthum nicht mehr möglich war: es waren wirklich Officiere im Nonnenkloster.

Mit einem Schrei des Entsetzens fiel die gute Domina in ihren Sessel zurück; die Prise, die sie zwischen den Fingern hielt, war denselben auf dem Wege zur Nase entfallen, und „Männer – Männer!“ tönte es von ihren Lippen. Dieser Frevel war doch zu groß – wie sollte er gesühnt werden?

Alle Schwestern bemühten sich, gleich entsetzt zu erscheinen wie die Frau Domina; verschiedene mehr oder weniger gut gespielte Ohnmachten ereigneten sich, und durch die dabei üblichen Aufschreie wurde die flotte junge Gesellschaft nicht wenig erschreckt und hielt sofort im Tanzen inne; eilig ergriffen Tänzer und Tänzerinnen die Flucht.

So endete das übermüthige Treiben der jungen Klosterschwestern; denn unmöglich konnten sie nach diesem Attentat noch länger im Kloster bleiben; sie flüchteten sich zu ihren Eltern und baten um Schutz und Beistand in dieser heiklen Sache.

Die Domina, die in ihrem tiefen Gekränktsein kaum wußte, wie sie dem Vater der jungen Sünderinnen ihre Entrüstung darthun sollte, wurde indessen aller Mühe überhoben: denn schon am nächsten Morgen erschien der Herr Oberst selbst bei ihr und verstand in so herzgewinnender und doch ehrfurchtsvoller Weise für seine beiden Mädel um Verzeihung zu bitten, daß die gutmüthige Frau Domina bald besänftigt wurde und vollends Alles gern verzieh, als der Vater ihr die gestern Abend stattgefundene Verlobung seiner ältesten Tochter, des „Klosterfräuleins“, mit einem der jungen tanzlustigen Officiere mittheilte. Ein „Gott sei Dank!“ entfloh den Lippen aller alten Damen, wie sie das letztere Ereigniß vernahmen, und mit großer Uebereinstimmung thaten sie den Ausspruch, daß die nunmehrige glückliche Braut für’s Kloster doch nie tauglich gewesen wäre.

Der alte Klostergarten hat seitdem nie wieder so fröhliches Leben geschaut; tiefe Grabesstille liegt nach wie vor über ihm ausgegossen, und nichts stört mehr die friedliche Nachmittagsruhe der alten Damen; es müßte denn sein, daß der Sonnenschein, der durch die dichtberankten Fenster dringt, ihnen auf der Nase spielt oder daß eine Nachtigall den Flug über die Mauer genommen und nun vor dem Fenster der einen oder der andern ihr klagendes Liebeslied singt und dadurch die Träume der Alten stört; sonst aber ist Alles beim Alten geblieben in dem stillen Jungfrauenheim. Es wird schwerlich zum zweiten Male ein junges heißblütiges Kind Wellenschlag in die Eintönigkeit hinübertragen und den Staub aus den Ecken aufwirbeln; denn wenn sich auch Alles im Leben wiederholt – ein Maskenscherz im Nonnenkloster? Nein, der ist zu unerhört, der kann nur einmal existiren in den Jahrbüchern der Weltgeschichte.




Blätter und Blüthen.



Mängel im Eisenbahnverkehr. Es ist bekannt, daß unsere Eisenbahnverwaltungen unablässig bemüht sind, Verbesserungen im Personenverkehr und in der Einrichtung der Personenwagen einzuführen, sodaß wohl behauptet werden darf, das man, den localen Verhältnissen entsprechend, nirgends wohlfeiler, sicherer und bequemer reist als in Deutschland; denn daß man bei uns ganze Restaurationen und Lesecabinets wie bei den Zügen, die den amerikanischen Continent durchfahren, mitführe, wird Niemand verlangen, der unsere Verhältnisse richtig würdigt. Offene Fragen sind bei diesen Verbesserungseinrichtungen allerdings noch immer vorhanden, und dahin rechnen wir unter Anderem immer noch die über das beste Heiz- und Beleuchtungssystem. Die Sorge darüber können wir unseren Eisenbahnverwaltungen überlassen in der sicheren Hoffnung, daß auch darin bald erhebliche Fortschritte werden gemacht werden; dagegen möchten wir an dieser Stelle den Eisenbahnverwaltungen einige unschwer zu erfüllende Wünsche des Publicums an’s Herz legen, welche zwar nicht ganz neu, aber doch noch nicht genug berücksichtigt worden sind.

Zunächst: die Form der Sitzbänke! Es ist bekannt genug, daß, wenn der menschliche Körper ruhen will, weniger die Schulterblätter als das untere Ende des Rückgrats eine Unterstützung verlangt; die meisten Sitzbänke namentlich der dritten Classe haben aber eine fast gerade oder nur wenig geneigte Rückwand, während mit geringen Mehrkosten eine zweckmäßig nach unten und vorn kräftig ausgebauchte Wand, wie wir sie z. B. bei den oldenburgischen Wagen finden, herzustellen wäre. Selbst die Polsterbänke der ersten und zweiten Classe entsprechen meist auch nicht den erforderlichen Rücksichten. Wie kreuzlahm fühlt man sich nach einer langen Reise im gefüllten Coupé, in dem man verurtheilt war, lange Zeit dieselbe Stellung einzunehmen!

