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großen Schaden in der Stadt Rom, besonders im Ghetto an. Als eine Folge der Überschwemmung traten bösartige Fieber auf, welche die Bewohnerschaft des Ghetto in steter Todesangst erhielten. Da gestattete Papst Pius, daß die Juden den Ghetto verlassen und sich in anderen Stadtteilen ansiedeln durften. Damit aber kein Mangel an Wohnungen eintrete, berief der Papst sofort eine Kommission, welche die Aufgabe hatte, die Pläne zur Anlegung eines neuen Stadtteiles auszuarbeiten.

Im Sommer des Jahres 1847 sah Papst Pius, als er eines Tages eine Ausfahrt machte, in einer Straße Roms einen alten Mann ohnmächtig auf dem Boden liegen. Der edle, menschenfreundliche Papst ließ sogleich halten, und auf sein Befragen, wer der Arme sei, antwortete einer aus der gaffenden Menge: „Es ist nur ein Jude.“ Unwillig über diese lieblose Antwort rief Pius den Umstehenden zu: „Was sagt ihr da? Ist der Leidende nicht euer Mitbruder? Verdient er nicht unseren Beistand?“ Und von den Prälaten, die ihn begleiteten, unterstützt, richtete er selbst den alten Mann auf, ließ ihn in seinen Wagen bringen, führte ihn zu seiner Wohnung und verließ ihn nicht, bevor er das Bewußtsein wieder bei ihm erwachen sah. Dann schickte er ihm unverzüglich seinen Leibarzt und sorgte für die nötige Verpflegung.

Daß die Juden für solche Beweise echt christlicher Nächstenliebe nicht bloß in Worten, sondern auch im Herzen und in der That dem großen Papste dankbar waren, dürfte aus folgender Thatsache ersichtlich sein.

Ein reicher jüdischer Handelsmann von Livorno setzte in seinem Testamente dem Papste ein Legat von 30,000 Thalern aus. Als der Papst erklärte, daß er ein Vermächtnis, welches die Erben des Verstorbenen um einen so beträchtlichen Vermögensteil verkürze, nicht annehmen könne, gaben diese zur Antwort, es sei ihre Pflicht, sich in den Willen des Erblassers zu fügen, und sie selbst seien auch wohlhabend genug, um dieses leichte Opfer zu gunsten des Wohlthäters ihrer Glaubensgenossen tragen zu können. Da nun der Papst dieses Vermächtnis annehmen mußte, teilte er es in zwei Hälften, wovon er die eine an die armen Israeliten von Livorno, die andere an die hilfsbedürftigen Bewohner des Ghetto in Rom verteilen ließ.

Trotz dieser großen Liebe zu den Juden und der wahrhaft väterlichen Fürsorge für dieselben hielt aber Papst Pius IX. unerbittlich an den Kirchengesetzen fest, wenn auch deren strenge Durchführung den Juden überaus schmerzlich fallen mochte, und trotz der heftigen Vorwürfe, die ihm von kirchenfeindlicher Seite darob gemacht wurden. Hierfür nur zwei Belege!

In der Familie des Juden Mortara zu Bologna befand sich ein christliches Dienstmädchen, Anna Morisi mit Namen. Dieses Dienstmädchen taufte heimlich, ohne Wissen ihrer Dienstherrschaft, einen kleinen Sohn derselben, ein Jahr alt, der von einer schweren Krankheit befallen worden war und in Todesgefahr schwebte. Der Knabe wurde wider Erwarten wieder gesund, und als die geistlichen Behörden von der Taufe Kenntnis erhielten, wurde eine genaue Untersuchung angeordnet, die ein ganzes Jahr in Anspruch nahm. Das Ergebnis der Untersuchung war, daß der getaufte Knabe, Edgar Mortara,

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Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/48&oldid=- (Version vom 31.7.2018)