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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Die beiden Attentäter starrten, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, umsonst nach dem Schlosse hin, in welchem und um welches her ein gränzenloser Wirrwarr sich erhob. Sie sahen nur noch todte und verwundete Gardesoldaten aus dem Thore tragen. Dann wagten sie nicht, länger zu bleiben, sondern eilten davon, um ihren gewohnten Unterschlupf aufzusuchen.

Getroffen hatte der Schlag wohl, nur nicht den, welchem er gegolten. Chalturin hatte mit diabolischer Kaltblütigkeit den Moment berechnet, wo der Zar mit seiner Familie in den Speisesaal getreten sein würde, um sich zur Tafel zu setzen. Er hatte die Zeit bis auf die Minute hin zu erspähen gewußt. Als die Minute gekommen und er in der Werkstatt allein war, that er den zündenden Funken an die Leitröhre zur Mine und entwich, so schnell er konnte, aus dem Palast. Aber die Rechnung hatte einen Fehler: es war in dieselbe eine Ziffer, welche Zufall hieß, nicht eingestellt worden. Ein fürstlicher Gast, den die kaiserliche Familie zur Tafel erwartete, hatte sich eine Verspätung zu schulden kommen lassen. Demzufolge begab sich Alexander der Zweite etwas später als gewöhnlich auf den Weg zum Speisesaal und das rettete ihn, seine Familie und sein Gefolge. Denn bevor der Zar in die Nähe des bedrohten Raumes gekommen, barst Chalturins Mine los, schlug mit furchtbarer Gewalt aufwärts, zertrümmerte Mauern, Böden und Decken, tödtete 10 und verwundete 53 Soldaten vom finnländischen Garderegiment in dem Wachtlokal und trieb ihre verheerende Wirkung bis hinauf in den kaiserlichen Speisesaal.

Derweil die Insassen des Schlosses von Entsetzen betroffen waren, erwachte der mörderische Sprenger, welcher ohne die geringste Gewissensregung das Leben von Hunderten auf’s Spiel gesetzt hatte, aus einer Ohnmacht, in welche er, kaum in der Nihilistenherberge angelangt, gefallen war. Seine ersten Worte lauteten. „Ist Er hin?“ Man wußte ihm keine Auskunft zu geben. Denn erst im Verlaufe vom 6. Februar erfuhren die Verschwörer, daß Alexander der Zweite ganz unverletzt der fürchterlichen Gefahr entgangen sei. Der Lackirer brach darob in Wuth aus und überhäufte Scheljabow und alle vom Exekutivkomité mit wilden Vorwürfen, daß sie seinen Plan, den ganzen Winterpalast zu sprengen, nicht angenommen und durch Nichtlieferung einer ausreichenden Menge Dynamits vereitelt hätten. „Ich schwör’ euch“ – schloß er seine Zorn- und Scheltrede – „daß ich nicht ruhen werde, bis Er hin!“ Dieser Schwur ist ein Jahr später zwar nicht von dem Schwörer selbst, aber von anderen grässlich eingelöst worden.

Chalturin vermochte ungefährdet Petersburg zu verlassen. Er trieb sich dann in Moskau, Kiew und Odessa herum, immer mordlustig und mordbereit. Im Jahre 1882 ereilte ihn das wohlverdiente Schicksal. Als er am 18. (30.) März seinem Genossen Schelwakow bei der Ermordung des Staatsanwalts Strelnikow in Odessa geholfen, wurde er noch an demselben Tage verhaftet. Am 22. März sind Schelwakow und Chalturin aufgegalgt worden, wie recht und ziemlich. Erst hernach wurde in Erfahrung gebracht und amtlich festgestellt, daß der in Odessa gehenkte Chalturin der Lackirer, Minenleger und Zünder vom Winterpalast gewesen sei.[1]




Deutschlands Kolonialbestrebungen.

Ein Besuch in einem Papuadorfe auf Neu-Guinea.
Für die Gartenlaube mitgetheilt von Dr. O. Finsch.[2]

Die Zahl unsrer farbigen Schützlinge wächst unaufhörlich und hat neuerdings durch die Menschenfresser der Südsee-Inseln eine interessante Bereicherung erfahren. Die deutschen Kolonialpolitiker, die vor einigen Jahren für die Kolonisation jener Inseln in Feuer und Flammen standen, sehen jetzt ihre Wünsche, zum Theil wenigstens, verwirklicht. Wenn nicht auf Samoa, so weht doch wenigstens auf einem Theil von Neu-Guinea, auf Neu-Britannien und Neu-Irland die deutsche Flagge. Für die gelehrte Welt bildeten jene „paradiesischen Eilande“ seit Jahren ein höchst anziehendes Forschungsgebiet; Zoologen, wie Darwin und Wallace, brachten von ihnen eine Fülle neuer wunderbarer Berichte, und Anthropologen und Ethnographen haben bis jetzt das interessante Menschenmaterial, das sich dort darbietet, kaum bewältigen können. Aber aus diesen Gründen ist das deutsche Protektorat über jene Inseln nicht verkündigt worden. Dies geschah im wohlverstandenen Interesse derjenigen deutschen Kaufleute, die dort im Wettstreite mit anderen seefahrenden Nationen eine angesehene Stellung sich zu erringen gewußt und die einen wichtigen Theil des dortigen Handels in ihren Händen haben.

