wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die Grenzen des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohltätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichten, welche nebeneinander stehen und uns nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen streben[1].“ So leicht wird man nicht in die Lage kommen, einen guten Engel auszuschließen, im Gegenteil, er muß besonders in der heutigen Zeit freudig begrüßt werden, wenn er seine Hilfe anbietet.
„Um alles menschlichen Sinnen Ungewöhnliche, was die Natur eines Landstrichs besitzt, oder wessen ihn die Geschichte gemahnt, sammelt sich ein Duft von Sage und Lied, wie sich die Ferne des Himmels blau anläßt und zarter, seiner Staub um Obst und Blumen setzt. Aus dem Zusammenleben und Zusammenwohnen mit Felsen, Seen, Trümmern, Bäumen, Pflanzen, entspringt bald eine Art von Verbindung, die sich auf die Eigentümlichkeit jedes dieser Gegenstände gründet und zu gewissen Stunden ihre Wunder zu vermehren berechtigt ist. Wie mächtig das dadurch entstehende Band sei, zeigt an natürlichen Menschen jenes herzzerreißende Heimweh.“ So heißt es in der Vorrede zu den Grimmschen Sagen. Wir haben da ein Doppeltes zu unterscheiden. Wird der Sagenstoff ungewöhnlichen Formen oder Vorgängen in der Natur (eigenartige Felsen, erratische Blöcke, Irrlichter, Gewitter usw.) und den allgemein menschlichen Zufällen entlehnt, so entsteht die mythische Sage, wird er aber den ganze Völker oder einzelne Volksgruppen berührenden geschichtlichen Ereignissen, in denen sich dann eine Kulturepoche widerspiegelt, entlehnt, so spricht man von der geschichtlichen Sage.
Nur bei diesen letzteren ist also der Ursprung in der Geschichte zu suchen. Das ist auch von allen übrigen Sagen behauptet und dann angenommen, alle persönlichen Wesen der Sage seien wirkliche Personen gewesen und im Laufe der Zeit seien
- ↑ Brüder Grimm im Vorwort zu den deutschen Sagen.
Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/32&oldid=- (Version vom 31.7.2018)