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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

der Atzung mehrmals geflogen war. Ich entdeckte daselbst alsbald an den Gruppen von Eichenoberständern eine Ansiedelung des Eichenwicklers, Tortrix viridana L.; schon von weitem sah ich Exemplare davon in den bekannten Seidenfäden herabhängen, und fand auch die Eichenwickler in ziemlicher Anzahl auf den Blättern vor. Ganz gewiß bildete diese Ansiedelung die Ursache, daß sich hier die Kuckucke so zahlreich zusammenfanden.

Das Vorstehende beweist unwiderleglich klar die Thatsache: 1. daß der Kuckuck ausnahmsweise im Stande ist, eines und das andere seiner Eier – die er dann ohne Nestbereitung an irgend einer sicheren Stelle wahrscheinlich sämmtlich ablegt – selbst auszubrüten und das Junge zu ernähren, 2. daß die Eier von einem und demselben weiblichen Kuckucke sehr verschieden gefärbt und gezeichnet sein können. Damit wird aber die von gewisser Seite aufgestellte, rein theoretische Behauptung völlig entkräftet, jedes Kuckucksweibchen lege gleichgefärbte und -gezeichnete, sogenannte „typische“ Eier, welche für das „zum Verwechseln ähnliche Gelege“ einer besonderen Art der Kleinvögel bestimmt seien und regelmäßig dieser Art von dem weiblichen Kuckuck oktroyirt würden.

Adolf Müller. 




Blätter und Blüthen.




Zwei deutsche Fürstenjubiläen. Am 21. Juni erreicht Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha sein siebzigstes Lebensjahr, am 25. Juni Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar, zwei deutsche Fürsten, die stets eine nationale Gesinnung bewährt und sich gleichzeitig als Förderer der Litteratur und Kunst ausgezeichnet haben. Was Goethe in den „Venetianischen Epigrammen“ von Karl August sang, das ist ein Motto, welches auf seinen Enkel und Nachfolger sowie auf den Fürsten des Nachbarlandes noch heute berechtigte Anwendung findet:

„Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der meine;
Kurz und schmal ist sein Land, mäßig nur, was er vermag;
Aber so wende nach innen, so wende nach außen die Kräfte
Jeder, da wär’s ein Fest, Deutscher mit Deutschen zu sein.“

Ueber das vielfach mit den wichtigsten politischen Begebenheiten verkettete Leben des Herzogs Ernst haben wir, im Anschluß an den ersten Band seiner Selbstbiographie, vor kurzem eingehend gesprochen, er wird unter den Förderern einer wahrhaft nationalen Gesinnung in trüber Zeit stets in erster Linie genannt werden müssen. Doch nicht minder lebhaft als für des deutschen Volkes politische Bedeutung und Größe ist er begeistert für die Thaten des deutschen Geistes in Wissenschaft und Kunst, und nicht abhängig von alten Ueberlieferungen, sondern dem Neuen und Neuesten freudig zugewendet. Selbstschöpferisch ist er als Opernkomponist auf dem Gebiete der Musik aufgetreten; mit allen namhaften dichterischen und schriftstellerischen Talenten der Gegenwart stand er mehr oder weniger in persönlichen Beziehungen. Wie nahe hat jahrzehntelang ihm und seinem Hofe Gustav Freytag gestanden! Doch wie hervorragende Dichter, so hat er auch, mit dem deutschen Theater vertraut, Künstler von Ruf und tüchtige Bühnenleiter stets in ihren Bestrebungen verfolgt und Gelungenes nach Verdienst ausgezeichnet; er hat von seiner hohen Warte aus stets den ganzen Horizont des geistigen Lebens deutscher Nation erfaßt, nicht im Sinne eines herablassenden Mäcenatenthums, sondern einer freithätigen Mitarbeiterschaft.

