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VII.
Der rituelle Mord.


Durch die Ereignisse in Korfu und Xanten, welche wir erwähnt haben, ist die Frage des sogenannten rituellen Mordes wieder auf die Tagesordnung gesetzt worden, und es ist darum gewiß auch angezeigt, auf diese Frage etwas näher einzugehen.

In weiten Schichten des christlichen Volkes ist der Glaube verbreitet, die Juden hätten für die Feier ihres Osterfestes, zunächst zur Bereitung ihres ungesäuerten Brotes Christenblut nötig, und zu diesem Zwecke würden von ihnen von Zeit zu Zeit christliche Knaben und Mädchen, auch mitunter erwachsene Christen unter großen Qualen abgeschlachtet, den Gemordeten würde alles Blut genommen und sorgfältig aufbewahrt.

„Wann ist dieses Wahnmärchen entstanden?“ fragt Rabbiner Dr. M. Horovitz zu Frankfurt a. M. in einem Vortrage, den er am 28. Mai l. J. daselbst über den schon öfter erwähnten Mord in Korfu gehalten und als Broschüre veröffentlicht hat. Er giebt sich selbst die Antwort auf seine Frage, indem er sagt: „Niemand weiß es genau. Der erste Kreuzzug noch hat unendlich viel Elend unter den Juden anrichten, ganze jüdische Gemeinden vernichten und Tausende grausam töten können, ohne auf diese Schauerfabel zurückzukommen, ohne sie vielleicht zu kennen. Erst etwa seit den Jahren 1170-1180 spukt es allenthalben von diesem Wahne, und Unzählige fielen ihn zum Opfer.“[1]

Dr. Horovitz meint also, man sei erst am Ausgange des zwölften Jahrhunderts auf diese Schauerfabel zurückgekommen, und setzt somit voraus, daß der Ursprung derselben in früheren Jahrhunderten zu suchen sei. In der That findet er denselben schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche, als zur Zeit der blutigen Christenverfolgungen die Heiden den Christen vorwarfen, sie trieben Blutschande bei ihren Liebesmahlen und schlachteten kleine Kinder, um bei ihren gottesdienstlichen Versammlungen deren Fleisch zu essen und ihr Blut zu trinken. Als Gewährsmänner führt Dr. Horovitz den heiligen Justinus, zubenannt der Märtyrer, an und den Kirchengeschichtschreiber Eusebius von Cäsarea. Daß die Christen wirklich dieser zwei schweren Verbrechen von den Heiden angeklagt wurden, ist geschichtliche Thatsache, wie außer den genannten Gewährsmännern noch andere Kirchenväter und kirchlichen Schriftsteller es bezeugen. Es ist aber auch ebenso bekannt, wie die Heiden dazu gekommen sind, den Christen diese schauerlichen Verbrechen vorzuwerfen. Sie hörten, daß die Christen sich als Brüder und Schwestern anredeten, sie hörten von den Friedenskusse, den sie sich in den gottesdienstlichen Versammlungen gaben; sie hörten von dem geheimnisvollen Opfermahle, bei welchem das Fleisch und das Blut des Gottessohnes von den Eingeweihten genossen wurde.


  1. Korfu, Vortrag von Dr. Horovitz; Frankfurt a. M., Kauffmann, 1891, S. 4.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)