werden, wie die quasielastischen Kräfte. Das ist nach H. A. Lorentz der Fall, wenn der Dynamik der im Innern der bewegten Materie schwingenden Elektronen folgende Hypothesen zugrunde gelegt werden:
E bleibt bestehen.
An Stelle von F und G tritt:
K. Das im Ruhezustande mit gleichförmiger Volum- oder Flächen-Ladung erfüllte Elektron plattet sich bei der Bewegung ab, indem sein der Bewegungsrichtung paralleler Durchmesser im Verhältnis verkürzt wird. Es wird ein sogenanntes Heaviside-Ellipsoid. Für ein solches Ellipsoid hat H. A. Lorentz die elektromagnetische Bewegungsgrösse berechnet, aus der sich nach meinen Methoden ohne weiteres die beiden Massen ergeben. Er findet die longitudinale Masse μs=μ0·(1-β²)-3/2, die transversale Masse μr=μ0·(1-β²)-½. H. A. Lorentz zeigt, dass seine Formel für die transversale Masse mit den Versuchen Kaufmanns nicht erheblich schlechter stimmt, als die meinige.
Da andererseits auf Grund von K das Verhältnis der transversalen und longitudinalen Masse sich gleich (1-β²), auf Grund von F G aber gleich (1-4/5 β²) ergiebt, bei Vernachlässigung von Gliedern vierter und höherer Ordnung, so würde F, G, an Stelle von K in das Lorentzsche Hypothesensystem eingeführt, eine Doppelbrechung von der Ordnung 1/5 β²=2·10-9 für solche Körper ergeben, für deren optisches Verhalten die Trägheit der Elektronen massgebend ist.
H. A. Lorentz bemerkt schliesslich, dass auch für Körper mit Molekularbewegung jeder Einfluss der Erdbewegung fortfallt, wenn als letzte Hypothese hinzugenommen wird:
L. Die Massen der Moleküle sind elektromagnetischer Natur.
Wir wollen jetzt die Hypothese K genauer erörtern. H. A. Lorentz trägt dieselbe mit aller Zurückhaltung vor; er geht nicht so weit, dieselbe als wahrscheinlich hinzustellen. In der That, es erheben sich gegen diese Hypothese die schwerwiegendsten Bedenken.
Beschleunigt man ein solches Elektron, so wird seine Abplattung vermehrt; es muss also gegen die elektrischen Kräfte Arbeit geleistet werden. Während für das undeformierbare Elektron die Zunahme der Energie gleich der von den äusseren elektrischen Kräften geleisteten Arbeit ist, findet das hier nicht mehr statt; die Energiezunahme bei einer Geschwindigkeitsvermehrung ist grösser, als die Arbeit der äusseren Kräfte.
Die konsequente Verfolgung der Hypothese K zwingt also dazu, neben den inneren elektromagnetischen Kräften noch andere, nicht elektromagnetische, innere Kräfte anzunehmen, welche im Verein mit jenen die Form des Elektrons bestimmen. Diese würden dann bei der Kontraktion die erforderliche Arbeit leisten, die zusammen mit der Arbeit der äusseren Kräfte der Steigerung der elektromagnetischen Energie des Elektrons äquivalent ist. Solange man nicht angiebt, nach welchem Gesetz diese Kräfte wirken sollen, ist das Hypothesensystem A, B, C, D, E, K unvollständig.
Die Unvollständigkeit des Hypothesensystems bedingt es, dass man der Stabilität eines diesen Hypothesen gehorchenden Elektrons nicht sicher ist. Die Bewegung eines abgeplatteten Rotationsellipsoids von unveränderlicher Form parallel seiner Rotationsachse ist, wie oben erwähnt, instabil. Es fehlt der Nachweis, dass jene nicht elektromagnetischen Zusatzkräfte die Bewegung des deformierbaren Ellipsoids stabil machen.
Die Notwendigkeit der Einführung nicht elektromagnetischer Kräfte zeigt, dass die Hypothese des deformierbaren Heaviside-Ellipsoids, obwohl mathematisch in gewisser Weise einfacher, doch physikalisch weit komplizierter ist, als die Hypothese des starren kugelförmigen Elektrons. Jene versagt in der That manchen Fragen gegenüber, auf welche diese eine ganz bestimmte Antwort giebt. Ich erwähne nur die von P. Hertz[1] aus den Hypothesen A bis G gezogene Folgerung, dass das Elektron durch endliche Kräfte beliebig nahe an die Lichtgeschwindigkeit, ja bis zur Lichtgeschwindigkeit, gebracht werden kann. Die Versuche von F. Paschen[2] zeigen, dass in der Strahlung des Radiums negative Elektronen enthalten sind, die ein weit grösseres Durchdringungsvermögen und weit geringere Ablenkbarkeit besitzen, als die raschesten der von Kaufmann untersuchten β-Strahlen. Hier scheint die Lichtgeschwindigkeit wirklich nahezu, wenn nicht ganz, erreicht zu sein. Es treffen sich die Wege, welche die mathematische und die experimentelle Forschung, unabhängig von einander, eingeschlagen haben. – Die Hypothese K hingegen versagt gegenüber der Frage nach Erreichung der Lichtgeschwindigkeit durchaus.
Aus allen diesen Gründen wäre es höchst voreilig, wenn man die Hypothesen F, G ohne weiteres zu Gunsten der Hypothese K aufgeben wollte. Selbstverständlich ist die Dynamik des Elektrons, wie jede physikalische Theorie, der fortlaufenden Prüfung durch das Experiment unterworfen. Es ist zu hoffen, dass die Versuche, die W. Kaufmann jetzt mit unermüdlicher
Max Abraham: Die Grundhypothesen der Elektronentheorie. S. Hirzel, 1904, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grundhypothesen_der_Elektronentheorie.djvu/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)