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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Die Astronomie auf der Straße.[1]

Dem Leser dürfte bekannt sein, daß die meisten größeren Tageszeitungen regelmäßig etwa zu Anfang eines Monats den Stand der Hauptplaneten mitzutheilen pflegen. Dies ist deshalb nothwendig, weil die Planeten in einer gewissen komplizierten Weise ihren Ort unter den übrigen Sternen fortwährend wechseln. Die Mittheilung ihres jeweiligen Orts geschieht durch Angabe ihrer „Rektascension“ (gerade Aufsteigung) und „Deklination“ (Abweichung); es handelt sich also nur darum, erstens die Bedeutung der Rektascension und Deklination zu erklären und zweitens zu erläutern, weshalb die Mittheilung gerade dieser beiden Größen zur Sternbestimmung nothwendig ist und ausreicht.

Betrachten wir zur Nachtzeit irgend einen Stern, z. B. den „Arktur“, und fragen uns, wie seine Lage am Himmel am einfachsten bestimmt werden kann, so liegt bei oberflächlicher Ueberlegung der Gedanke am nächsten: durch seine Höhe über dem Horizont und den auf seinem Höhenkreis gemessenen Abstand von einem festen Anfangspunkt, z. B. vom Meridianpunkt. Aber bald leuchtet ein, daß diese Angabe nur für eine bestimmte Zeit der Nacht und für einen bestimmten Ort des Beobachters Geltung hätte; sie wäre – wenigstens aus dem zweiten Grunde – für eine allgemeine Mittheilung ebenso ungeeignet wie die folgende: Frankfurt a. M. liegt fünfzig Kilometer nordöstlich. Wir haben also zwei die Sternorte bestimmende Größen aufzusuchen, welche für jede Zeit und für jeden Standort auf der Erdoberfläche dieselben bleiben.

Nun wird auf der Erdoberfläche ein Punkt bekanntlich durch seine geographischen „Koordinaten“, seine geographische Länge und Breite festgelegt; die Länge wird von einem vereinbarten ersten Meridian aus in einer ebenfalls vereinbarten Richtung, nämlich von Westen nach Osten, gezählt; die Breite vom Aequator aus nach Norden oder Süden abgemessen. Als Einheit für die Längen wird entweder der Grad oder die Stunde gewählt, also der Aequator entweder nach 360 Graden oder nach 24 Stunden eingetheilt; die geographische Breite wird nach Graden gemessen, indem man vom Aequator aus südlich und nördlich vom nullten bis zum neunzigsten Grade fortschreitet.

Analog ist für die Himmelskugel, das scheinbare Himmelsgewölbe, die Rektascension und Deklination genau dasselbe, was für die Erdkugel geographische Länge und Breite ist.

Die Erdachse, die Verbindungslinie des Nordpols und Südpols, schneidet verlängert die Himmelskugel in deren Polen; der eine, der Nordpol des Himmels, fällt nahezu mit dem Polarstern zusammen. Denkt man sich ebenso die Ebene des Erdäquators erweitert, so schneidet sie die Himmelskugel in einem größten Kreise, dem Himmelsäquator. Wie jeder Punkt der Erdoberfläche so beschreibt auch jeder Stern der Himmelskugel täglich einen Kreis um die Himmelsachse; einen um so kleineren, je näher der Stern dem Polarstern liegt (z. B. die Sterne des Großen Bären, die für uns niemals untergehen), einen um so größeren, je näher er dem Aequator liegt. Entsprechend der geographischen Länge wird die Rektascension auf dem Himmelsäquator gemessen, entsprechend der geographischen Breite die Deklination vom Aequator aus nördlich oder südlich nach den Himmelspolen zu.

Um uns also am Himmelsgewölbe den Himmelsäquator vorstellen zu können, haben wir uns an demselben einen Kreis zu denken, der vom Polarstern überall um einen Viertelskreisbogen absteht; folglich wird für einen Beobachter am Nordpol, wo der Polarstern im Zenith steht, der Himmelsäquator mit dem Horizont zusammenfallen, während in unseren Breiten der Himmelsäquator ein Kreis sein wird, der zur Hälfte schief über dem Horizont aufsteigt, zur Hälfte unter dem Horizont liegt. Nur für einen Beobachter auf dem Erdäquator selbst ist der Himmelsäquator ein senkrechter Kreis, also die Rektascension in Wahrheit eine „gerade“ Aufsteigung. Ein sehr bequemes Mittel kommt der Vorstellung des Aequators am Himmel zu Hilfe: der Himmelsäquator geht durch den Gürtel des Orion, den „Jakobsstab“, dessen Lage aus dem beigegebenen Sternkärtchen wie aus dem früheren in Halbheft 24 des Jahrgangs 1891 zu ersehen ist.

