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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und Wort die hervorragendsten Punkte des durch landschaftliche Schönheit wie durch reiche, wechselvolle Geschichte gleichmäßig ausgezeichneten Landstriches geschildert; heute führen wir unseren Lesern eine Gesamtansicht von Burghausen vor, wie sich das schmucke Städtlein vom rechten, vom österreichischen Ufer unterhalb des Ortes aus dem Auge des Beschauers darbietet. Im Kranze der mit zahlreichen wehrhaften Türmen ausgerüsteten Ringmauer thronen auf hochragendem Felsenrücken die Gebäude der stolzen Burg und Residenz. Sie sind für den Kenner besonders deshalb anziehend, weil sie größtenteils dem 15. Jahrhunderte entstammen. Ursprünglich ein Wehrbau, ist die Burg damals zu einer reichen Residenz umgewandelt worden, in welcher dann zahlreiche Fürsten ihr Hoflager hielten. Während der letzten drei Jahrhunderte dienten die Schloßgebäude zu Wohnungen für Beamte und als Kasernen. In der Hauptwache sind sie aber noch in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben, obwohl die frühere Pracht schwere Einbußen erlitt. Vor einigen Jahren hat die ehemalige Garnison die Säle im Schlosse verlassen, und statt der blauen Soldaten des Königs soll eine Sammlung von Gemälden, Altertümern und Kunstgegenständen dort oben ihren Einzug halten. Dann wird der Name Burghausens vielleicht öfter genannt werden als jetzt und die Forscher und Gelehrten werden vielleicht in größerer Zahl die Schritte in das stille Salzachthal lenken und ihre Augen weiden an der Hinterlassenschaft der Vergangenheit wie an der Rundschau über die herrliche Umgebung des Schlosses. Hugo Arnold.     

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die „krause Buche“ auf dem Wittekindsberge. (Mit Abbildung.) Die Buche, die unsere Abbildung zeigt, verdient gewiß in die Reihe von Deutschlands merkwürdigen Bäumen aufgenommen zu werden. Ihre Aeste sind derartig quer durcheinander gewachsen, daß sie vollständige Treppen bilden und der Baum bis auf die durch wagerechte Aeste gebildete Krone bequem bestiegen werden kann. Die Buche steht auf dem Wittekindsberge im Wesergebirge, etwa eine Stunde hinter dem Provinzialdenkmal für Kaiser Wilhelm I. und eine halbe Stunde hinter dem Gasthaus „Zur Wittekindsburg“; sie ist auch von Bad Oehnhausen leicht in 1½ Stunden zu erreichen. *      

Die „krause Buche“ auf dem Wittekindsberge.

Das Besteigen fahrender Eisenbahnzüge ist seit langer Zeit ein Lieblingsproblem vieler Techniker gewesen. Da in der That das Bremsen, Anhalten und Wiederangehen der Züge nicht nur sehr viel Aufenthalt verursacht, sondern auch unverhältnismäßig viel Kraft verzehrt und zur schnellen Abnutzung des rollenden Materials um so mehr beiträgt, je länger und schwerer die Züge sind, so wäre die Lösung der Frage, wie man das bequeme und gefahrlose Einsteigen in einen vorüberfahrenden Zug ermöglichen kann, für den Verkehr ein nicht geringer Fortschritt. Die auf mehreren Ausstellungen in Betrieb gezeigte und auf S. 715 des Jahrgangs 1896 der „Gartenlaube“ beschriebene Stufenbahn war der erste praktische Schritt zu dieser Lösung, da sie aber eine vollständige Umwälzung der ganzen Verkehrsmittel verlangt, so wird man sich ihrer nur in seltenen Ausnahmefällen bedienen können. Ein anderes System, dessen Erfinder der französische Ingenieur Thévenot le Boul ist, soll auf der nächsten Pariser Weltausstellung in Anwendung kommen. Wenn es von der Vollkommenheit auch jedenfalls noch weit entfernt ist, so hat es doch den Vorteil, praktisch ausführbar zu sein und sich an das vorhandene Betriebsmaterial der Eisenbahnen anzuschließen, und verdient deshalb wohl eine kurze Beschreibung. Die Thévenotsche Erfindung besteht, um es kurz zu sagen, aus einem kreisförmigen rotierenden Perron, etwa vom Aussehen einer riesigen Drehscheibe, welcher auf einer hohlen Achse und einer entsprechenden Anzahl von Laufrädern ruht und vom Mittelpunkte aus betreten wird. Man würde also beispielsweise vom Empfangsgebäude aus, wie auch jetzt schon häufig, den Bahnsteig durch einen Tunnel und eine Treppe erreichen und sähe ihn, in seinem Mittelpunkt stehend, in Gestalt einer riesigen Scheibe langsam um die oberste Treppenstufe kreisen. Das Betreten der bewegten Plattform würde an dieser Stelle, besonders mit Hilfe von Geländern oder Greifpfosten, wie sie auch bei Stufenbahnen angebracht werden, sehr leicht geschehen; dann geht man dem Rande der Scheibe zu und gerät, da jeder Punkt einer rotierenden Scheibe sich um so schneller bewegt, je weiter er vom Centrum entfernt ist, in eine immer schnellere seitliche Bewegung. Die Rotation ist so berechnet, daß der Rand des Perrons genau die Geschwindigkeit des Eisenbahnzuges besitzt, der allerdings seine Fahrt beim Passieren einer Station entsprechend verlangsamen müßte. Der Erfolg ist dann derselbe, wie wenn man auf einem ruhenden Bahnsteig einem stillstehenden Zuge sich gegenüber befände. Ob allerdings nicht die Centrifugalkraft den Einsteigenden dabei hin und wieder üble Streiche spielen würde, indem sie sie schneller als ihnen lieb ist, ins Coupé befördert, muß abgewartet werden. Rechnungsmäßig ist allerdings bei entsprechend großen Scheiben, z. B. von 100 m Radius, nur eine sehr langsame Drehung erforderlich, um ihnen eine hohe Umfangsgeschwindigkeit zu erteilen. Eine solche Scheibe brauchte, um am Umfang die Geschwindigkeit eines auf 20 km gehemmten Personenzuges zu erhalten, nur eine Umdrehung in zwei Minuten zu machen, und wenn die Geleise, wie es beabsichtigt ist, sich je nach der Zugrichtung der einen oder anderen Hälfte der Perronscheibe anschmiegen, so würde zum Ein- und Aussteigen wenigstens für gewandte Passagiere Zeit genug vorhanden sein. Bw.     