Großherzog Karl Alexander von Weimar, der drei Tage später den Siebzigjährigen sich anschließt, hat ebenfalls stets auf der Seite des nationalen Fortschritts gestanden und mitgewirkt für Deutschlands einheitliche Gestaltung. Auch er ist als verständnißvoller Gönner neuer Dichtung, Musik und bildender Kunst zu den Förderern des geistigen Lebens unserer Nation zu rechnen. Die Pflege der Erinnerungen unserer klassischen Dichtungen, das Protektorat über die Schiller- und Goethevereine, die an den Ufern der Ilm so die rechte Heimathstätte fanden und denen sich auch die Shakespearegesellschaft anschloß, hat den Fürsten durchaus nicht neuer Dichtung entfremdet, welcher er mit stets feinfühliger Theilnahme entgegenkam, so wie seine Bühne unter der Leitung eines Dingelstedt und Loën ihre Pforten bereitwillig allen jüngeren Talenten öffnete. Stets hat ihm Franz Liszt nahegestanden und die Anregungen dieses edeln, allseitig gebildeten Musikers waren für den Hof von Weimar nicht verloren. An der Ilm hatte des geächteten Richard Wagner Musik eine Stätte gefunden, noch ehe König Ludwig ihr ein glänzenderes Asyl an der Isar eröffnete. Auch hervorragende Maler hatte die vom Großherzog in Weimar begründete Kunstakademie nach der Stadt an der Ilm gezogen. So nach allen Seiten hin eingreifend, von freudiger Empfänglichkeit für das Schöne der klassischen Stadt den alten Ruhm wahrend, hat Karl Alexander edlem Streben im Sinne der großen Männer vergangener Zeit eine Schutzherrlichkeit gewährt, die Altes und Neues in schöner Eintracht verknüpfte.

Mögen die Länder selbst die Segnungen der fürstlichen Fürsorge feiern, welche für ihre materielle Entwickelung und ihr geistiges Wohl soviel gethan: das deutsche Volk darf mit Stolz auf die beiden siebzigjährigen Fürsten blicken, die niemals seinen edelsten Bestrebungen untreu geworden sind und stets seine höchsten Interessen gewahrt haben, und sich so den Glückwünschenden an den beiden Festtagen anschließen.

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Vom Sturm gejagt. (Mit Illustration S. 412 und 413.) Die stattlichen Gewässer des Chiemsee bilden heutzutage einen der mächtigsten Anziehungspunkte für den gewaltigen, durch Oberbayern fluthenden Touristenstrom, seitdem das Feenschloß König Ludwigs auf der Insel Herrenwörth seine Wunder erschlossen hat, von welchen wir unseren Lesern wiederholt berichtet haben. Allsommerlich zieht eine wahre Völkerwanderung nach diesem größten Landsee des Königreiches, welchen der Volksmund „Bayerisches Meer“ nennt und dessen Umgebung, namentlich im Südosten und Süden mit den Gipfeln des hochumwölkten Hochgern und Hochfellen, ein herrliches Stück Erde ist. Die Chiemseelandschaft bietet für jeden feinsinnigen Naturfreund hohen Genuß: die glückliche Verbindung eines schön gezeichneten Gebirgskranzes mit der mächtigen landschaftlichen Wirkung eines weiten Horizontes und dem tausendfältig wechselnden Zauber des Wassers sichert derselben eine Fülle von künstlerischer Anregung, einen Reichthum von Motiven und eine Mannigfaltigkeit der Stimmung, in welcher ihr wohl nur wenig Oertlichkeiten des Alpenvorlandes gleichkommen.

Zudem hat sich hier trotz der ausgleichenden und abschleifenden Wirkung des gesteigerten Verkehrs noch viel eigenartiges und starkes Volksthum erhalten und von uralter Sitte und dunklen Resten heidnischen Brauches bietet das Chiemgau dem Forscher ausgiebige Quellen. Es ist ein stahlhartes, wetterfestes Geschlecht, das da zwischen Bergluft und Wellenschaum aufwächst und gedeiht, etwas herber vielleicht und schwerfälliger als der Tegernseeer Schlag, aber ebenso schneidig und sangesfreudig. Kaum irgendwo trifft man kühnere und zuverlässigere Fährleute als auf der kleinen Fraueninsel. Sobald der Junge nur erst einmal das Ruder heben kann, sieht man ihn draußen auf den Fluthen mit seinem ungeschlachten Fahrzeug sich tummeln, und der Reisende mag sein Heil einem zwölfjährigen Burschen, wenn der See nicht allzu sehr bewegt ist, getrost anvertrauen. Frauen und Mädchen stehen an Muth und Gewandtheit kaum hinter den Männern zurück und haben oft genug Gelegenheit, sie zu erproben. Denn ihnen liegt – wie in ältester Zeit – ein großer Theil der Feldarbeit drüben am Festlande ob. Wenn sie da vom frühen Morgen an geschafft, heißt es, Abends noch mit schwerbeladenem Schiffe eine Stunde weit heimfahren, und dabei giebt es zuweilen, wenn ein Unwetter über den See hereinbricht, einen bösen Tanz mit Wind und Wellen. Solch eine durchaus nicht ungewöhnliche Scene schildert uns Professor Karl Raupp in dem prächtigen Bilde, welches wir heute unsern Lesern bringen, mit der ihm eigenen Meisterschaft und mit dem feinen Verständniß von Land und Leuten, welches ihm aus langjährigem Studium derselben erwuchs.






