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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Ueber die aus dem Schoße der Kolonie hervorgegangenen Wohlthätigkeitsanstalten ließe sich eine besondere Geschichte schreiben, wir begnügen uns nur mit dem Hinweis auf die wichtigsten der jetzt bestehenden elf Anstalten, die einerseits der Erhaltung der Kirche, zum größten Theil aber der Fürsorge für die Armen aller Lebensstufen, vom Säugling bis zum Greise, dienen. Auf dem umfangreichen Terrain, Große Friedrichsstraße Nr. 129, erhebt sich inmitten herrlicher, von uralten Bäumen bestandener Gärten das im Jahre 1878 vollständig neugebaute Hospital, an dessen Eingangspforte die Statuen des Großen Kurfürsten und Friedrich’s des Großen prangen.

Das Hospital ist schon vor 1687 gegründet und verdankt seine wesentliche Förderung der Kurfürstin Dorothea, Gemahlin des Großen Kurfürsten, es bietet alten, schwachen und kranken Personen lebenslänglich ein freundliches Heim. Zu nennen ist ferner: das Pensionat, eine seit 1857 bestehende Anstalt, in welcher ältere Damen aus besseren Ständen (augenblicklich beträgt die Zahl 40) gegen Entrichtung eines Eintrittsgeldes Aufnahme bis an ihr Lebensende finden.

Unweit des Hospitals, ebenfalls in idyllischer, fast ländlicher Umgebung, erhebt sich fern vom Geräusch der Großstadt, das Hospiz. Diese Erziehungsanstalt vereinigt seit 1844 in sich das Waisenhaus (eröffnet 1725), Ecole de charité (eröffnet 1745) und das Kinderhospital; in diesen drei Instituten haben bis zur Gegenwart etwa 2500 Kinder, vom Säuglingsalter bis zum 16. Lebensjahre Unterricht und Erziehung erhalten.

Getreu den alten Traditionen, wird in diesen Anstalten die französische Sprache besonders gepflegt, indeß weht durch die ganze Kolonie ein von reinem Patriotismus getragener echt deutscher Geist, der in Dankbarkeit für das preußische Königshaus das Vaterland der alten Réfugiés längst vergessen hat.

Jetzt werden nach zwei Jahrhunderten an demselben Tage, an welchem das Edikt von Potsdam erlassen wurde, die Nachkommen der Flüchtlinge zu einer Festfeier zusammentreten, der auch das gesammte deutsche Volk mit ernster Theilnahme folgen wird. Denn unvergeßlich bleiben stets die Tage, an welchen der Geist der Nächstenliebe und der Duldung die Wunden heilte, welche der Haß geschlagen. Leuchtende Marksteine des Fortschrittes sind sie für Jeden, der mit forschenden Augen zurückschaut in die Nacht der vergangenen Jahrhunderte, und in den Jahrbüchern der Weltgeschichte gelten sie als hohe Festtage der Menschheit und Triumphtage des Lichts. G. Schubert.     


Blätter und Blüthen.

Die besten Leistungen im Schwimmen. Vor einigen Wochen durchschwamm Herr Jos. Frey aus Landsberg am Lech bei heftigem Nordostwinde und starkem Wellengange den Ammersee in zwei Stunden und einer Minute. Mehrere Journale des In- und Auslandes haben Berichte über diese Schwimmtour veröffentlicht, und einzelne derselben haben sie als eine geradezu phänomenale bezeichnet. Nun lehrt eine reiche Erfahrung, daß derartige, nicht von fachmännischer Seite ausgehende Journalberichte mit großer Vorsicht aufzunehmen sind, da dem Laienauge leicht auch solche Leistungen als außerordentliche erscheinen, die nicht entfernt an bereits früher gebotene hinanreichen. Wir wären wohl nicht in die Lage gekommen, uns mit der genannten Schwimmtour zu beschäftigen, wenn wir nicht zahlreiche Zuschriften aus unserem Leserkreise erhalten hätten, die, Herrn Frey’s Leistung besprechend, uns gleichzeitig auffordern, auch über die besten bekannten Schwimmleistungen in derselben Weise authentische Aufschlüsse zu geben, wie wir das in Nr. 36 der „Gartenlaube“ mit Rücksicht auf verschiedene athletische Uebungen gethan haben. Diesem Wunsche wollen wir nun gern, soweit wir es vermögen, entsprechen.

