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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

des Ertrinkens gerettet – sind die Strapazen dieser Reisen nicht nur spurlos an ihm vorübergegangen, sondern haben vielmehr unverkennbar dazu beigetragen, die körperliche Rüstigkeit zu erhalten, welche ihn befähigt, die großen mit seiner dienstlichen Stellung verbundenen geistigen und körperlichen Anstrengungen zu ertragen.

Er ist ein Frühaufsteher. Sommer und Winter findet ihn die früheste Morgenstunde in voller Arbeit und es ändert Nichts daran, ob er die Nacht im Bette oder im Eisenbahnwagen zugebracht hat. Die Morgenarbeit wird um neun Uhr durch einen Diener unterbrochen, der eine Liste derjenigen Personen überreicht, die Seiner Excellenz ihre Aufwartung zu machen wünschen. Hierfür ist täglich die Zeit zwischen neun und halb elf Uhr Morgens bestimmt, und an dieser Zeit darf nicht gerüttelt, zu Niemandes Gunsten eine Ausnahme gemacht werden. Streng gegen sich selbst und sonder Rücksicht auf eigene Bequemlichkeit verlangt der Generalpostmeister auch, daß Jedermann, der ihm mit irgend welchen Wünschen naht, sich in die ein- für allemal getroffene und unverbrüchlich festgehaltene Zeitordnung füge. Die Stunde ist freilich für Viele eine ziemlich frühe; zu früh war sie ganz gewiß für jene Dame, die auf die Mittheilung, daß der Herr Generalpostmeister um zehn Uhr Vormittags für sie zu sprechen sei, auf die erbetene Audienz verzichten zu müssen meinte, da dieselbe „mitten in der Nacht“ angesetzt sei.

Das Vorzimmer bietet um jene Zeit täglich ein buntbewegtes Bild. Beamte auf der Durchreise, die sich bei ihrem Chef melden wollen, vortragende Räthe des Generalpostamts, Gelehrte und Künstler, Bittsteller, Erfinder, ferner Post- und Telegraphenbeamte aus aller Herren Ländern, nach Europa gesandt, um unsere mustergültigen deutschen Einrichtungen zu studiren, finden sich ein, darunter bisweilen exotische Erscheinungen aus dem fernen Osten, aus Japan und Siam, wo der Ruf der deutschen Post die bis in die neueste Zeit währende Alleinherrschaft der Engländer und Amerikaner gebrochen hat.

In der Wohnung des Generalpostmeisters befindet sich ein Saal, dessen Wände ausschließlich mit Geweihen, Gehörn, ausgestopften Vögeln und anderer Jagdbeute geschmückt sind. Alles ist „eigenhändig“ erworben auf frischem, fröhlichem Waidmannsgang, wo unser Generalpostmeister auf kurze Stunden des Lebens Mühen und Sorgen vergißt. Dann ist er ganz der Mann der grünen Farbe, und wenn man den einfach gekleideten Jägersmann sieht, der sich den größten Strapazen willig unterzieht, der als unermüdlicher Fußgänger auf wilden Hochlandspfaden selbst den Eingeborenen des Berglandes ein beifälliges Lächeln abgewinnt, da könnte man meinen, daß sein Freund Scheffel seiner gedacht hat, als er die Verse niederschrieb:

„Das ist des deutschen Waldes Kraft,
Daß er kein Siechthum leidet
Und Alles, was gebrestenhaft,
Aus Leib und Seele scheidet.“

Daß das edle Waidwerk (nebenbei gesagt, die einzige Liebhaberei des Generalpostmeisters) in ihm auch einen begeisterten Dichter gefunden hat, dürfte nur den Wenigen bekannt sein, die zur engeren Tafelrunde der Jagdfreunde gehören. Darum mögen die folgenden Zeilen hier Platz finden, die gewiß auch für weitere Kreise von Interesse sind; zeigen sie doch ihren Urheber von einer neuen Seite. Dieser aber möge, falls ihm diese Blätter zu Gesicht kommen sollten, die kleine Indiskretion verzeihen, welche die Veröffentlichung ermöglicht hat. Vielleicht ist er selbst überrascht, daß dieses Kind des Augenblicks, das einem besonders glücklichen Schusse bei einer Jagd auf dem Dars in Pommern seine Entstehung verdankt, noch am Leben ist:

      „Die Abendsonne verschönte
Die Waldpracht. Da zog der Hirsch –
Das Brausen der See übertönte
Verräth’risches Reisergeknirsch.

      Des Adlerfarns mächtige Wedel,
Sie haben ihn neigend begrüßt,
Wie trug er die Krone so edel
Durch uralter Kiefern Gerüst.

