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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


mit den fleißigen Mägden „deditam lanae“, das heißt: an der Wollarbeit. Und Lucretia war einem der ersten Geschlechter der Siebenhügelstadt entsprossen.

Dies reizende Genrebild – die Frau in dem engen Bezirk des Atriums, dem sie den Stempel ihres geräuschlosen Waltens aufprägt – ist für das römische Haus jenes Zeitalters typisch.

Das häusliche Leben der alten Zeit im allgemeinen kennzeichnet Columella in seiner Schrift „De re rustica“ („Ueber den Landbau") etwa wie folgt: „Die Arbeit war damals eine gern geleistete Pflicht der Frauen, während sich die Familienväter nur an den Herd zurückzogen, um die staatsgeschäftlichen Sorgen abzuschütteln und sich Erholung zu gönnen. Im Atrium wehte der Geist der Eintracht, der liebenden Fürsorge, der gegenseitigen Achtung. Die Frau war darauf bedacht, den Mann zu zerstreuen, und doch wieder an seinen Bestrebungen Antheil zu nehmen. Es gab hier nichts, was getrennt war, nichts, was der Mann oder die Frau als ein persönliches, ausschließliches Recht in Anspruch nahm: beide gingen vielmehr einmüthig Hand in Hand.“ – Selbst der strenge, vielleicht etwas allzu mürrische Cato war, wie uns Plutarch erzählt, von zartester Rücksicht gegen seine Gemahlin. Er soll öfters den Ausspruch gethan haben, daß er einen braven Familienvater und Gatten „höher schätze denn einen klugen Senator“.

Als mit der sinkenden Republik der Luxus und die Verweichlichung überhand nahmen, als man Gefallen an übergroßem gesellschaftlichen Verkehr, an Gelagen und Schwelgereien fand, da erfuhr das römische Atrium und mit ihm ein beträchtlicher Theil der römischen Hausfrauen die oben erwähnte Umwandlung. Der alte Familienherd mit den Hausgöttern paßte nicht mehr in den wachsenden Prunk; er nahm ja Platz weg, wenn des Morgens in aller Frühe die Staatsbesuche und Aufwartungen begannen, bei welchen nicht mehr wie einst die guten Freunde und nächsten Verwandten die Hauptrolle spielten, sondern die „Leute von Distinktion“, der Schwarm der Modepersönlichkeiten, außerdem aber die Rotte der Scheinklienten, die gegen ein Trinkgeld den Hausherrn mit ihrer Begleitschaft umgaben. Die Stätte, wo einst die fleißige Hausfrau gesponnen, dem Spiel ihrer blühenden Kinder zugeschaut oder mit gütigem Lächeln die Scherze der Sklavinnen angehört hatte, ward von den gravitätischen Togaträgern, von den Schmarotzern und Schmeichlern erobert. Keine Dienerin durfte hier mehr im Korbe von Spartgras oder von Weidengeflecht Spindel um Spindel bergen oder die Nadel handhaben zur kunstlosen Anfertigung der Kindergewänder. Das Wohn- und Familiengemach war von der großen, geräuschvollen Welt siegreich gestürmt worden.

Sehr natürlich paßte sich nun auch die Hausfrau diesem veränderten Zustand an. Statt wie früher die Rolle der Trösterin, der Erzieherin, der freundlichen Allverwalterin und Mutter zu spielen, mußte sie nun „repräsentieren", geistreich thun und über den neuesten Vortrag des oft sehr langweiligen Tagespoeten eben so eifrig mitschwatzen wie über die Vorzüge eines vergötterten Schauspielers oder den neuesten Klatsch der Hauptstadt. Sie mußte belesen sein in schöngeistigen und philosophischen Werken, die sie im Grunde durchaus nicht verstand, eine glitzernde, oberflächliche Scheinbildung möglichst auffällig und kokett zur Schau tragen, und vor allem griechisch parlieren, was nur das Zeug hielt.

Der Satiriker Juvenal wendet sich gegen die grauenhafte Verbildung des schönen Geschlechts, wie sie bereits zu Anfang des ersten Jahrhunderts grassierte, wiederholt mit den unbarmherzigsten Ausdrücken.

„Was ist ekelhafter,“ heißt es in der berühmten sechsten Satire, „als daß sich heutzutage kein Frauenzimmer für reizvoll erachtet, ehe sie nicht aus einer geborenen Tuskerin sich zur Hellenin, aus einer Sulmonenserin sich zur echten Tochter Athens gemacht hat? In dieser Sprache – in der griechischen nämlich – zagen und zürnen sie; in ihr strömen sie all ihre Freuden, all ihre Sorgen und die gesammten Geheimnisse ihrer Seelen aus!“

Eine andere Stelle verurtheilt den litterarisch-kritischen Dilettantismus:

„Unerträglicher selbst als ein Weib, das sich bezecht, ist mir die Dame, die, wenn sie kaum Platz genommen, für den Virgil schwärmt, es ganz berechtigt findet, daß Dido, von Aeneas verlassen, sich tötet, und bei den Haaren herbeigezogene Vergleiche anstellt zwischen den einzelnen Poeten und ihren Schöpfungen! Schauderhaft, wenn sie so den Virgil in die eine Wagschale und in die andere den alten Homer legt! Kein Schulmeister kommt gegen sie auf, kein Rhetor, kein Advokat, kein öffentlicher Ausrufer, ja kaum eine andere Dame! Wie ein Bergstrom stürzen die Worte von ihren Lippen; das schallt und dröhnt und klingelt – man möchte verrückt werden!“

