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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

im Wasser lange waten, ehe die Fluth die Unzulänglichkeit der Badebekleidung bedeckt.

Was nun das Baden betrifft, so muß ich Dir gestehen, daß mich – die ich bisher nur an die Abgeschlossenheit unserer Badestube gewohnt war – ein Schauer überlief, als ich dieses Treiben hier sah. Die Eintheilung der Badestunden ist hier nämlich so merkwürdig, daß die der Damen mit jenen der Herren zusammenfällt, und Du kannst Dir denken, daß man einigermaßen überrascht ist, wenn man am Morgen im Wasser von einem Herrn begrüßt wird, mit dem man am Abend zuvor im Kursaal getanzt hat. Denke Dir: heute stellte mir Tante Clara im Bad den Lieutenant von B. vor – ich hätte beinahe laut aufgelacht – wenn ich nicht selber so betroffen gewesen wäre. Zu Deiner Beruhigung bemerke ich, daß er seine Uniform mit einem sehr kleidsamen gestreiften Trikot vertauscht hatte.

Es giebt Damen, die förmlich Toilette machen, ehe sie den Badekarren verlassen, – und die meisten Engländerinnen lassen ihr unverwahrtes Haar auf der Fluth schwimmen, angeblich aus Rücksichten für das Gedeihen des Haares, im Grund ist es aber eine Koketterie wie eine andere. Wenn man nicht selber befürchten müßte, kritisirt zu werden, könnte man interessante Studien machen; ach, wie hat mich die Baronin K., die in Berlin auf den Bällen so viel Furore macht, enttäuscht, – ja, das Badekostüm kleidet nicht Jede!

Aber, ich glaube, diese Betrachtungen führen mich zu weit, auch hat es soeben zu regnen aufgehört, ich verlasse mein einfaches Stübchen im Hotel Mertiau und eile nach der Estacade. Mein nächster Brief soll die Beschreibung Ostendes vervollständigen, ich habe Dir noch nichts vom Kursaal, von den Koncerten, den Rennen und den andern Herrlichkeiten dieses Weltbades geschrieben, obwohl ich bereits so genau Bescheid weiß, als hätte ich jeden Sommer in dem reizenden Ostende verbracht.

Wie bedauere ich Dich, liebes Annchen, daß Dich der starre Wille eines gerade in der Badesaison etwas eigensinnigen Lebensgefährten nach der langweiligen Schweiz verbannt hat, Du hättest ein besseres Los verdient. Adio für heute und unzählige freundschaftliche Umarmungen von Deiner aufrichtigen Freundin Grete. 


Sommernacht.

      Still und stumm ist die Nacht,
Es schlummern die Bäume,
Die Winde schlafen;
Nur hin und wieder,
Von ängstenden Träumen
Geschrecket, ein Zephyr
Rühret die Flügel:
Dann rauscht’s durch die Wipfel
Der Birken und Buchen
Wie hauchender Harfe
Saitengesäusel. –
Drauf wie zuvor
Still und stumm ist die Nacht.
      Horch, jetzt schwingt sich
Ein süßes Flöten
Zum schimmernden Aether:
Wenn Alles schlummert,
Wachet und weinet
Die Nachtigall,
Verlorener Liebe
Unselig Sehnen
Vertrauend dem Monde,
Dem kranken, bleichen
Bruder der Leiden.
      Und es denket der Mond
Der eigenen Liebe,
Der schönheitstrahlenden,
Goldenen Sonne,
Der ewig fliehenden,
Stolzen Göttin:
Und bitterer Thränen
Silberne Quellen
Entströmen des Gottes
Unsterblichen Augen.
      *      *      *
      Es weicht die Nacht
Dem leuchtenden Morgen;
Auf Feld und Wiese
Welch Flimmern und Glimmern!
Es schimmern im Scheine
Der lachenden Sonne
An Gräsern und Blüthen
Die Thränen des Mondes.

 Otto Sievers.


Humboldt’s astronomische Ortsbestimmungen in Amerika.

Von J. Loewenberg.

Wir betreten in diesem Artikel ein Gebiet, auf welchem die große Masse der Leser nur ungern dem populären Schriftsteller Folge leistet; denn vor wissenschaftlichen Zifferkolonnen pflegt das Laienpublikum die regelrechteste Flucht zu ergreifen, und hinter astronomischen Ortsbestimmungen wittert jeder diesen bösen Feind. So möge denn im Voraus versichert werden, daß hier auch nicht die kleinste homöopathische Dosis beschwerlicher astronomischer Wissenschaft auch nicht in minimalster populärer Verdünnung zugemuthet werden soll. Die nebenstehende Uebersichtskarte führen wir unsern Lesern nur als ein geographisches Kuriosum vor, das gewiß auch das Interesse weiterer Kreise in Anspruch nehmen darf, und wollen hier nur so viel sagen, wie gerade zum Verständniß der Karte nöthig erscheint.

