23. Denken wir uns nun einen beliebig langen Zylinder, dessen Achse mit der -Achse des ‚ruhenden‘ Systems zusammenfällt, sich längs dieser Achse gleichförmig bewegen, so kann uns die Rotation jedes zur Bewegungsrichtung senkrechten Querschnitts eine Uhr des ‚bewegten‘ Systems bedeuten. Für den Beobachter im ‚ruhenden‘ System ist dann der ‚bewegte‘ Zylinder um seine Achse tordiert, und zwar sind die in der Torsion am weitesten zurückgebliebenen Schichten die in der Bewegungsrichtung am weitesten vorn gelegenen, während die Torsion um so weiter fortgeschritten ist, je weiter die Schichten rückwärts gelegen sind. Für den ‚mitbewegten‘ Beobachter ist aber im Zusammenhange seines Systems überhaupt keine Torsion des Zylinders vorhanden, während er sie natürlich für den Zusammenhang des anderen Systems vom Standpunkte der Relativitätstheorie aus ebenfalls annimmt.
Wir haben hier ein zweites Moment einer Gestaltänderung der Körper, die durch den blossen Umstand der relativen Bewegung für den ‚ruhenden‘ Beobachter vorhanden und eindeutig bestimmt ist. Mit dem anderen — der Verkürzung des ‚bewegten Körpers — zusammen bedeutet es, dass in der Relativitätstheorie der alte mechanische Begriff des starren Körpers keine Geltung mehr hat. Noch von einer anderen Seite her, die wir später (§ 28) noch kurz zu berühren haben werden, zeigen sich Konsequenzen der Relativitätstheorie für die Mechanik, die von den üblichen alten Vorstellungen weit abführen. Indessen haben wir es hier nur mit den Grundlagen der Theorie zu tun und zu ihren Konsequenzen nur durch einen allgemeinen erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (s. u. a. a. O.).
24. Da im Zusammenhang eines jeden von relativ zu einander gleichförmig und geradlinig bewegten Systemen die Uhren in allen übrigen nicht synchron laufen, so ist bei verschiedenen relativen Geschwindigkeiten auch für jedes dieser Systeme von jedem derselben aus eine verschiedene zeitliche Anordnung je zweier von einander hinreichend entfernt stattfindender Ereignisse geltend. Im besonderen ist es unter einer gewissen Bedingung immer möglich, für zwei Ereignisse, die in irgend einem Raumzeitsystem nicht gleichzeitig sind, ein anderes berechtigtes Bezugssystem zu finden, in dem sie als gleichzeitig beurteilt werden müssen. Jene Bedingung verlangt, dass in dem ersten System das Ereignis eher eintritt, als das Licht, das die Nachricht vom Ereignis überallhin trägt (oder doch tragen könnte), im Orte des Ereignisses anlangt, dass also , wenn die Entfernung der beiden Orte jener Ereignisse und die für den Weg des Lichtes zwischen den Orten von und erforderliche Zeit ist. Ganz natürlich! Denn wenn es möglich wäre, ohne Einhaltung dieser Bedingung auf Gleichzeitigkeit zu transformieren, dann gäbe es Systeme, in denen das Signal vom Ereignis früher einträfe, als das dieses Ereignis etwa naturgesetzlich
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/29&oldid=- (Version vom 6.6.2024)