sie also ganz unabhängig von Uhrangaben messen könnte, dass dann eine solche Verkürzung gar nicht vorhanden wäre: die Verkürzungen seien eben nur scheinbare. Man sieht: aus solchen Argumentationen blickt immer wieder ganz deutlich der Pferdefuss des Absoluten hervor: ‚in Wirklichkeit‘ sind die Körper doch starr, ihre Veränderung lediglich durch die relative Bewegung ist nur ‚Schein. Dem gegenüber muss mit Entschiedenheit betont werden, dass damit gegen die Grundlagen der Relativitätstheorie verstossen wird. Man mache sich nur immer wieder klar, dass Hin- und Rückweg des Lichte längs des in die Bewegungsrichtung fallenden Schenkels des Michelsonschen Apparats länger sein müssten, als der entsprechende Weg nach und von dem Spiegel des anderen Schenkels, wenn der erste Spiegel während der Bewegung nicht ‚wirklich‘ näher an der planparallelen Platte wäre als der zweite.
Hierher gehört auch das sogenannte Ehrenfestsche Paradoxon, bei dessen Aufstellung ebenfalls der Hintergedanke des Absoluten hereingespielt haben dürfte. Es handelt sich dabei zuletzt darum, ob ein ‚bewegter‘ Stab, vom ‚ruhenden‘ System aus synchron gemessen, eine andere Länge ergibt, als wenn man diese Länge von demselben System aus dadurch feststellt, dass man von dem vorbeigleitenden Stab eine Momentpause nimmt. Mit den Grundlagen der Theorie ist nur verträglich, dass die beiden Messungen dasselbe Ergebnis haben, dass also das Pausbild des ‚ruhenden‘ Stabes sich von dem des ‚bewegten‘ unterscheidet[1]).
32. Sind die Aenderungen der Körpergestalt und des Uhrgangs für die Relativitätstheorie nicht bloss optischer, sondern auch taktilokinaesthetischer Art, so hat diese Theorie schon von vornherein und nicht erst in ihren späteren Folgerungen Bedeutung für die Mechanik. Und die relative Geschwindigkeit der Bezugssysteme, von der jene Aenderungen abhängen, wird ganz in demselben Sinne ein Bestimmungsmittel für physikalische Aenderungen, wie es die ‚Kräfte‘ sind: die Lorentz-Kontraktion ist von mechanischen Kompressionen, die chronometrische Torsion von mechanischer Drillung prinzipiell nicht verschieden; die relative Geschwindigkeit ist genau so gut eine ‚Ursache‘ wie die ‚Kraft‘; Raum und Zeit werden, wie sie es im Grunde in den Formeln der Physik immer waren und wie es Mach mit seiner Auffassung der funktionellen Abhängigkeit der ‚Erscheinungen‘ von einander schon seit bald einem halben Jahrhundert gelehrt hat (s. o. § 6), vollständig in eine Reihe mit den übrigen physikalischen Bestimmungsmitteln gestellt. Da diese nichts sind als Begriffe, die der allgemeinen Beschreibung, der Charakterisierung der beobachteten Zusammenhänge dienen, so sind auch Raum und Zeit nur solche Begriffe, nicht aber mehr an und für sich leere
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/39&oldid=- (Version vom 6.6.2024)
- ↑ Man sehe die Diskussion zwischen Ehrenfest, v. Ignatowsky, Varićak, Einstein in der Physikal. Zeitschr. 11 und 12, 1910 und 1911.