eine Umkehr des ‚bewegten‘ Systems die erlittenen Aenderungen im Uhrgang nicht aufhöbe, da ja im Quadrat aufträte, der würde ausser Acht lassen, dass bei der Rückkehr auf derselben Linie oder auf irgend einer Kurve einmal ein Punkt erreicht werden muss, für den nur noch den Wert Null hat und dass dieser Wert, in die Gleichungen der Theorie eingesetzt, alle Aenderungen der Körpergestalten und des Uhrgangs mit einem Male rückgängig macht. Nähme dann negative Werte an, fände also die entgegengesetzte Bewegung der Systeme zu einander statt, so müssten für den Standpunkt jedes Beobachters auch alle Körpergestalten im anderen System sofort die von abhängige Form von neuem annehmen, alle Uhren — die wir uns etwa in gleichen Abständen auf den -Achsen der beiden Systeme angeordnet denken können — mit einem Schlag einander näher rücken, die sich dem oben (§ 22) ermittelten Punkte nähernden plötzlich vor- statt nach- und die sich von ihm entfernenden nach- statt vorgehen: der Umkehrpunkt wäre bei geradliniger Hin- und Rückbewegung eins Unstetigkeitsstelle. Entsprechendes gälte bei krummliniger Bewegung, bei der immer nur die parallel zur -Achse gerichtete Komponente der Gesamtgeschwindigkeit wäre. Mehr kann und darf aus den Formeln nicht herausgelesen werden, weil sie nicht mehr enthalten[1]). Natürlich würden solche Vorgänge der Wirklichkeit nicht entsprechen: die Theorie sagt eben gar nichts über Umkehr und Geschwindigkeitsänderung aus; ist für je zwei berechtigte Bezugssysteme ein unveränderlich festliegender Wert. Will man andere als die unter die tatsächlich vorliegende Theorie gehörigen Fälle behandeln, so muss man die Theorie erst modifizieren oder eine neue Theorie schaffen. Wirklich ist auch die obige Aufstellung Einsteins und der ihm folgenden Physiker nichts anderes als eine stillschweigende Abänderung und Erweiterung der Theorie, die aber in ihren Formeln noch gar nicht zum Ausdruck gekommen ist. Das geht ganz deutlich aus der Bemerkung v. Laues hervor: „Dem naheliegenden Einwand, dass wir über den Gang einer Uhr während eines Geschwindigkeitswechsels nichts aussagen können, begegnet man am einfachsten mit dem Hinweis, dass man die Zeiten der gleichförmigen Bewegung beliebig gross gegen die der Beschleunigung machen kann[2])“. Darin liegt der Versuch, die einfachen Verhältnisse der Relativitätstheorie als Komponenten komplexer Vorgänge einzuführen. Er setzt natürlich eine kontinuierliche Variation der Geschwindigkeit voraus.
Gegen eine solche Erweiterung hat natürlich die Erkenntnistheorie nichts einzuwenden. Sie hat aber ein grosses interesse daran, den eigentlichen, wirklichen Inhalt der tatsächlich entwickelt und abgegrenzt vorliegenden Theorie scharf festzustellen und die gefundenen Grenzen nicht überschreiten zu lassen. Denn in der Geschichte der Wissenschaften sind es immer die unbegründeten
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie der Physik. , Berlin 1914, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_der_Physik.djvu/51&oldid=- (Version vom 6.6.2024)