Jetzt haben wir nur noch einen Anfangspunkt für die Bemessung der Rektascension (entsprechend dem Anfangspunkt auf dem Erdäquator mittels des ersten Meridians durch Ferro oder Greenwich) zu gewinnen. Als solcher ist der sogenannte Frühlingspunkt vereinbart. Aus guten Gründen möge derselbe nicht weiter astronomisch definiert, sondern nur seine ungefähre Lage am Himmel angegeben werden. Am zweckmäßigsten findet man ihn, wenn man in Gedanken den Stern 4 des Großen Bären mit dem Polarstern durch eine gerade Linie, oder besser gesagt durch einen größten Kreisbogen, verbindet und diese Linie bis zum Himmelsäquator fortsetzt; sie geht ziemlich genau durch den äußersten Stern in dem W der Cassiopeia. Der Schnittpunkt dieser Linie mit dem Aequator stellt gegenwärtig den Frühlingspunkt dar, und von hier aus werden also die Rektascensionen in einer vereinbarten Richtung, nämlich in der Richtung von West über Süd nach Ost, gezählt, nach Einheiten von 0 bis zu 360 Graden auch von 0 bis 24 Stunden. Als „gegenwärtiger“ Frühlingspunkt muß jener Punkt des Aequators deshalb bezeichnet werden, weil der Frühlingspunkt im Laufe der Zeit stetig wandert; in dem Zeitraum eines sogenannten „platonischen“ Jahres, d. h. während beiläufig 26000 Jahren, vollendet er einen ganzen Umlauf am Himmel. – Für ein Beispiel zur Auffindung eines Sternes durch Rektascension und Deklination wurde in dem Kärtchen der Stern Algol gewählt; die dort angegebenen Bezeichnungen machen weitere Bemerkungen unnöthig. –

Wenn diese Aufsätze, die wir nun schließen, dazu beigetragen haben, dem einen oder anderen unserer Leser die doch uns allen gemeinschaftliche Liebe zur Betrachtung des gestirnten Himmels zu erhöhen, wenn sie dem einen oder anderen zum Hilfsmittel geworden sind, sich einigermaßen am Sternenhimmel zurechtzufinden, so haben sie ihren Zweck erreicht. Was könnte es auch Erhebenderes geben, als in einer klaren Herbst- oder Winternacht aufzublicken zu den Wundern des in fleckenloser Reinheit erstrahlenden Firmaments und in seiner Anschauung einige Augenblicke alles Kleine und Enge im Menschendasein zu vergessen! Und wenn dann unter den Legionen von Himmelslichtern dies oder jenes wie ein guter Bekannter herabgrüßt, dann ergreift auch den bescheidenen Betrachter ein Gefühl der Befriedigung, das die Schauer der Unendlichkeit mildert. Dr. C. Cranz.     

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Blätter und Blüthen.


Zur Goldenen Hochzeit eines fürstlichen Paares. (Mit Bildnissen S. 645.) Vor nicht allzulanger Zeit konnten wir der Goldenen Hochzeit gedenken, welche Herzog Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha mit seiner Gemahlin, der badischen Prinzessin Alexandrine, gefeiert hat, und heute begrüßen wir ein gleich freudiges Ereigniß an einem anderen thüringischen Fürstenhof. Wie 1888 in der Feier des siebzigsten Geburtstags sich Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach unmittelbar anschloß an den Nachbarfürsten, so ist es ihm nun auch vergönnt, wenige Monate nach Herzog Ernst den Tag seines fünfzigjährigen Ehejubiläums festlich zu begehen. Am 8. Oktober ist ein halbes Jahrhundert verflossen, seitdem der damalige Erbgroßherzog den ehelichen Bund mit der jugendlichen achtzehnjährigen Prinzessin Sophie Luise der Niederlande geschlossen hat, und mit aufrichtiger Liebe nehmen die weimarischen Lande theil an dem Ehrentag des hochverehrten Herrscherpaares, das nun schon 39 Jahre den Thron inne hat. Viel Segen ist ja auch in diesem langen Zeitraum von ihm ausgegangen!

Man weiß, wie Großherzog Carl Alexander die verantwortungsvolle Aufgabe zu lösen verstanden hat, der Fürst eines Landes zu sein, das im Glorienschein einer so ruhmvollen Vergangenheit durch die Geschichte geht wie Weimar. Man weiß, wie er sich in seiner treu deutschen Politik als ein wahrer Erbe seines Großvaters Karl August und als verdienstvoller Mitarbeiter seines Schwagers, des unvergeßlichen Kaisers Wilhelm I., erwies. Man weiß, wie er als Schutzherr jener klassischen Stätten, um die sich die Erinnerungen an die höchste Blüthezeit unserer Litteratur wie unverwelklicher Epheu ranken, alles dafür that, die Ueberlieferungen jener schönen Zeit zu pflegen, indem er nicht bloß die Schiller- und Goethevereine unter seine besondere Obhut nahm, sondern auch der Dichtung und der Kunst der Gegenwart stets die wärmste Förderung widerfahren ließ. Unter ihm erwuchs zu Weimar eine blühende Kunstschule, die Wartburg erstand in altem Glanze, das Theater feierte unter Dingelstedts Leitung Triumphe, an denen das ganze gebildete Deutschland Antheil nahm, und originale schöpferische Geister der Musik wie Liszt und Wagner fanden in Weimar einen festen Boden.

Gleich gesinnt steht ihm seine Gemahlin zur Seite, ein vorleuchtendes Muster echter Weiblichkeit, die auch auf dem Throne alle Tugenden des häuslichen Herdes pflegt, die ein warmes Herz hat für ihr Volk, seine Freuden und Leiden und mit fast schrankenloser Wohlthätigkeit in aller Stille den Bedrängten zu Hilfe kommt. Auch sie ist allen ernsten literarischen Bestrebungen stets eine wohlwollende Gönnerin gewesen.

Aus der Ehe des großherzoglichen Paares sind drei Kinder entsprossen: Erbgroßherzog Carl August und die Prinzessinnen Marie und Elisabeth. Aus der Ehe des Erbgroßherzogs mit der Prinzessin Pauline von Sachsen- Weimar-Eisenach stammen zwei Söhne. So umgiebt das hohe Paar am Goldenen Hochzeitstag ein Kreis von Kindern und Enkeln, der ihnen ein schönes Familienglück gewährt und noch für lange gewähren möge!

  1. Vergl. Halbheft 17 dieses Jahrgangs.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_674.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2024)