Man kann vom Schwimmsport nicht sprechen, ohne des Kapitäns Webb, eines der phänomenalsten Schwimmer aller Zeiten, zu gedenken. Er wurde in England im Jahre 1848 geboren und bot im Juli 1875 seine erste sensationelle Leistung. Er schwamm in der Themse 20 englische Meilen in 4 Stunden, 52 Minuten und 44 Sekunden. Ein noch weitaus hervorragenderes Stück brachte er wenige Wochen darauf zu Wege. Am 25. August 1875 um ein Uhr Nachmittags sprang er von dem Admirality-Molo zu Dover in die See, um von England nach Frankreich zu schwimmen. Die ungeheure Aufgabe wurde von ihm gelöst, allerdings mit Anstrengung und unter Aufbietung all seiner seelischen und körperlichen Kräfte. Am 26. August um 10 Uhr 41 Minuten Vormittags betrat er französischen Boden. Er hatte den Kanal in einem Zuge durchschwommen; 40 engl. Meilen in 21 Stunden und 41 Minuten! Im Jahre 1879 siegte Kapitän Webb in einem Sechs-Tage-Schwimmen gegen seine beiden Gegner Willie Beckwith und George Fearn. Bei täglich vierzehnstündiger Arbeit brachte er damals in sechs Tagen 74 Meilen hinter sich. Doch nun beginnt sein Stern auch schon zu sinken. Bei einem zweiten Sechs-Tage-Schwimmen ein Jahr später besiegte ihn Willie Beckwith, der bei einer Arbeitszeit von zehn Stunden täglich in diesem Match 94 Meilen zurücklegte. Zwar gelang es Webb noch einmal, am 11. Juni 1881, über diesen gewaltigen Gegner in einem Wettschwimmen über 16 Meilen zu triumphiren, aber es war sein letzter Sieg. Ein drittes Sechs-Tage-Schwimmen in demselben Monate gegen denselben Gegner endete unglücklich für Webb. Noch einmal setzte er alle Kraft ein, um diesem Konkurrenten gegenüber aufzukommen. Am 30. April 1883 sollte ein Kampf auf 20 Meilen zwischen Beiden ausgetragen werden. Beckwith siegte leicht, Kapitän Webb stieg völlig erschöpft aus dem Wasser und warf Blut aus. Es schien, als sei nun seine Kraft für immer gebrochen durch die ungeheuren Anstrengungen der Kämpfe und namentlich der Trainirung. Was die letztere zu bedeuten hat, mag man daraus ersehen, daß Webb für gewöhnlich 89 Kilo wog, daß er aber im Training für die Konkurrenzen sein Körpergewicht auf 78 Kilo zu reduciren pflegte. Webb erholte sich bald wieder so weit, um nun an ein geradezu wahnwitziges Unternehmen denken zu können. Er proponirte, „die Stromschnellen unterhalb des großen Niagarafalles hinabzuschwimmen, an den weiter unten befindlichen Wirbeln vorbeizukommen und dann an einer beliebigen Seite des mächtigen Stromes wieder ans Land zu steigen.“

Mehrere amerikanische Eisenbahngesellschaften, die durch die Inscenirung dieses Schauspieles viel Geld zu verdienen hofften, hatten ihm einen Preis von 10000 Dollars für die Lösung dieser Aufgabe ausgesetzt. Im letzten Augenblicke regte sich zwar auch bei diesen Direktoren das Gewissen, und sie wollten Webb bewegen, daß er von dem Versuche abstehe, allein dieser glaubte sich in seiner Ehre engagirt und bestand darauf, daß er das Wagestück versuchen wolle. Am 24. Juli 1883 Nachmittags 4 Uhr, im Beisein einer vieltausendköpfigen Zuschauermenge, ward das frevelhaft verwegene Spiel begonnen. Mit übermenschlicher Anstrengung kämpfte Webb gegen das wüthende Element, das ihn in fünf Minuten genau 1¼ Meile weit warf. Da gerieth er in einen Wirbel, der ihn wie mit eisernen Klammern festhielt. Mit der Kraft der Verzweiflung suchte er sich der tödlichen Umarmung zu entwinden – vergeblich! Der Wirbel gab ihn nicht frei, der Mann war verloren.