Die Amazonen von Dahome. Die weibliche schwarze Garde des als so kriegerisch gepriesenen Dahome gehört zur Romantik des dunkeln Erdtheils, aber die neuen Afrikareisenden zerstören mehr und mehr den Nimbus, der diesen sagenhaften Staat und seine blutigen Schrecken umschwebt. So berichtet Ernst Henrici in seiner Schrift „Das deutsche Togogebiet und meine Afrikareise 1887“ (Leipzig, Karl Reißner), in welchem Land und Leute dieses neuen Kolonialgebiets eingehend geschildert werden, gelegentlich über den Raubstaat Dahome. Der König desselben hat es allerdings lange verstanden, die umwohnenden Stämme in Schrecken zu halten; denn wenn er plötzlich mit Hunderten seiner Leute, um Sklaven einzufangen, in ein friedliches Land einfiel, so war an Widerstand nicht zu denken, weil alles sogleich den Kopf verlor und denen, die sich zur Wehr setzten, der Kopf abgeschnitten wurde. In neuester Zeit, wo die umwohnenden Stämme an die Dahomelegende nicht mehr recht glauben wollten, hat der König von einem nördlichen Stamm gehörige Schläge bekommen, und seine vielgerühmte Weibergarde ergriff die Flucht, als die Pfeile wirklich flogen und die Flinten knallten. Diese Weibergarde, fünfzehnhundert Mann stark, bildete den Kern des Heeres.

Man darf aber dabei nicht an tapfere Amazonen denken, wie sie in der griechischen Sage geschildert werden: es sind Niggerweiber, weiter gar nichts, und zwar des Königs Weiber, die er unter der Fuchtel hält und die er schlauerweise zur Leibgarde gemacht hat. Der pfiffige König von Dahome weiß ganz genau, daß seine Weiber so faul sind wie alle Nigger, daß er aber mit ihnen, welche die Allerweltspackesel sind, ganz anders umspringen kann, als mit den Männern. Er hält auch Manöver mit seinem Kriegsheere ab, und dazu müssen die Männer auch heran. Man spricht von Infanterie und Artillerie des Königs von Dahome; das heißt weiter nichts, als daß außer den üblichen Steinschloßgewehren und ein paar Hinterladern aller möglichen Systeme auch einige alte Berggeschütze vorhanden sind, aus denen man Kartätschenschüsse abgeben kann.

Immerhin ziehen die Weiber von Dahome in den Krieg, mit Wehr und Waffen ausgerüstet; aber der Heldenmuth, den man ihnen früher zuschrieb, erweist sich als eine sagenhafte Ausschmückung: sie werden von ihrem Staats- und Haustyrannen in den Kampf hineingefuchtelt und sind eben nichts als Futter für Pulver.

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Der Francillon-Salat. Die Nachahmungswuth der Deutschen, die glücklicherweise nur in manchen Kreisen epidemisch ist, treibt immer neue seltsame Blüthen. Nicht nur werden uns gute und schlechte, oft sogar ausrangirte Pariser Stücke auf den Bühnen vorgesetzt; auch allerlei Detailkram aus denselben wird bei uns eine Modesache und beschäftigt die Gemüther. Das beweist neuerdings der Francillon-Salat. In Dumas’ letztem, in Berlin mit Erfolg gegebenem Schauspiel „Francillon“ ertheilt der Verfasser die Anweisung zur Bereitung eines japanischen Salats, welcher in dem Stücke die Seelenbrücke zwischen zwei jungen Leuten, der Salaterfinderin Annette von Riverolles und dem Feinschmecker Henry von Simeux, bildet. Der Salat spielt eine hervorragende Rolle in ihrem kurzen Liebesroman. Als „Francillon“ in Paris gegeben wurde, bestürmte die Damenwelt den Dichter mit Bitten um die Abschrift des Rezepts. Es lautet, aus dem Dialog zwischen Henry und Annette herausgelöst, folgendermaßen: „Man koche Kartoffeln in Bouillon, schneide sie in Spalten wie zu einem gewöhnlichen Salat und mache sie, während sie noch lau sind, mit Salz, Pfeffer, sehr gutem frischen Olivenöl und Orléansessig an. Wichtig ist ein halbes Glas guten Weins, weißen natürlich und womöglich Château d’Yquem. Man thue klein gehackte Kräuter hinzu. Gleichzeitig koche man sehr große Mieswurzeln in einer kurzen Bouillon, lasse sie gut austropfen, thue etwas Sellerie dazu, mische sie mit den bereits

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_427.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)