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ernster Arbeit. Nie hat ein Mensch seinen Launen größer Freiheit gelassen und genommen, nie ein Künstler unbefangener seinem Genius gelebt. Er kümmerte sich wenig um andere, aber die andern noch weniger um ihn. Sodoma wirkte deßhalb nicht, wie er wirken konnte, und galt deßhalb nicht, was er werth war.“

Nach diesen wenigen Bemerkungen über Boltraffio und Giovan Antonio Bazzi mögen meine Leser mir erlauben, einen Moment noch bei dem Bilde „Vertumnus und Pomona“ zu verweilen, da dasselbe seit langer Zeit schon einem Meister zugemuthet wird, von dem kein einziges beglaubigtes Werk bis auf uns gekommen ist; ich meine den Francesco Melzi. Bei Nennung dieses Namens möchte ich vor allem die Präliminarfrage aufwerfen: hat es denn im eigentlichen Sinne des Wortes je einen Maler Melzi gegeben? Trotz aller Nachforschungen ist es mir wenigstens nicht gelungen, ein authentisches Bild dieses Freundes, zum Theil auch Zöglings des Lionardo da Vinci, ausfindig zu machen. Auch Vasari erwähnt mit keiner Silbe einen Malers dieses Namens, wohl aber sagt er im Leben des Lionardo: „von diesen anatomischen Zeichnungen Lionardo’s befindet sich der größte Theil im Besitze des Herrn Francesco von Melzo, eines mailändischen Edelmannes, der zur Zeit Lionardo’s ein sehr schöner Knabe war und Lionardo’s ganze Liebe genoß, so wie er heutzutage (im Jahre 1566) ein sehr schöner und liebenswürdiger Greis ist, der diese Zeichnungen und sonstigen Papiere Lionardo’s als Reliquien aufbewahrt u. s. w.“

In Vasari’s Worten finden wir also nicht die leiseste Anspielung auf das Malertalent des Melzi. Ein Jahrzehnt später ungefähr veröffentlichte der schwülstige Lomazzo seinen „Trattato della Pittura“, worin er den Melzi als „grandissimo miniatore“ qualifizirt[1]. Nun weiß aber


  1. S. Lomazzo, Trattato etc. (I, 174): Secondo che mi ha racconato [475] il Sig. Francesco Melzi, suo discepolo, grandissimo miniatore.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/493&oldid=- (Version vom 31.7.2018)