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am 24. Juni 1858 aus dem elterlichen Hause entfernt und in das Katechumenhaus in Rom gebracht wurde, um ihn daselbst in der christlichen Religion zu unterrichten und christlich zu erziehen. Darüber entstand ein großer Lärm in Italien, England, Frankreich, Deutschland, in den Zeitungen wurde der Papst der abscheulichsten Tyrannei beschuldigt, sein Verfahren als ein unerhörter Eingriff in die elterlichen Rechte gebrandmarkt, als die grausamste Unterdrückung und Verfolgung der unschuldigen Juden hingestellt.

Zur richtigen Beurteilung des Falles darf man sich aber nur an die Kirchengesetze erinnern, welche verlangen und selbstverständlich verlangen müssen, daß getaufte Kinder in der christlichen Religion unterrichtet und christlich erzogen werden. Von dieser Forderung kann und wird ein Papst niemals dispensieren. Dagegen ist es jedoch auch streng verboten, unmündigen Kinder jüdischer Eltern ohne deren Wissen die heilige Taufe zu erteilen, weil man eben die mißlichen Folgen verhüten will, die aus einer solchen Taufe entstehen können. Sodann haben wir schon wiederholt erwähnt, wie es eine alte kirchliche Forderung ist, daß die Juden keine christlichen Dienstboten halten sollen. Gewiß liegt auch dieser Forderung nebst anderen Beweggründen die Absicht zu Grunde, es solle dadurch verhütet werden, daß christliche Dienstboten aus Übereifer oder Mitleid unmündige Judenkinder taufen. Da im Kirchenstaate diese kirchliche Forderung allgemeines und altbekanntes Gesetz war, hatten Edgar Mortaras Eltern es nur ihrer Gesetzesübertretung zuzuschreiben, daß ihr Kind ihnen genommen wurde, um es fern von ihnen in der christlichen Religion zu unterrichten und zu erziehen.

Durch die Wahrnehmung, daß in Bologna ein Christenmädchen bei Juden diente, wurde Papst Pius veranlaßt, auch in Rom Nachforschung zu halten, ob Christen bei Judenfamilien dienten, und es ergab sich, daß in den jüdischen Familien Roms zwölf christliche Dienstboten sich befanden. Diese mußten sofort entlassen werden, und die jüdischen Dienstherren hatten zur Strafe für ihre Gesetzesübertretung eine Geldbuße zu entrichten.

Zwei Jahre später, im Jahre 1860, wurde in Rom ein Judenknabe getauft, der aber selbst aus eigenem Antriebe die heilige Taufe verlangt hatte. Es war der elfjährige Coёn, den seine Eltern zu einem christlichen Schuhmacher in die Lehre gegeben hatten. Als der mit einem hellen Verstande begabte Knabe die christliche Religion hier näher kennen gelernt hatte, faßte er den Entschluß, die heilige Taufe zu empfangen. Diesen Entschluß erklärte er fest und entschieden vor mehreren Kommissionen und zuletzt auch vor dem heiligen Vater Pius, worauf er am Festtage des heiligen Michael feierlich getauft wurde. Ein Kardinal und eine neapolitanische Prinzessin vertraten dabei die Patenstelle.

Die Eltern Coёns, welche mit dem Schritte ihres Sohnes nicht einverstanden waren, hatten die Vermittelung des französischen Gesandten in Rom angerufen, welcher über den Fall an die Regierung in Paris berichtete, und von dort die Weisung erhielt, er solle bei der päpstlichen Regierung dahin wirken, daß die Taufe des jungen Coёn unterbleibe, und daß derselbe zu seinen Eltern zurückgebracht werde.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/49&oldid=- (Version vom 31.7.2018)