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junge Paris dann aufwuchs. – Die andere Hälfte, auf der seine Geburt dargestellt war, fehlt leider. – Die Landschaft auf diesem Bilde erinnert lebhaft an diejenige, welche wir in der Dresdner Galerie auf dem „Venusbilde“, No. 236, bewundern. In der Galerie von Pesth führt noch ein anderes Gemälde den Namen des Giorgione. Es ist dies das Bildniß eines jungen Mannes (No. 156), von gar feiner und edeler Auffassung. Aus seinem auf der Brust offenen schwarzsammtnen Oberkleide schaut ein Stück weißes Hemd hervor; das lange, gescheitelte braune Haar wird von einem Netze aufgefangen; der rechte Arm stützt sich auf ein Gesimse, die linke Hand ruht auf der Brust. Nur ungern trennt man sich von dieser melancholischen Figur; mit seinem bedeutungsvollen Gesichte hält der junge Mann den Beschauer wie festgebannt, gleich als wollte er ihm das Geheimniß seines Lebens anvertrauen. Leider hat dies Porträt sehr gelitten, und an der Mache ist schwerlich der Meister noch zu erkennen. Ich ziehe es daher vor, dieses reizvolle Bildniß nicht in die Reihe der von mir sicher für echt gehaltenen Werke des Giorgione einzutragen[1].


  1. Ich möchte bei dieser Gelegenheit meiner Verwunderung Ausdruck geben, daß in Deutschland, wo so viele geistvolle Männer mit Ernst und Liebe das Studium der italienischen Kunstgeschichte pflegen, sich noch keiner gefunden hat, der sich dieser ganz ausgezeichneten Sammlung angenommen und dieselbe, wie sie es wohl verdient, in ihr wahres Licht gestellt hätte. In derselben befinden sich zwei gute, ja vorzügliche Bilder des Correggio; zwei von Raffael (das eine davon freilich unvollendet, das andere, ein männliches Porträt, abscheulich zugerichtet); von den Lombarden: ein schönes Bild von Boltraffio, ein anderes von Cesare da Sesto, zwei ganz ausgezeichnete Madonnenbilder von Bernardino Luini, eins von Ambrogio Borgognone, eins von Giampietrino; von den Venezianern: das Porträt der Catarina Cornaro von Gentile Bellini, ein gutes Bild von Carlo Crivelli, eins, vielleicht zwei, von Giorgione, eins von Vincenzo Catena, eins von Marco Basaiti; von den Nordländern: ein Porträt von A. Dürer; ein Bild von Lucas van Leiden, und viele andere; sodann treffliche Werke aus der holländischen, aus der flämischen und aus der spanischen Schule.
    Unter den Handzeichnungen: drei von Lionardo da Vinci, etliche von Raffael, mehrere von Fra Bartolommeo, von Michelangelo, von Dürer, eine von Lucas van Leiden, mehrere von Holbein d. j., u. s. f.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/210&oldid=- (Version vom 31.7.2018)