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Seite:Die Grundhypothesen der Elektronentheorie.djvu/1

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Die Grundhypothesen der Elektronentheorie.
Von M. Abraham.

Die Elektronentheorie, diese aussichtsvollste Weiterbildung der Maxwellschen Elektrodynamik, geht von den folgenden allgemeinen Voraussetzungen aus:

A. In dem von Materie und Elektrizität leeren Raume gelten die Maxwell-Hertzschen Gleichungen. Dieselben postulieren ein Bezugssystem, in dem ebene elektromagnetische Wellen nach allen Richtungen mit der gleichen Geschwindigkeit c=3·1010 cm/sec fortschreiten; auf dieses Bezugssystem bezogene Bewegungen bezeichnet sie als absolute Bewegungen.

B. Die Elektrizität besteht aus diskreten positiven und negativen Teilchen, die „Elektronen“ genannt werden. Diese sind es, welche die Wechselwirkung der Materie und des Äthers vermitteln.

C. Jeder elektrische Strom ist ein Konvektionsstrom bewegter Elektronen. Die Dichte des Konvektionsstromes ist das Produkt aus der Dichte der Elektrizität und ihrer absoluten Geschwindigkeit. Der Konvektionsstrom erregt das gleiche magnetische Feld, wie der äquivalente Leitungsstrom der Maxwell-Hertzschen Theorie.

Aus den Hypothesen А, В, С folgen die Feldgleichungen, die bei gegebener Verteilung und Geschwindigkeit der Elektrizität das elektromagnetische Feld bestimmen. Zu ihnen tritt noch eine Aussage über die Kraft, die bei gegebenem Felde auf ein von Elektrizität erfülltes Volumelement wirkt:

D. Die elektromagnetische Kraft setzt sich additiv zusammen aus den Kräften, die im elektrischen Felde auf die ruhende, und im magnetischen Felde auf die bewegte Elektrizität wirken.

Diese vier Aussagen stellen die allgemeinen Grundhypothesen der Elektronentheorie dar.[1] Jede Untersuchung, die auf ihnen fusst, und nur eine solche, wird als in den Rahmen der Elektronentheorie fallend zu bezeichnen sein.

Die an Kathodenstrahlen beobachteten Erscheinungen lassen sich auf Grund von D deuten, wenn man die elektromagnetische Kraft des äusseren Feldes als äussere Kraft betrachtet, und den in den Kathodenstrahlen angenommenen freien negativen Elektronen eine träge Masse μ0 zuschreibt. Andererseits haben die Grundhypothesen A, B, C, D zu der Konsequenz geführt, dass diese Masse, wenigstens zum Teile, aus dem vom Elektron selbst erregten Felde resultiert. Die Versuche von W. Kaufmann haben gezeigt, dass bei grossen Geschwindigkeiten die elektromagnetische Masse des Elektrons von wesentlichem Einflusse wird.

In meinen Untersuchungen[2] habe ich der Dynamik des Elektrons eine Form gegeben, welche geeignet ist, die Versuche Kaufmanns auf rein elektromagnetischer Grundlage zu erklären. Dabei habe ich, neben den allgemeinen Grundhypothesen der Elektronentheorie, folgende spezielle Hypothesen eingeführt:

E. Die elektromagnetischen Kräfte des äusseren und des vom Elektron selbst erregten Feldes halten sich an dem Elektron im Sinne der Mechanik starrer Körper das Gleichgewicht.

  1. Vergl. H. A. Lorentz, Encykl. der mathem. Wissensch., Bd. V 2, Heft 1.
  2. M. Abraham, Ann. d. Phys. 10, 105, 1903.
Empfohlene Zitierweise:
Max Abraham: Die Grundhypothesen der Elektronentheorie. S. Hirzel, 1904, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grundhypothesen_der_Elektronentheorie.djvu/1&oldid=- (Version vom 31.7.2018)