Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band | |
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und geistartiger wird. Im Hause meines guten Doctors sah ich mehrere theure Freunde aus Boston wieder und machte einige neue Bekanntschaften, z. B. mit dem unitarischen Prediger Doctor Gannet.
In der Kirche von Nabant hörte ich gestern eine vortreffliche Predigt von Mr. Bellows — eine jener schönen Reden aus dem Mittelpunkt des Christenthums, wie sie am Meer gepredigt werden sollten, an dem großen Weltmeer, in welchem alle vereinzelten Wogen sich erheben und wie in einem gemeinschaftlichen Mutterschooß versinken, wie alle verschiedenen christlichen Secten und Confessionen im Ocean des christlichen Liebelebens.
Am Abend hatte ich das große Vergnügen, mit einigen gebildeten und denkenden Freundinnen über die Frauenzimmer Americas zu sprechen, über ihren Mangel an allseitiger Entwicklung; über ihre Theilnahmslosigkeit bei den höheren menschlichen Interessen und über den Mangel an Unterhaltungstalent, den man bei einer großen Menge vorfindet. Diese liebenswürdigen Frauenzimmer, die selbst in jeder Beziehung ausgezeichnet sind, kamen mir in meinen Bemerkungen entgegen und sahen wie ich keine andre Hilfe außer in einer tiefer gehenden Bildung und bürgerlichen Entwicklung. Es kommen allzuviele Zeichen zusammen, die dazu zwingen, wenn die Weiber sich die Achtung ihres eigenen Geschlechtes wie auch der Männer erhalten wollen. Die Männer haben im Allgemeinen jetzt mehr Galanterie gegen Frauenzimmer, als wahre Achtung für sie. Sie sind artig und nachgiebig gegen sie, aber sie betrachten sie offenbar mehr als hübsche Kinder, denn als vernünftige ihnen gleichgestellte Personen und sie machen sie nicht zu Ihren Gesellschafterinnen,
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Dritter_Band.djvu/450&oldid=- (Version vom 7.12.2023)