Sagenduft dar und läßt den das Volk bezaubernden Glanz ihres irdischen Daseins noch in satten Farben schimmern, wenn sie selbst auch schon lange, lange dem Leben entsagt haben. Sollen wir Namen nennen? Nur einige als Beispiel: Armin, Karl der Große, Wittekind, Friedrich Barbarossa usw., und aus der Neuzeit besonders Friedrich der Große und Napoleon.
Die großen geliebten Heldengestalten in der Geschichte, die volkstümlichen Männer auf der Höhe des Lebens, wie die eben genannten, sie unterliegen dem Tode nicht, in der Volkssage leben sie fort bis auf diesen Tag, wenn auch in Berge entrückt und in tiefen Schlaf verfallen. Hermann der Cherusker wohnt im Desenberg bei Warburg und in der Arminiusburg zwischen Schieder und Lügde bei Pyrmont und wird einst in großer Herrlichkeit wiederkommen. Im Guckenberg bei Fränkisch-Gmünden ist ein Kaiser mit seinem ganzen Heer versunken, wird aber einst mit seinen Leuten wieder herauskommen, wenn sein Bart dreimal um den Tisch gewachsen ist, an dem er sitzt. Karl der Große schläft im Kaiser Karlsberg zwischen Nürnberg und Fürth, Wittekind in der Babylonie (in Westfalen); ähnlich ist auch die ältere Sage des Chronicon uspergense zum Jahre 1223, nach der bewaffnete Reiter aus einem Berge bei Worms zur Beratung erscheinen, um dann wieder zu verschwinden. Auch der Sagenheld Siegfried wohnt mit noch anderen Helden in einem Bergschlosse in Geroldseck und soll mit ihnen erscheinen, wenn das Volk in Not ist. Kaiser Friedrich Barbarossa schläft im Kyffhäuser und wird einst zu seiner Zeit wiederkommen; auch soll er noch im Untersberg bei Salzburg, in einer Felsenhöhle bei Kaiserslautern oder zu Trifels bei Amweiler seine Ruhe bis zum Hervorkommen genießen.
Das urwüchsige heidnische Reckenwesen der Sage finden wir nicht nur bei uns, die Sagen wohl aller Völker wissen davon zu berichten, es sind Erinnerungen an die gewaltig erscheinenden Hünen der Urzeit, Bilder der übermenschlichen Gewalt. Schon die talmudische Sage berichtet uns von einem solchen Riesen, der gewaltig trotzig neben der Arche Noahs herschritt und sich daran festzuhalten suchte.
Doch nicht nur Helden- und Reckengestalten, hohe und erhabene Männer führt uns die Volkssage dar, als Volkssage darf sie auch das Volk nicht vergessen.
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)