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jetzt noch nicht ermittelt, ob Solari, nach vollendeter Arbeit im Schlosse Gaillon, längere Zeit noch in Frankreich sich aufgehalten habe. Mir erscheint die Hypothese nicht unwahrscheinlich, daß er vor der Rückkehr in die Heimat einige Zeit auch in Flandern, wahrscheinlich in Antwerpen, verweilt habe. Denn manches seiner Gemälde wie z. B. die Herodias in der Belvederegalerie zu Wien und der kreuztragende Christus mit den wüsten Schergen in der Borghesegalerie zu Rom haben, wenigstens in meinen Augen, einen so ausgesprochenen vlämischen Charakter, erinnern so stark an die geleckte Art und Weise des Quinten Massys und seiner Schule, daß sie einem beim ersten Anblicke wie vlämische Arbeit vorkommen.

Im Jahre 1515 scheint Solari wieder in Mailand oder wenigstens in Italien gewesen zu sein. Dies geht hervor aus der Mache des trefflichen durch und durch mailändischen Gemäldes von ihm in der Poldisammlung zu Mailand. Dieß Bild trägt die Aufschrift: Andreas de Solario mediolanen, f. 1515.


    Landsleute mögen auch aus diesem Beispiele sich überzeugen, daß man die Bilderattributionen stets einer scharfen eindringlichen Kritik unterwerfen muß, wenn man in der Kunstgeschichte nicht blinde Kuh zu spielen noch fortfahren will. Die Herren Cr. u. Cav. müssen aber den Bramantino eines genauern Studiums nicht würdig erachtet haben, sonst hätten sie ihm nicht auch die zwei Riesen zuschreiben können, grau in grau al fresco gemalt, im Hofe des Hauses Melzi, Borgo nuovo 28, zu Mailand; jeder gründliche Kenner wird, auch selbst schon an der Länge der Füße, in jenen Gestalten die Art des B. Luini erkennen; ferner würden diese Historiographen ihm nicht das Bild „Christi Geburt“ in der Ambrosianagalerie (131) das so charakteristisch für Bramantino ist, abgesprochen haben. (We must reject from the list of bis genuine productions the nativity at the Ambrosiana“ (Siehe Band II, Seite 31 u. 32.) Dieß letztere Temperagemälde ist, wie gesagt, äußerst bezeichnend für den Maler. Es ist ein Jugendwerk des Meisters und nicht aus der späten Zeit, wie manche behaupteten; ich sehe darin, besonders in den Figuren des Hintergrundes, auch einen gewissen Einfluß des pavesischen Bildhauers Gio. Antonio Amadeo auf den jungen Bramantino.

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/97&oldid=- (Version vom 31.7.2018)