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aber unvollendet zu sein. Aber trotz alle dem bleibt die Madonna de’ Tempi, wenigstens in meinen Augen, das raffaelischste Werk dieser Galerie. – Im Museum Fabre zu Montpellier befindet sich der Carton zu diesem Bilde; er ist auf grünem Papier mit schwarzer Kreide gezeichnet und mit Gips aufgehöht, allein diese Zeichnung ist in einem so grauenhaften Zustande, daß sie fast als verloren trachtet werden muß.

Wollen wir uns nun die anderen Gemälde Raffael’s der Münchener Pinakothek besehen, so müssen wir uns in Saal 9 begeben, wo dieselben unter den Nummern 534, 547 und 585 aufgestellt sind.

Das erste von diesen drei Bildern trägt den Namen der Madonna aus dem Hause Canigiani zu Florenz. Seine Entstehung wurde von Passavant in das Jahr 1506 gesetzt, also in eine Zeit, wo Raffael in Florenz am Carton zu seiner „Grablegung“ für Atalanta Baglioni von Perugia arbeitete[1]. Vor der unglücklichen Reinigung und Uebermalung dieses Bildes soll außer dem Namen des Meisters auch die Jahreszahl 1506 am Saume des Kleides der h. Jungfrau zu lesen gewesen sein. – Eine Federzeichnung zu diesem Bilde befindet sich in der Albertina zu Wien, eine Kopie hiervon in der Sammlung von Handzeichnungen in Oxford; eine zweite Originalzeichnung mit einigen Modifikationen soll der Herzog von Aumale besitzen. Wie Passavant sehr richtig bemerkte, erinnert die Zeichnung in diesem Bilde am meisten an die der Borghesischen „Grablegung“ von Raffael. Mir scheint jedoch sowohl Zeichnung als Modellirung in diesem Gemälde viel schwächer als in jenem berühmten Bilde zu Rom. Von dieser h. Familie giebt es mehrere alte Kopien; eine davon befand sich in der Galerie Rinuccini zu Florenz, von einem Flamländer gefertigt[2] und ist gegenwärtig im Besitze der Erben


  1. Gegenwärtig in der Borghesegalerie zu Rom.
  2. Aus der harten leblosen Zeichnung und aus der Art und Weise, wie der landschaftliche Hintergrund behandelt ist, geht dies klar hervor.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/115&oldid=- (Version vom 31.7.2018)