Wirtschaftliche Frauenschulen. Wir haben in Nr. 1 des Jahrgangs 1896 auf eine Anregung hingewiesen, welche die Gründung von wirtschaftlichen Frauenschulen bezweckte. Heute können wir über den ersten Erfolg dieser Bewegung berichten. Durch Sammlung und Schenkung ist ein Kapital zusammengebracht worden, welches die Eröffnung der ersten Lehranstalt auf dem Gute Nieder-Ofleiden bei Homberg in Oberhessen möglich gemacht hat. Seit Anfang April befinden sich fünf Arbeitsgruppen in geordneter lebhafter Thätigkeit. Küche, Wäsche, Hauswesen, Gartenbau, Geflügelzucht. Ferner Unterricht in wissenschaftlichen Lehrgegenständen. Gesundheitspflege, Pflanzenphysiologie, Buchführung u. a. Zum Herbst ist die Angliederung einer Kleinkinderschule und Bauernmädchenklasse für hauswirtschaftliche Unterweisung vorgesehen, damit die Schülerinnen der Hauptanstalt Gelegenheit zum Unterrichten und zu sozialer Arbeit finden. – Mädchen mit höherer Schulbildung, die das 18. Jahr zurückgelegt haben, finden Aufnahme. Als Kost- und Lehrgeld sind vierteljährlich 250 Mark zu entrichten. Von seiten des Ministeriums der Landwirtschaft, Domänen und Forsten, sowie der Justiz ist dem „Verein zur Errichtung wirtschaftlicher Frauenschulen auf dem Lande“ dankenswerte Förderung zu teil geworden, indem an unbemittelte Töchter von Beamten der zuständigen Ressorts auf besondern Antrag Zuschüsse gewährt werden sollen. Prüfung der Würdigkeit bleibt im einzelnen Fall vorbehalten. Das Landwirtschaftliche Ministerium wünscht insbesondere die Ausbildung von Lehrerinnen und Leiterinnen ländlicher Haushaltschulen zu begünstigen. Anfragen und Anmeldungen sind zu richten an Fräulein v. Kortzfleisch, Hannover, Hildesheimerstraße 23 oder Freifrau Schenck zu Schweinsberg, Nieder-Ofleiden bei Homberg a. d. Ohm, Oberhessen.

Die ersten Hosen. (Zu dem Bilde S. 649.) Die ersten Hosen! Das ist im Leben jeder Familie, der ein kleiner Stammhalter heranwächst, ein großes Ereignis, und auch der gestrenge Haushaltungsvorstand muß ihm seine volle Teilnahme widmen. Bisher ist der Stolz des Hauses im gestrickten Kittelchen herumgesprungen, in dem er das Laufen gelernt hat – da war er trotz seines energischen Krauskopfs von einem Mädel kaum zu unterscheiden! Mit den ersten Hosen, welche die Mutter ihm selbst zugeschnitten, die junge Tante auf der Nähmaschine mit Aufwand ihrer besten Kunst selber genäht hat, erhält der Junge das erste äußere Kennzeichen seiner Zugehörigkeit zum starken Geschlecht, und kann er auch noch nicht die volle Bedeutung dieses Momentes erfassen, so fühlt er sie doch – mit freudigem Stolz blickt er auf die neue so ansehnliche Beinbekleidung herab, ein ganzer kleiner Mann! In ihnen wird er marschieren lernen, tapfer und kerzengerad’! Und wir teilen beim Anblick der fröhlichen Scene den Herzenswunsch der Eltern und Geschwister: Glück auf den Weg!


Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 39/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_660.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)