      Stolz hob das Kronhaupt der Recke –
– Ein donnernder Blitz! – und gefällt
Verschönte die herrlichste Strecke
Des Darses der stolzeste Held!“

Eng verbunden mit dem Namen Stephan’s sind die Bestrebungen, der deutschen Sprache wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen. Wir haben es Alle miterlebt, wie der deutsche Generalpostmeister zuerst an den Augiasstall eines verballhornisirten Kanzleistils den reinigenden Besen legte und, soweit sein Machtwort reichte, die Sprache von dem Weichselzopfe vorsintfluthlicher Ausdrücke reinfegte. Wir haben es ebenso mit angesehen, wie die Zunft der berufsmäßigen Witzbolde das Vorgehen Stephan’s, das für die Denkenden das Vollgewicht einer nationalen That hatte, ins Lächerliche zu ziehen gesucht hat. Vergebens! Denn die Sache war stark genug, für sich selbst zu sprechen, Andere haben sie zu der ihren gemacht, und heut steht die gebildete Mehrzahl des Volkes wohlwollend, helfend und fördernd für sie ein. Jenen aber, die den Generalpostmeister, dessen Urtheil in sprachlichen Fragen ein Daniel Sanders einzuholen sich nicht scheut, als einen Puristen auf alle Fälle hingestellt haben, muß das Programm unbekannt geblieben sein, das er in einem am 17. Februar 1877 im wissenschaftlichen Vereine zu Berlin gehaltenen und im Druck erschienenen Vortrage „Die Fremdwörter“ klar dargelegt hat. Da heißt es u. A.: „Die eigentlichen Fremdwörter möchte ich in zwei Klassen sondern: die überflüssigen und die ganz oder zeitweise nicht zu entbehrenden“, und gleich darauf: „Die Angriffsbewegung muß, damit sie sich nicht zersplittere, zunächst auf die erstgenannten Eindringlinge beschränkt werden“. Das ist doch deutlich genug, und nur Unverstand oder Halbbildung können es leugnen, daß wir Deutsche uns in unserer Sprache einen Wust von fremdländischem Abfall aufgehalst haben, der dem Volke der Denker wahrlich nicht zur Ehre gereicht.

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Das ist das Bild des Mannes, den wir mit berechtigtem Stolz zu den Besten unseres Volkes zählen. Ohne Fürsprache, ohne Beschützer, ohne Verbindungen, lediglich durch treue Pflichterfüllung und unbedingte Hingebung an das Vaterland hat der schlichte Bürgerssohn aus der hinterpommerschen Kleinstadt Ehren erworben, wie sie in solcher Fülle nur selten Jemand zu Theil werden. Aber auch nur selten werden diese Ehren mit gleicher Anspruchslosigkeit getragen. Wo immer die Dankbarkeit der Zeitgenossen der Verdienste des Generalpostmeisters v. Stephan, seiner Erfolge auf internationalem Gebiete rühmend gedenkt: seine Erwiederungen sind immer nur Variationen desselben Grundtons, daß allein die große Zeit und glückliche Umstände sein Emporkommen ermöglicht haben. Wo immer er, und es ist oft genug der Fall, Huldigungen über sich ergehen lassen muß, nie verleugnet sich jener Grundzug seines Charakters: die Bescheidenheit, die wahrlich nicht oft mit der Berühmtheit Hand in Hand geht. Und so mögen die Worte, die er noch jüngst, im Februar dieses Jahres, bei der Einweihung des Hamburger Reichspostgebäudes als Antwort auf eine seine Verdienste hervorhebende Rede des Bürgermeisters der freien Reichsstadt gesprochen hat, den Schlußstein dieses Lebensbildes abgeben: „– ich will nur bemerken, daß ich den Ausdruck der Anerkennung meiner bisherigen Bestrebungen wohl als ein ehrendes Zeugniß für die Vergangenheit, mehr aber noch als einen Wechsel auf die Zukunft ansehe, den ich erst einlösen muß. Der große Zug der Zeit hat ja hauptsächlich mitgewirkt.

Wenn die glorreichen Thaten Sr. Majestät unseres erhabenen Kaisers nicht die Einheit des Reichs hergestellt hätten, wenn durch seinen starken Arm die Bahn nicht frei gemacht worden wäre: dann hätte sich auch auf dem Gebiet der inneren Organisation nichts Belangreiches herstellen lassen.

Sodann habe ich ja nur nach den Intentionen und unter der Leitung des Reichskanzlers, meines Chefs, gewirkt, und ich habe es stets als ein besonderes Glück angesehen, zwanzig der besten und kräftigsten Jahre meines Lebens an der Seite eines so großen Staatsmannes dem Gemeinwesen zu dienen.“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_871.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2024)