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durchaus an Gentile’s Art und Weise. Dies Werk beweist auf die untrüglichste Weise, daß Antonio schon ein ausgebildeter Maler war, als er mit Johannes Alemannus die bekannte Werkstatt in Murano gründete.

Von Bartolommeo, dem jüngeren Bruder und zum Theil auch Schüler des Antonio, findet sich in der Berliner Galerie ein ebenfalls vorzügliches Bild vor. Ich meine damit nicht etwa den h. Georg (No. 1160), „ein Atelierwerk“ des Meisters[1], sondern das interessante, höchst charakteristische Bild, auf dem Maria mit dem auf der Brüstung vor ihr sitzenden, bekleideten Kinde dargestellt ist; über ihr ein Fruchtgehänge (No. 27). Dies Bild wird im Katalog leider noch immer dem Andrea Mantegna zugemuthet; selbst die Herren Cr. und Cav. stimmen in dieses Urtheil mit ein, ja wollen sogar das von Mantegna dem Matteo Bosso, Abt von Fiesole, gemalte Madonnenbild darin erkennen (II, 386)[2].


  1. Die vom Meister selbst ganz oder doch zum größten Theile ausgeführten Bilder haben nie einen landschaftlichen Grund, sondern entweder Gold oder Luft, und sind zudem durch die Feinheit und Schärfe der Modellirung und Ausführung leicht von den nach seinen Cartons von Gehülfen ausgeführten Arbeiten zu unterscheiden. Während die letzteren mit der Aufschrift: factum per Bartholomeum etc. versehen sind, tragen die ersteren, von Bartolommeo selbst gemalten, entweder die Aufschrift: Bartholomeus de Muriano pinxit, oder auch Opus Bartholomei de M. Die Herren Cr. und Cav. machen jedoch, wie ich sehe, gar keinen Unterschied zwischen diesen mehr oder minder roheren Atelierwerken (je nach dem dafür festgesetzten Preise) und den feineren vom Meister selbst ausgeführten Gemälden (I, 47 und 48).
  2. Die Modellirung des Gesichtes wie die Zeichnung des Gefältes in diesem Bilde ermangeln jener feinen plastischen Schärfe, die in den Gemälden des Mantegna nie fehlt; auch ist das Gesichtsoval der Maria zu voll für den Paduaner, entspricht dagegen ganz und gar dem Madonnentypus des Vivarini, bei dem auch die Umrisse stets schwärzer gezeichnet sind. Die geschwollenen Handknöchel, die zugespitzten Finger, der bronzefarbige Nimbus, das Roth des Madonnenkleides u. a. m. lassen überdieß leicht den Muranesen vom Paduaner unterscheiden. Sogar die [398] Form des Zettels (cartellino) spricht für Bartolommeo Vivarini, während Mantegna niemals seinen Namen auf Cartellini zeichnete. Wahrscheinlich stand, ehe man diese Madonna zu einem Bilde von Mantegna stempelte, der Name Bartholomeus de Muriano p. darauf. Die Herren Cr. und Cav., die also dies Bild als Werk des Mantegna ansehn, glauben überdieß das Jahr bezeichnen zu können, in dem es gemalt worden, nämlich 1464, in derselben Epoche nämlich, als Mantegna das herrliche Triptychon in der Tribuna der Uffizien malte (I, 386). Verwechselten nun die berühmten Historiographen in diesem Madonnenbilde den B. Vivarini mit dem Mantegna, so begingen sie einen ähnlichen Irrthum wie Pavia, wo eine gefälschte Aufschrift auf einem Madonnenbilde des Vivarini sie verleitete, dasselbe als Werk des Giambellino in ihr Inventarium aufzunehmen. Das bewußte Bild befindet sich in der Sammlung Malaspina von Pavia, No. 9 (I, 153). Täusche ich mich nicht, so dürfte an diesen häufigen qui pro quo theils ihre Beeinflußungstheorie, theils die gänzliche Mißachtung der verschiedenen Formen bei diesen Meistern Schuld haben.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/416&oldid=- (Version vom 31.7.2018)