Max Planck: Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der β-Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen | |
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zu erklären sind. Also wenn kein prinzipieller Fehler in den Beobachtungen vorhanden ist, so ist die Lorentzsche Theorie beseitigt. Bei der Abrahamschen Theorie betragen die Abweichungen 3–5 Proz.; auch diese liegen außerhalb der Grenze der Beobachtungsfehler. Aber die Möglichkeit von Fehlern, die sich in der Weise summiert haben, daß eine solche Abweichung hierdurch herauskommt, wäre immerhin noch denkbar.
Planck: Wenn die für eine vollständige Deutung der Beobachtungen notwendige Korrektion der theoretischen Zahlen außerhalb der Beobachtungsfehler liegt, so ist es für mich denkbar, daß, wenn man ihr Rechnung trägt und infolgedessen über die Beobachtungsfehler hinaus Änderungen anbringt, daß man dann der Lorentzschen Theorie näherkommen könnte, als der Abrahamschen. Aus der bloßen Tatsache, daß die Abweichungen der einen Theorie kleiner sind, würde ein Vorzug für sie nicht folgen.
Bucherer: Ich möchte auf die Bemerkung des Vortragenden zurückkommen, daß meine Theorie nicht hinreichend entwickelt ist, um hier schon weiter erörtert zu werden. Ich habe mich intensiv mit ihr und ihren Konsequenzen beschäftigt und gefunden, daß sie nicht wesentlich Besseres leistet, als die frühere Lorentzsche Theorie und die spätere Lorentzsche. Ein Einwand ist darin zu finden, daß in der Dispersionstheorie die elektromagnetischen Massen Schwierigkeiten machen; in allen übrigen Punkten leistet die Theorie des bei konstantem Volum deformierten Elektrons und des entsprechend deformierten Systems ungefähr dasselbe wie die neuere Lorentzsche. Bei der Ausdehnung der Planckschen Erwägungen auf mein Elektron könnte ich nicht sagen, welche Folge diese Erwägungen für mein Elektron haben würden. Aber auf einige theoretische Punkte will ich hinweisen. Die Dynamik des Elektrons ist ja nicht allein prüfbar durch die Ablenkung der Becquerel-Strahlen. Abraham hat schon hingewiesen auf die Notwendigkeit, dem Lorentzschen Elektron eine besondere innere Energie zuzuschreiben. Die Schwierigkeit scheint mir größer als die Abweichung von den Kaufmannschen Messungen. Gegen die Einsteinsche Relativitätstheorie lassen sich gewisse Einwände erheben. Er wendet die Maxwellschen Gleichungen an, übersieht aber, daß gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nämlich die Gültigkeit des Divergenztheorems der elektrischen Kraft.
Nachdem ich erkannt hatte, daß die bisherigen Theorien, auch die meinige mit eingeschlossen, den Anforderungen nicht genügen, habe ich mir die Frage vorgelegt, ob man unter Beibehaltung der Maxwellschen Gleichungen und unter Zugrundelegung des Prinzips der Gleichheit von actio und reactio zur Übereinstimmung mit der Erfahrung kommen kann. Das gelingt, wenn man den Satz zugrunde legt: Die ponderomotorische Kraft zwischen zwei in relativer gleichförmiger Bewegung zueinander begriffenen Systemen ist unter Beachtung des Vorzeichens die auf Grund der Maxwell-Lorentzschen Differentialgleichungen berechnete Kraft, welche auf das willkürlich als ruhend angenommene System ausgeübt wird. Natürlich fällt bei dieser Auffassung der Begriff des Äthers fort; denn sobald ich relative Bewegungen einführe und das Koordinatensystem in einem beliebigen Körper des dynamischen Systems festlege, verzichte ich auf die Äthertheorie. Ich habe die Konsequenzen verfolgt und bin in bezug auf die Kaufmannschen Messungen zu einigen Schlüssen gelangt, die ich mitteilen will. Zunächst würde das starre Elektron in Frage kommen. Auf Grund der Relativtheorie kommt man zu dem Schluß, daß andere Kräfte wirken, wenn die Becquerelstrahlen nicht mehr parallel, sondern schief zur Kondensatorplatte gerichtet sind. Hier wäre eine leichte Handhabe geboten, das Prinzip der Relativtheorie auf Grund der Maxwellschen Gleichungen zu prüfen, man brauchte nur Becquerelstrahlen schief gegen das elektrische oder magnetische Feld fliegen zu lassen. Bei senkrechter Bewegung bekommt man merkwürdigerweise dieselben Kräfte wie Lorentz. Ich habe schon überlegt, ob die Abweichung der Kaufmannschen Messungen darauf beruht, daß ein Winkel gebildet wird.
Runge: Ich möchte Herrn Planck folgendes fragen: Bei dem Widerspruch, den er findet, wenn er aus dem ersten Werte berechnet, ist doch zu beachten, ob nicht eine kleine Änderung der Beobachtung schon eine große Änderung im Werte hervorruft. Man müßte das Intervall der berechnen, für die noch zulässige Fehler der Beobachtung vorhanden sind.
Planck: Es ist proportional . Eine kleine Änderung von würde schon viel machen, weil klein ist gegen . Die Fehler aber sind schon so groß, daß man die Werte nicht benutzen kann; die äußersten Werte müßte man jedenfalls ausschalten, man kann sie eben nicht für die Theorie brauchen. An Herrn Bucherer möchte ich noch eine Frage richten. Lassen sich Ihre Gleichungen auch auf die Lagrangesche Form bringen? Und wenn ja, welchen Wert hat die Lagrangesche Funktion für Ihre neuere Theorie, haben Sie das untersucht?
Bucherer: Nein, das habe ich noch nicht untersucht und könnte es in diesem Augenblick nicht entscheiden.
Planck: Das wäre doch sehr wichtig, weil durch die Lagrangesche Form die Bewegungsgleichungen
Max Planck: Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der β-Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen. S. Hirzel, Leipzig 1906, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kaufmannschen_Messungen.djvu/8&oldid=- (Version vom 29.12.2019)