Die Auswahl jener Produkte ist hier allerdings nicht groß, und im Grunde genommen giebt es nur einen Handelsartikel, der von der Südsee in großen Massen nach Europa gebracht wird: die Kopra, das heißt den in Streifen geschnittenen und in der Sonne getrockneten Kern der Kokosnuß. Diese Waare wird jedoch erst seit neuerer Zeit gehandelt, früher kaufte man statt derselben von den Eingeborenen fertiges Kokosnußöl. Das Geschäft war aber nicht besonders lohnend, der Transport in Fässern unbequem und außerdem gelangte das Oel in verdorbenem Zustande nach Europa. Da beschloß die Hamburger Firma Godeffroy, bei den Südsee-Insulanern die Kopra aufzukaufen, die jetzt in Europa ausgepreßt wird. Das Geschäft erwies sich lohnender, namentlich als die Fabrikation des Kopra-Oels solche Fortschritte gemacht hatte, daß man Kokosnußöl von der Güte des echten Olivenöles auf dem europäischen Markte verkaufen konnte. Ohne Kopra wären die Südsee-Inseln für den Kaufmann ziemlich werthlos, da in den andern Artikeln, wie Schildkrot, Perlmuscheln, Wachsnüssen etc. ein namhafter Umsatz nicht erlangt wird und die spärlichen Plantagen der Weißen zu einer besonderen Blüthe noch nicht gereift ist.

So ist dort das Geschäft ziemlich einfach. Zerstreut auf den einzelnen Inseln wohnen die weißen Händler in einfachen Häusern, die mit Palissaden aus starkem Bambus umgeben sind. Hier empfangen sie die Eingeborenen, welche die Kopra in kleinen oder größeren Körben bringen und für ein Pfund dieser Waare etwa einen Fingerhut Perlen verlangen. Oder sie fahren in starken Böten von Dorf zu Dorf, um die Kopra an Ort und Stelle aufzukaufen. Diese Händler betreiben das Geschäft in der Regel für irgend eine Firma, deren Schiffe von Zeit zu Zeit die betreffende Insel anlaufen, die Kopravorräthe mitnehmen und den Händler von Neuem mit europäischen Waaren versorgen. Das ist der gleichartige Kreislauf, in dem sich der Südseehandel bewegt, und der nur durch Streitigkeiten und Kämpfe mit den wilden Eingeborenen unterbrochen wird.

Auf den Inseln, die jetzt zum Theil unter das deutsche Protektorat gestellt worden sind, gehören die Einwohner dem Papuastamme an. Ihre Sitten und Lebensgewohnheiten werden in dem hier folgenden Artikel von Dr. O. Finsch, der jetzt im Auftrage der Reichsregierung sich in der Südsee aufhält, ausführlich und lebenswahr nach eigener Anschauung geschildert. Der interessante Bericht sowie die ihn begleitende Illustration sind von dem berühmten Reisenden an Ort und Stelle für die „Gartenlaube“ entworfen worden, und wir freuen uns, dieselben gerade in diesem Augenblick unseren Lesern bieten zu können.

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An der Südostküste Neu-Guineas liegt Aroma, eine der fruchtbarsten und reichsten Landschaften. Sie erstreckt sich längs Kepel-Bai und zählt auf einer Entfernung von nur 12 bis 15 Seemeilen an 32 Dörfer und Siedelungen. Von See aus sieht man wenig von denselben, da sie meist durch einen dichten Gürtel hoher Pandanusbäume, welcher die niedrigen Dünen des breiten ebenen Sandstrandes bekleidet, verdeckt werden. Hinter diesen Dünen ist äußerst fruchtbarer Boden, mit wahren Wäldern


  1. Der Verfasser schließt hiermit den für die „Gartenlaube“ bestimmten Auszug seines demnächst erscheinenden Buches, auf welches wir alle Diejenigen verweisen, welche näher auf diese Materie einzugehen wünschen.
    Die Red.
  2. Wir verweisen bei dieser Gelegenheit unsere Leser auf die höchst interessanten früher in der „Gartenlaube“ mit originellen Illustrationen erschienenen Artikel unseres geschätzten Mitarbeiters: „Kriegsführung auf den Marshallinseln“ Jahrg. 1881, S. 700, und „Land und Leute in Neu-Britannien“ Jahrg. 1882, S. 696.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_048.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2018)