Nachdem wir so der Leistungen Kapitän Webb’s gedacht, können wir daran gehen, die hervorragendsten bisher bekannten Records (beste Leistungen) im Schwimmen zu verzeichnen, und es sei vorher nur noch bemerkt, daß wir lediglich die in stehendem Wasser erzielten Records anführen. Es sind zwar auch solche festgestellt, die mit der Strömung oder mit der Fluth erzielt worden sind, allein da diese bei der großen Verschiedenheit in der Stärke der Strömungen und selbst der Fluthbewegung doch immer nur von relativer Bedeutung sein können und eine absolute Beurtheilung nicht zulassen, wollen wir auf sie lieber gar nicht eingehen. 100 Ellen = 91,4 Meter legte W. Cole in Serpentine, Hyde Park, London am 29. Juli 1872 in 1 Min. 15 Sek. zurück; ½ Meile = 804½ Meter D. Ainsworth im Welsh Harp Lake zu Hendon, am 14. Juli 1883 in 14 Min. 23½ Sek.; 1 Meile = 1609 Meter J. J. Collier im Hollingworth See, am 23. August 1884 in 28 Min. 193/4 Sek. (der Rivale Webb’s, W. Beckwith, brauchte für dieselbe Strecke 29 Min. 59½ Sek.); 2 Meilen = 3218 Meter im Royal Aquarium zu Westminster 1883 W. Beckwith in 54 Min. 39 Sek.; 3 Meilen = 4827 Meter A. P. Douglas am 24. Juni 1876 im Flat Rock Dam zu Philadelphia in 1 St. 53 Min. 30 Sek.

An der letztgenannten Leistung läßt sich der von dem eingangs erwähnten Herrn Frey erzielte Record am besten messen. Wie uns brieflich mitgetheilt wird, beträgt die von ihm zurückgelegte Strecke 4000 Meter. Sicher ist auch seine Leistung eine ganz anerkennenswerthe, und es mag vielleicht unter hundert vorzüglichen Schwimmern kaum einen oder zwei geben, die sie ihm nachmachen werden, aber sie steht doch noch sehr beträchtlich hinter den bekannten besten Records.

Manchmal gefällt es der öffentlichen Meinung, mit irgend einer Leistung viel Aufhebens zu machen, während sie viel hervorragendere unbeachtet läßt. Wie ist nicht Fritz Käpernick als Schnellläufer gerühmt worden, sogar sein Bildniß ist von illustrirten Journalen gebracht worden, und doch kann weder seine Schnelligkeit, noch seine Ausdauer neben der von geschulten und trainirten Läufern überhaupt nur in Betracht kommen. – Zum Schluß nur noch eine Bemerkung: die berühmte Schwimmpartie Lord Byron’s über den Hellespont, von der einige Briefschreiber aus unserem Leserkreise mit so tiefem Respekt sprechen, ist längst überholt und von gar keiner sportlichen Bedeutung. B. Gr.     


Auf der Plattform des Straßburger Münsters. (Mit Illustration S. 677.) Langsam, aber stetig vollzieht sich gegenwärtig die nationale Wiedereroberung des wiedergewonnenen Elsaß-Lothringen, und Straßburg wird wie einst zu einer Burg des deutschen Geistes. Darum begrüßt man so freudig jede Nachricht von den Kundgebungen deutscher Wissenschaft in der Hauptstadt des Reichslandes, welche mit vollem Rechte im Volksliede „die wunderschöne“ genannt wird. Erst vor Kurzem tagten in ihren Mauern die aus allen deutschen Gauen zusammen geströmten Naturforscher und Aerzte. Mancher von ihnen wird wohl in Bewunderung gestanden haben vor dem Schönsten, was die Schöne aufzuweisen hat, vor dem herrlichen „steinernen Epos“, des Meisters Erwin von Steinbach, vor dem Straßburger Münster. Und Viele haben sich die Mühe nicht verdrießen lassen, über 330 Stufen zur 66 Meter hohen Plattform des Münsters emporzusteigen, und sahen sich durch das, was es so hoch da oben zu schauen giebt, reichlich für ihre Anstrengung belohnt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_679.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)