Ferner: die Fenster! In Betreff derselben möchten wir den Wunsch aussprechen, daß, wenn sie geschlossen sind, sie auch wirklich dicht schließen und man nicht beim Vorwärtsfahren einem unerträglich feinen Zuge ausgesetzt ist, der namentlich an stürmischen Wintertagen nicht besonders starken Naturen erhebliche Gesundheitsschädigungen bringen kann. Werden Gardinen angebracht – was doch für alle Classen zu fordern ist – so sollten dieselben ihren Zweck auch dadurch erfüllen, daß sie den lästigen Sonnenstrahlen den Eingang vollkommen wehren. Viele Verwaltungen haben zwar schon große sich überdeckende Gardinen angebracht, meist sind aber die Oesen zur Befestigung an den vorhandenen Knöpfen abgegriffen; oft genug findet man aber auch statt der Gardinen nur kleine Stückchen Zeug, die kaum eine Glasscheibe decken und bei geöffnetem Fenster ein Spielzeug des Windes sind. Alle Versuche, die Dingerchen mit Stecknadeln unter Zuhülfenahme von Taschentüchern zu befestigen, sind vergeblich; man muß sich den Tanz des flackernden Sonnenlichtes vor seinem Gesicht gefallen lassen und ohne Murren gegen das Schicksal die Augen schließen.

Endlich: ein großer Fehler war die im Jahre 1873 von einigen Eisenbahnverwaltungen eingeführte Beschränkung der Retourbillets; es würde für die Eisenbahnen ein durchaus nicht zu unterschätzender Vortheil und für das reisende Publicum eine mit großer Freude begrüßte Annehmlichkeit sein, wenn wieder auf allen deutschen Bahnen eine mindestens dreitägige Gültigkeitsdauer der Retourbillets unter Benutzung der Schnellzüge eingeführt würde. Man wende nicht ein, daß dadurch dem Mißbrauch und Betruge Thür und Thor geöffnet werde! Es ist Sache der Eisenbahnverwaltungen, sich dagegen durch geeignete Maßnahmen zu schützen. Der Personenverkehr ist thatsächlich durch Beschränkung der Retourbillets herabgedrückt worden: denn erstens kann sich in Folge dessen der leichtfüßige Retourverkehr nur auf ein geringeres Gebiet erstrecken, und dann erscheint Vielen für Zwecke des Vergnügens oder Geschäfts die gebotene Zeit zu kurz; man schränkt daher seine Reisen auf das äußerste Minimum ein und wählt lieber den schriftlichen Weg zur Erledigung seiner Angelegenheiten. Täuschen wir uns darüber nicht: wenige Mark Unterschied im Fahrpreise sind oft entscheidend, ob Jemand eine Reise in die Umgegend unternimmt oder nicht.

Wir wollen für heute unsern Wunschzettel, den gewiß Viele gern unterschreiben werden, schließen und hoffen, daß derselbe maßgebenden Kreisen zu Gesicht kommen und dort geneigtes Gehör finden werde.





Der Parzival Wolfram’s von Eschenbach von Wilhelm Meyer-Markau (Magdeburg, Heinrichshofen). Die Parsifal-Aufführungen in Bayreuth haben auf’s Neue das Interesse auf den literarischen Stoff gelenkt, der dieser Wagner’schen Bühnendichtung und ihren epischen Vorgängerinnen zu Grunde liegt. Zeitgemäßer als in diesem Augenblicke konnte daher die oben bezeichnete Schrift unseres geschätzten Mitarbeiters nicht erscheinen, und so dürfte ihr das dankbare Entgegenkommen zahlreicher Leser sicher sein; sie unterrichtet in eingehender Weise über die literarische Quelle des Wagner’schen „Parsifal“, indem sie uns mit vielem Geschick in das großartige Werk des sprach- und geistesgewaltigen mittelalterlichen Dichters einführt. Kurz und klar entwirft uns der Verfasser zuerst ein Bild von dem, Leben und Schaffen Wolfram’s, um uns alsdann den Sagenkreis vom „Heiligen Gral“ und „König Artus“ zu erschließen und uns so das Verständniß des „Parsifals“ zu erleichtern. Hieran knüpft sich zwanglos eine ebenso übersichtliche wie gewissenhafte Inhaltsangabe der Dichtung; es folgt eine eingehende Kritik derselben, und als Anhang bilden Mittheilungen über die Handschriften und Uebersetzungen den Schluß. Lichtvoll in der Darstellung, scharf im Urtheile und abgerundet in der Anordnung, bietet die Meyer-Markau’sche Schrift eine lehrreiche und fesselnde Lectüre, und wenn wir noch erwähnen, daß einer der gründlichsten und geistvollsten Parzivalkenner der Gegenwart, San-Marte, diese Abhandlung einen „sehr guten und übersichtlichen Commentar“ zu dem Wagner’schen Textbuche des „Parsifal“ nennt, so brauchen wir wohl zur Kennzeichnung des Werthes und der Bedeutung der dankenswerthen Schrift kaum noch etwas hinzuzufügen.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_567.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)