Die Zeiten sind zwar längst vergessen, wo selbst die Grenzlinien Europas, der Wiege unserer Civilisation, in abenteuerlichsten Formen gezeichnet wurden, aber gezählt sind die Tage noch lange nicht, wo die Orte auf den Landkarten neuentdeckter Länder so zu sagen taumeln und unstät umherschwanken. Die neuesten Karten von Afrika zeugen am besten davon: Flüsse, Gebirgszüge und einzelne Ortschaften verändern auf ihnen von Jahr zu Jahr ihre Lage, und nur allmählich entwickelt sich unter unsern Augen die richtige Form des dunklen Welttheils.

Viel schlimmer war es jedoch im Anfang unseres Jahrhunderts mit der geographischen Kenntniß der Länder von Central- und Südamerika bestellt. Die Forscher, welche dort Ortsbestimmungen vornahmen, wie J. Covens, Alzate und d’Anville ließen sich arge Fehler zu schulden kommen und schufen Karten, die der Wirklichkeit gar nicht entsprachen. So wurde z. B. für Veracruz am Golf von Mexico in Länge- und Breitegraden eine Lage bestimmt, die in Wirklichkeit am entgegengesetzten Ende Mexicos nahe an der Küste des Großen Oceans gesucht werden müßte.

In Zahlen ausgedrückt waren die Unterschiede der einzelnen Angaben jener Forscher so groß, daß z. B. die Lage von Veracruz von dem Einen um 104 Meilen weiter nach Westen gerückt wurde als von dem Andern.

In diesem trostlosen geographischen Wirrwarr sollte Alexander von Humboldt endgültig Ordnung schaffen.

Als der berühmte Forscher gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sich zu seiner wissenschaftlichen Reise vorbereitete, waren die Methoden, astronomische Ortsbestimmungen auf Reisen anzustellen, schon fast vollkommen ausgebildet, und man hatte auch schon leicht transportable Instrumente, über deren Gebrauch ihn die damals in Deutschland lehrreichste Autorität, der Direktor der Gothaer Sternwarte von Zasch, informirt hatte. Die ersten Uebungen machte Humboldt um Jena, maß hier alle „Maulwurfshöhen“, dann ging er nach Dresden, um dort mit seinem vierzehnzölligen Sextanten unter der Leitung Koehler’s, des damaligen Inspektors des mathematischen Salons, weitere Uebungen vorzunehmen, die sich bis Pillnitz, Königstein und Teplitz erstreckten. Auch während seines Aufenthaltes mit Leopold von Buch in Salzburg, 1798, sowie in der Umgegend von Paris und in Spanien machte er mehrere Ortsbestimmungen und war beim Antritt der amerikanischen Reise mit Instrumenten und Methoden vollkommen vertraut.

Schon die Längenbestimmung von Cumana, dem ersten Orte, den Humboldt in Südamerika betrat, nennt Encke, der berühmte Direktor der Berliner Sternwarte, „ein glänzendes Beispiel von Genauigkeit und Sicherheit“.

Die astronomischen Beobachtungen zu den sämmtlichen Ortsbestimmungen Humboldt’s in Amerika kosteten aber nicht weniger als 417 Tage und Nächte. Die Arbeiten mußte der Forscher zumeist in den Wäldern unter dem Geschwirre der stechenden Mosquitos und bei unstätem Fackellicht, nach einer ermüdenden Tagesreise von acht bis zwölf Stunden auf dem unbequemen Rücken eines Maulthiers, oder eingezwängt in ein enges Schilfdach auf dem Kanoe, ausführen. Nicht selten war es auch der getrübte Himmel, der die Beobachtung außerordentlich erschwerte und die unermüdlichsten Anstrengungen der Geduld erforderte. So mußten z. B. bei der Beobachtung der Jupitertrabanten in Caracas nicht weniger als 27 Nächte durchwacht werden, und zwar wegen der unbeständigen Witterung – vergebens! –

Auf unsrem Kärtchen „Geographische Lage von Mexico, Veracruz, Acapulco“, sehen wir neben diesen drei Ortsnamen noch Personennamen und Jahreszahlen, die besagen, von wem und wann die Lage dieser Orte beobachtet und bestimmt worden ist. Werden die Positionen eines und desselben Beobachters zu Dreiecken verbunden, so gewährt dies ein anschauliches Bild, wie die einzelne und gegenseitige Lage dieser Orte, die Konfiguration der Küste und des Landes von Astronomen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_514.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2024)