Weit schlimmer als diese Auswüchse war die fortschreitende Lockerung des Familienlebens, die schwindende Achtung vor der Heiligkeit des Ehebündnisses, die Leichtfertigkeit und Entsittlichung, die sich namentlich in gewissen hohen und höchsten Kreisen mit jedem Jahrzehnt breiter machte. Die Römer hatten schon in der Urzeit den Frauen eine viel freiere Stellung eingeräumt als z. B. die Griechen. Athen schloß die Frauen und Mädchen mit fast orientalischer Strenge in die sogenannte „Gynäkónitis“, das Weibergemach, ein. Oeffentlich zeigten sich die Griechinnen der geschichtlichen Zeit nur ausnahmsweise. Ganz anders in Rom! Schon die Sage von dem Raub der Sabinerinnen beweist, daß die Frauen und Mädchen der lateinischen Stämme bei Volksfesten zugegen sein durften. Am Forum befand sich im fünften Jahrhundert v. Chr. eine öffentliche höhere Töchterschule. Wiederholt wird berichtet, daß die Frauen schon in den frühesten Zeiten überall ungehindert erscheinen konnten, ein Recht, das sie einigemal – freilich nur in besonders dringenden Fällen – zur Abhaltung förmlicher Versammlungen und zu politischen Kundgebungen benutzten. Die oben angeführten Worte des Columella würden für sich allein schon ausreichen, um zu erhärten, daß die Auffassung von dem Zweck und dem Wesen der Ehe im republikanischen Rom eine ungleich würdigere und edlere war als in Griechenland. Diese Auffassung aber schwand allmählich, und die Freiheit, die Rom, im Gegensatze zu Hellas, seinen Frauen eingeräumt hatte, wurde mißbraucht. Im ersten Jahrhundert finden wir allenthalben die Spuren einer allzu ausgiebigen Emancipation. Die ursprüngliche strenge Form der Eheschließung ward durch andere, minder weihevolle verdrängt: die Rechtsbefugnisse der Frau wuchsen; ihr Pflichtgefühl stumpfte sich im gleichen Verhältniß ab. Kurz, es entwickelten sich allmählich Zustände, die sich einer Beleuchtung an dieser Stelle durchaus entziehen, Zustände, deren Auswüchse wir uns nicht abscheulich genug vorstellen können.

Dennoch ist es ein weitverbreiteter Irrthum, die römische Kaiserzeit, der wir so haarsträubende Beispiele weiblicher Entartung verdanken, durchweg für den verpesteten Pfuhl zu halten, den uns die unbarmherzigen Epigrammatiker und Satiriker, zum Theil aber auch die Historiker, in so abschreckendem Giftgrün erschillern lassen. Nicht einmal die aristokratische Welt war so überwiegend von Fäulniß zersetzt, wie man dies nach den Greueln, die uns die römischen Schriftsteller überliefert haben, voraussetzen möchte. Stellt doch selbst die Geschichte, die uns nur die gewaltigen Züge aufbewahrt, einer Verworfenen wie der Kaiserin Messalina die heroische Weiblichkeit einer Arria entgegen! Der Kenner des menschlichen Herzens wird ja von vornherein nicht daran zweifeln, daß Zartheit und Innigkeit des Empfindens, Edelmuth der Gesinnung, opferwillige Gattenliebe und fleckenloseste Reinheit und Trelle zu allen Zeiten öfter und herrlicher sich bewähren, als der erste oberflächliche Blick dies vermuthen läßt. Immerhin scheint es mir eine lohnende Aufgabe, einige solcher minder bekannten Beispiele hier zusammenzustellen und so dem Leser zu zeigen, daß auch das Iuvenalische Rom nicht arm war an jenen Lichtgestalten, in deren Herzen wie Bogumil Goltz sagt, „die Engel traumreden und Gott der Herr immer von neuem wieder Paradiese entwirft.“

Von Arria, der Gattin des Pätus, erzählt die Geschichte uns jenen heldenhaften Zug, der wohl uns allen seit unserer Schulzeit geläufig ist. Arria, gewillt, mit ihrem wegen einer Verschwörung gegen den Kaiser Claudius zum Tode verurtheilten Gatten gemeinsam zu sterben, erbittet sich von dem noch Zögernden das Stilett, stößt es mit ruhiger Hand sich selbst in die Brust und reicht es dann dem Gemahl mit den „unsterblichen“ Worten: „Pätus, es schmerzt nicht!“

Das gehört in die Weltgeschichte. Ein anderer Zug aber dieser hochherzigen und dabei außerordentlich weichmüthigen Frau ist minder bekannt, ohne an Größe dem hingebungsvoll verzweifelten „Pätus, es schmerzt nicht!“ nachzustehen.

Man urtheile!

Ihr Gatte war einst lebensgefährlich erkrankt; ihr Sohn ebenfalls. Beide Leidenden wurden in verschiedenen Gemächern gepflegt. Arria führte die Oberaufsicht und theilte sich mit unermüdlicher Liebe zwischen Vater und Kind. Der Sohn, ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_526.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)