Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band | |
|
in allen Staatsverfassungen und in dem geistigen Leben der Vereinigten Staaten selbst da, wo es noch durch zufällige Fesseln gehemmt oder durch die alte Nacht verdüstert wird.
Der Mensch, der Gesetzgeber dieses Welttheils, trat da mit vollem Selbstbewußtsein als Diener Gottes und als Gesellschaftsmitglied auf. Die zwei sind bei ihm wie eins. Das ist seine Eigenheit, seine eigene Vollkommenheit. Seine Lebensregel ist: „Laß dein ganzes Leben Zeugniß bringen von deinem Glauben."
Viele von unsern Landsleuten erblicken in den Vereinigten Staaten nur ein Aggregat von unharmonischen Theilen, die zufällig zusammengekommen seien und zufällig, ohne innere Nothwendigkeit, ohne organischen Mittelpunkt zusammenhängen.
Aber demjenigen, der etwas länger in den Vereinigten Staaten gelebt und Muße gehabt hat, über das Innere ihres Lebens nachzudenken, kann es nicht verborgen bleiben, daß sie ein gemeinsam schaffendes und im höchsten Grad lebenskräftiges Princip in sich haben, und dieses ist: das religiös-bürgerliche Bewußtsein.
Dieses ist es, was überall die Kirche erbaut, die Staatsinstitutionen und die noch mächtigeren freien Vereine organisirt, dieses ist es, was der Erziehung ihre Richtung gibt, den Charakter des Familienlebens bestimmt, in der Literatur und in allen großen socialen Bewegungen sich Bahn bricht, Alles mit dem Losungswort der ältesten göttlichen Botschaft:
„Liebe Gott über Alles und deinen Nächsten gleich dir selbst.“
Nirgends auf Erden ist wohl das christliche Bewußtsein von wahrer Menschenfreiheit so vollständig zum Durchbruch gekommen, wie in den Vereinigten Staaten; nirgends ist die Lehre, daß die reine Religion
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Dritter_Band.djvu/535&oldid=- (Version vom 13.12.2023)