Wirtschaftliche Hochschulen für Mädchen
[19] Wirtschaftliche Hochschulen für Mädchen. Es ist ein erfreuliches
Zeichen für die Gesundheit der deutschen Frauenbewegung, daß sie eine bessere
wirtschaftliche Vorbildung der Mehrzahl der Mädchen ebenso dringend verlangt
wie die Freigebung der Studien für die Minderzahl. Das weibliche
Geschlecht muß auf jedem Arbeitsfeld den Anforderungen unserer Zeit eine
gesteigerte Tüchtigkeit entgegenbringen. Denn auch der Hausfrauenberuf
ist heute durch Maschinenhilfe und technische Verbesserungen nur scheinbar
erleichtert, in Wirklichkeit erfordert er auch in der Stadt ein bedeutendes
Mehr an wirtschaftlicher Kopfarbeit, Einteilung und Verantwortung als
der der „guten alten Zeit“. Kartoffeln und Brennmaterial eben so sicher
auf Wert und Nutzen taxieren wie den Umgang der heranwachsenden
Kinder, Sinn und Verständnis für das geistige Leben der Zeit behalten
und zugleich allmorgendlich durch Aufsicht und Beispiel die hundert kleinen
Räder der Haushaltsmaschine in Gang setzen, Gastlichkeit pflegen auch bei
kleinen Mitteln und den vergnügten Erholungsabend durch ein paar angestrengte
Schneidertage erkaufen – dies alles und wieviel mehr! setzt
ein gehöriges Maß von Eigenschaften und Fähigkeiten voraus. Kein
Zweifel, daß sie sämtlich unter der Leitung einer tüchtigen Mutter zu
erwerben sind – aber die Mehrzahl der städtischen Mädchen entbehrt der
konsequenten wirtschaftlichen Leitung und hat in der Enge der Großstadtwohnung
auch zu wenig Gelegenheit zur vielseitigen Bethätigung dafür.
Dieser Sachverhalt fängt an, als öffentlicher Uebelstand empfunden zu werden,
und Vorschläge aller Art tauchen auf, um ihm zu steuern. Unter ihnen
zeichnet sich durch praktischen Wert das zum Gedächtnis an die verstorbene
Fürstin Johanna v. Bismarck benannte Projekt: Bismarckspende zu
gunsten wirtschaftlicher Frauenhochschulen aus. Eine Reihe angesehener
Persönlichkeiten in Hannover beabsichtigt, eine Anstalt auf dem
Lande zu gründen, wo neben den eigentlichen Hausfrauenkenntnissen auch die
Grundlagen für sonstige, landwirtschaftliche und gewerbliche Frauenberufe zu
erwerben sind, in ein bis drei Jahreskursen. Das Nähere über diesen Plan
ist nachzulesen in einer Broschüre von I. v. Kortzfleisch „Der freiwillige
Dienst in der wirtschaftlichen Frauen-Hochschule“ (Hannover, C. Meyer).
Die Verfasserin denkt sich als Leiterinnen der Anstalt zwei akademisch gebildete
Frauen, welchen der geistige Lehrstoff (Geschichte, Deutsche Sprache,
Kunstgeschichte, Elemente der Physik und Chemie) zufiele, unter ihnen
stünde ein Stab von Lehrmeisterinnen für die praktischen Fächer (Kochen,
Waschen, Weben, Färben, Hand-, Garten- und Feldarbeit, Milch- und
Honigwirtschaft, Geflügelzucht u. dergl.). Daß derartige Anstalten auf
dem Lande mit allen Möglichkeiten von Luftgenuß, Bad, Eislauf etc. für
die jungen Stadtmädchen unendlich viel gesünder und vorteilhafter wären
als die heute beliebten kurzen Aufenthalte in fremdländischen Instituten,
darüber braucht man kein Wort zu verlieren. Und zugleich wären solche
Anstalten ein natürlicher Wirkungskreis für die akademisch gebildeten
Zukunftsfrauen. Eine Aerztin fände in jeder Beschäftigung, und ein paar
Betten für Kranke aus der ländlichen Umgebung dienten der Ausbildung
in der Krankenpflege. Ein gratis von Fräulein v. Kortzfleisch zu beziehendes
[20] Flugblatt giebt die näheren Anhaltspunkte, sowie die Namen der Damen und Herren, welche die Gaben zur „Bismarckspende“ entgegennehmen. Möge dieselbe auch im Kreis unserer Leserinnen viele offene Hände finden! Denn nur durch thätige Frauenhilfe wird die Frauensache gefördert. R. A.