Seite:Die Kirche und Die Juden.djvu/63

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Da jedoch der Gottesdienst geheim gefeiert wurde, dem heiligen Meßopfer, der eigentlichen Feier der heiligen Geheimnisse weder Heiden noch Juden, nicht einmal die Katechumenen, die sich auf den Empfang der heiligen Taufe vorbereiteten, beiwohnen durften, so lag es den Heiden nahe, von den verhaßten Christen zu glauben, daß sich dieselben nur deshalb scheuten, ihren Gottesdienst öffentlich abzuhalten, weil ihre ödipodischen und thyesteischen Greuel, ihre Blutschande und ihr Genuß von Menschenfleisch nicht an das Tageslicht kommen sollten. Als dann auch noch, wie die Kirchenväter und kirchlichen Schriftsteller erzählen, heidnische Sklaven, die in christlichen Familien sich befanden, durch die Folter gezwungen, die den Christen vorgeworfenen Verbrechen bestätigten, da zweifelten die Heiden um so weniger an der Schuld der Christen, als es ja ein offenes Geheimnis war, daß in heidnischen Mysterien bei geheimen Gottesdiensten die Geschlechter und Alter sich vermischten, und zarte Knaben und unschuldige Mädchen abgeschlachtet wurden, deren Blut man zur Feier der Geheimnisse oder zur Herstellung von Zaubermitteln gebrauchte. Es war offenkundig geworden, daß zu heidnischen Geheimdiensten auch das Opfer eines neugeborenen Kindes gehörte, dessen Fleisch, nachdem man es getötet hatte, weich gekocht und dann mit Mehl und gewissen Vegetabilien vermischt wurde; darauf wurden Kuchen gebacken, die den Eingeweihten das Jahr über zu einer Art höllischer Kommunion dienen mußten. „Hier deckt sich die Quelle auf,“ sagt Dr. Döllinger, „aus der die ganz gleiche Sitte gewisser gnostischen Sekten floß, und damit wird auch die bekannte Beschuldigung thyesteischen Mahlzeiten erklärlich, welche die Heiden im Römischen Reiche gegen die Christen überhaupt erhoben.“[1]

Wenn nun auf diese Weise es leicht erklärlich wird, wie die Heiden dazu kamen, den Christen die Abschlachtung von Kindern zu religiösen Zwecken oder vielmehr den Genuß des Fleisches und Blutes derselben bei ihren geheimen Gottesdiensten vorzuwerfen, so ist aber damit noch lange nicht die Frage beantwortet, wie die Christen dazu gekommen sind, den Juden vorzuwerfen, daß sie Christenkinder zu religiösen Zwecken, um deren Blut zu genießen, unter grausamen Qualen schlachten. Dr. Horoviz – ich führe ihn an, weil er wohl der neuste jüdische Schriftsteller ist, der diese Frage in der Öffentlichkeit behandelt hat – macht sich die Sache allerdings sehr leicht, indem er einfach den Satz aufstellt, um das Jahr 1180, zur Zeit einer größeren Judenverfolgung in Frankreich, sei die Blutbeschuldigung, die man tausend Jahre vorher den Christen gemacht habe, zum erstenmal von seiten der Christen den Juden gegenüber aufgetaucht. Dann beklagt er es, daß sieben Jahrhunderte später der alte Wahnglaube aufs neue infolge des Mordes in Korfu wieder zum Vorschein gekommen sei.

„Aber woher denn,“ so höre ich den geneigten Leser fragen, „die Beschuldigung? Muß nicht, wo Rauch ist, auch Feuer sein?“ So fragt auch der Berliner Universitätsprofessor Dr. Strack in seinem Gutachten, das er bei Gelegenheit der Untersuchung über die Ermordung der Esther Solymossi in der Frage abgegeben hat: „Gebrauchen die


  1. Dr. Döllinger, Heidentum und Judentum; Regensburg, Manz, 1857, S. 404
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/63&oldid=- (Version vom 31.7.2018)