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unterziehen, muß bemerkt werden, daß sie, weil in unmittelbarer Nähe des Altars, auch mehr als alle andern Gemälde dieser Kapelle der schädlichen Wirkung des Weihrauchs ausgesetzt waren und somit auch am empfindlichsten gelitten haben. Deshalb mußten dieselben wiederholt der Reinigung und der Restauration unterstellt werden, so daß man in ihrem gegenwärtigen Zustande von der ursprünglichen Farbe gar wenig noch zu sehen bekommt. In den beiden Bildern leidet die Composition an Ueberfüllung – einem Fehler, in den Pinturicchio sehr oft, Perugino fast nie fällt. Betrachten wir nun vorerst den landschaftlichen Hintergrund in beiden Gemälden, so müssen wir uns doch sogleich gestehen, daß diese durchbrochenen Felsmassen, diese Cypressen und Palmen, dieser schöngeformte Thalkessel, selbst der kleinere Vögel verfolgende Falke in der Luft[1] doch eher an die Landschaften des Pinturicchio denn an die des Perugino erinnern. Im Bilde der „Reise Mosis“ ist der Engel in der Mitte eine ganz im Sinne des Pinturicchio bewegte Figur, sind die Kinder (wiewohl die Herren Cr. und Cav. in demselben die Hand des Bartolommeo della Gatta ganz deutlich erkennen wollen, III, 178) durchaus den andern Kindern des Pinturicchio ähnlich, z. B. denen in der Kapelle des h. Bernardinus in Ara Coeli [2], und


  1. Dasselbe Motiv wurde von Pinturicchio unter anderm auch in zweien seiner Fresken der Libreria des Domes von Siena nämlich in dem Fresko, wo Pius in Ancona den Kreuzzug gegen den Türken predigt, und in jenem, wo Aeneas Silvius vom Kaiser mit dem Lorbeerkranze bekränzt wird, in der „Anbetung der Könige“, vom Jahre 1513, im Hause Borromeo zu Mailand, und in einigen Bildern des „Appartamento Borgia“ wiederholt.
  2. Selbst den von Pinturicchio zwanzig Jahre später in der Libreria zu Siena gemalten Kindern sehen diese ganz gleich, z. B. in der Freske, wo Papst Pius II. den Segen ertheilt, und in jener wo Kaiser Friedrich III. dem vor ihm knieenden Aeneas Silvius den Lorbeerkranz aufsetzt. Auch die Putti in der Sala della Virtù des Appartamento Borgia sind fast die nämlichen.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/325&oldid=- (Version vom 31.7.2018)